Reihe CineGraph Buch


Helga Belach, Wolfgang Jacobsen (Redaktion):
Richard Oswald. Regisseur und Produzent

CARLOS UND ELISABETH (1923/24)

Herbert Ihering, Stefan Großmann, Roland Schacht


Herbert Ihering

Aus: Berliner Börsen-Courier, Nr. 98, 27.2.1924

Wenn Richard Oswald noch einmal beweisen wollte, daß er der Regisseur für moderne Affären ist, der Regisseur für Kurfürstendamm- und Apachenvorfälle, für Gesellschaftskomödien und Hintertreppengeschichten (im guten, im spannend filmischen Sinne), so konnte er das nicht vollendeter tun, als mit seinem Film CARLOS UND ELISABETH. Im Vorspiel stürzt der junge Philipp auf Karl V. los und schmeißt ihn - im buchstäblichen Apachensinne - vom Thron (worauf die Granden dem neuen König huldigen). Später sagt Elisabeth von Valois zu dem nun gealterten König Philipp: »Gib mich frei!« Zwischen diesen beiden Polen: Zwischen Apachenroheit und bürgerlicher Sentimentalität schwankt der Film hin und her. Und um diese Sphären in eine höhere Welt zu heben, wird Spanien und die Inquisition, werden Kostüme, herrliche Landschaften und fabelhafte Photographien aufgeboten! Aber der Film hat darüber hinaus, nur leeres (und sei es selbst geschmackvolles) zu bieten, wenn dieser Aufwand dramaturgisch nicht bestätigt wird. CARLOS UND ELISABETH - einen bedenklicheren Rückschritt konnte der deutsche Film nicht machen. Kein Motiv kommt zu seiner filmdramaturgischen Auswirkung: nicht das Motiv »König-Kronprinz«, nicht das Motiv »Alternder König-junge Königin«, nicht das Motiv »Stiefmutterliebe des Stiefsohnes«. Ein unklarer, ungegliederter Film, im dem alle Motive sich durchkreuzen.

Carlos und Elisabeth: Dagny Servaes

Keine Welt hebt sich gegen die andere ab. Und das allein hätte die Aufgabe eines Don Carlos-Films sein können. Schillers Don Carlos war kaum zu verwerten, weil seine Gegensätze auf dem Wort beruhen. Bildlich darzustellen war der Gegensatz von Inquisition und Hof, von Liebe und Etikette, von südlicher Beweglichkeit und starrer Macht. Oswald gibt ein sprunghaftes, hin- und hergezerrtes Durcheinander, in dem die thematische Führung sich verliert. Kein Motiv bekommt sein eigenes, innerlich notwendiges Bewegungs- und Tempogesetz. Die Bewegungen springen willkürlich von einer Motivgruppe zur anderen hinüber, statt daß sie sich allmählich durchdrängen und aneinander steigerten.

Der deutsche Film hat in diesem Jahre so viel erreicht, daß er diesen Rückschritt überwinden wird. Den Rückschritt im Geschmack, aber auch im filmdramaturgischen Handwerk. Ein so miserables Manuskript wie dieses - man muß lange suchen, bis man Vergleiche findet. Und die Schauspieler? Conrad Veidt als Carlos gibt eine erstarrte verkrampfte Wiederholung früherer Gestalten. Dagny Servaes, die sehr gut aussieht, entfaltet sich nicht im Spiel. Klöpfer verwischt den Philipp. Und Egede Nissen hat für die Eboli zwar Klarheit der Geste, aber sie spielt die Range vom Kurfürstendamm. Kühne gibt die Karikatur seines Domingo. Welch eine Darstellung, aus der - Adolf Klein als ein Meister des beherrschten Gesichts hervorragt! Zur Zeit von Schall und Rauch gab es Bühnenparodien des Don Carlos. Dies ist die Filmparodie des Don Carlos.


Stefan Großmann

Aus: Das Tage-Buch, Nr. 10, 8.3.1924

Die Filmkritik war nicht ganz einig über den neuen Oswaldfilm. Herbert Ihering nannte ihn eine Parodie auf einen Carlosfilm, während Herr Roland Schacht von CARLOS UND ELISABETH her eine neue Epoche des Films datieren wollte. Wie wärs mit einer gründlichen Aussprache im Verein der Filmkritiker? Als ich vor Jahr und Tag, höflicher Mensch, der ich bin, Mitglied des Vereins der Theaterkritiker war, schlug ich dort fachliche Vorbereitungskurse und Fortbildungszyklen für etwas vorgeschrittene Rezensenten vor. Im Verein der Filmkritiker sind, glaube ich, gründlichere Ausbildungskurse nötig.

Überflüssig zu sagen, daß Herr Ihering über seinem Vereine steht. Ich bringe für gewöhnlich seine drakonische Aufrichtigkeit nicht auf, ich werde gehemmt durch etwas mehr Skepsis gegen den eigenen Eindruck, im Film besonders auch durch den Gedanken an die übermenschliche Arbeit, die auch an eine mißlungene Arbeit gewendet wurde, und auch durch die Erwägung, daß hier eine deutsche Industrie volkswirtschaftliche Werte erzeugt, die auf den internationalen Markt kommen. Auch die Pofelindustrie ist ein nationales Problem.

Carlos und Elisabeth: Conrad Veidt

In diesem Falle aber tun die ahnungslosen Lober Herrn Oswald einen miserablen Dienst. Selbst wenn man nämlich das bekannte Dienstmädchen als Zuschauerin zitiert, muß man sagen, daß die Arbeit mißlungen ist. Ein Film, der nicht einmal den Dualismus der Kontraste beachtet, der zwei Stunden lang nur Hofintrigue und Hofleichen bietet - ohne einen einzigen hellen Einschnitt - ein so monoton-historisierender Film gewinnt auch das Dienstmädchen nicht. Gewiß verliert Oswald, der Manuskriptschreiber, sein Dienstmädchen keinen Augenblick aus dem Auge. Wenn er z.B. die Redewendung »Philipp stürzte seinen Vater vom Throne« in der Weise filmisch illustriert, daß der Kronprinz den Regenten vor seinem Hofstaat buchstäblich die sechs oder sieben Stufen vom Throne herunterwirft, so bedeutet dies schon eine Übertreibung des filmischen Anschauungsunterrichtes. So handgreiflich war es in Schlossers Weltgeschichte nicht gemeint. Oswald stellt sich zuweilen zu schwere Aufgaben, z.B. wenn er versucht, eine Textzeile: »Indessen gärt es im Volke« filmisch auszudrücken. Die armen Schauspieler müssen dann drei Minuten gären. Das Schlimmste, gerade vom Dienstmädchenstandpunkt, ist, daß Oswald sich ganz eng an die Vorgänge des Schiller'schen »Carlos« gehalten hat. Manches, z.B. die Posa-Tragödie, bleibt deshalb unverständlich. Und es gab eine so bilderreiche, erquickende, lebensprühende Ergänzung, nämlich den De Costerschen Ulenspiegel, der ja auch im Schatten des düsteren Philipp und seines Alba steht. Sie sind, lieber Oswald, zu vielseitig. Ein beschäftigter Regisseur, ein ausgezeichneter Konzertleiter und noch ein geschickter Textbuchschreiber - nein, Sie muten sich zu viel zu. CARLOS UND ELISABETH war schon im Buch mißglückt!

Und warum überhaupt historisch? Ihre Begabung, lieber Oswald, liegt im Naturalistischen, im Volksromanfilm. Zur spanischen Grandezza müssen Sie sich vorläufig noch zwingen. Sie liegt auch Klöpfer nicht, der nie schlechter war als hier, sie hat vielleicht auch Conrad Veidt gelähmt, der offenbar eine gefährliche Krisis durchmacht. Auch die Servaes ist mir drall und frisch und saftig lieber. Geben Sie, lieber Oswald, die Renaissance und die spanische Geschichte und die Historie überhaupt auf, lassen Sie die Königsdramen. Das würden Ihnen auch die Dienstmädchen raten, wenn sie endlich im Verein der Filmkritiker ungeniert zu Wort kämen!


Balthasar (Roland Schacht)

Aus: Das Blaue Heft, Nr. 7, 1.4.1924

Selten hat ein Film eine so verschiedene Beurteilung gefunden wie Richard Oswalds CARLOS UND ELISABETH. Von glatter Verdammnis bis zum höchsten Entzücken sind die Stimmen auf das mannigfachste nuanciert. Was mich betrifft, ich bin mehr für's Entzücken, aber es ist interessant, den Stimmen der Gegner nachzugehen.

Da sind zunächst diejenigen, die von Schiller nicht loskommen können. Mit denen ist im Grunde nicht zu diskutieren. Zweifellos hat jeder, dem Schiller heute noch einen Lebens-, nicht nur einen Kunstwert bedeutet, das Recht, zu ihm zu schwören und den Film, der Posas Humanitätsreden nicht brauchen kann, der statt der eleganten, geschlossenen eine vergleichsweise zerrissene und bisweilen handgreiflich, immer aber gegenständlicher wirkende Form wählen und ganz ohne jenes warmlebendige Wort des jungen Vorklassikers auskommen muß, als Verballhornung zu empfinden. Aber gerade wer ihnen dies zugesteht, darf wohl auch fragen: wenn ihr Schiller wollt, warum bleibt ihr nicht im Theater? Jedermann hat das Recht, den Film überhaupt abzulehnen oder nur den sog. Kulturfilm gelten zu lassen. Aber wer den Film, und noch dazu einen bestimmten, kritisieren will, darf ihn nicht am Theater messen. Niemand kritisiert ja auch den Apfel, daß er nicht wie eine Birne schmeckt. Das Unglück will aber, daß die meisten Literaten (womit ich z.B. nicht Herbert Ihering meine, der bei aller kritischen Strenge und Unbedingtheit für die Schätzung des Films, gerade auch unter den Intellektuellen, außerordentlich viel getan hat), wenn sie sich, wie es neuerdings Mode geworden ist, »auch« mit dem Film befassen, vom Theater und von der Literatur nicht loskommen. Es kann und darf nicht verlangt werden, daß sie den berühmten »Notwendigkeiten der Industrie« gerecht werden, es ist durchaus so notwendig wie wünschenswert, daß sie den Film als eine geistige Angelegenheit auffassen. Aber was sie nicht verlangen dürfen ist, daß die inneren Formgesetze der szenischen Kunst oder des Romans auch maßgebend sein sollen für den Film. Der Film hat seine eigenen Gesetze, die freilich, da er noch nicht »klassisch« geworden, sondern in voller und zwar sehr schneller Entwicklung begriffen ist, sich ebenfalls entwickeln, keineswegs durchweg eindeutig zutage treten und schwer zu fixieren sind. Das scheint, so sehr es nach Gemeinplatz klingt, noch immer nicht ganz erfaßt zu sein. Untersuche ich diesen Oswaldschen Film nach bühnendramatischen oder epischen Gesetzen, so müßte ein Blinder leugnen, daß vieles, gerade auch der Aufbau und das stetige Ansetzen, Abbrechen, Wiederaufnehmen der Motive, zumal in den Eifersuchtsszenen Philipps, mißlungen ist. Die Frage ist aber, ob es nicht filmisch notwendig war, um das Bildliche in ständig sich erneuernder Bewegung zu halten. Alle haben zugegeben, die einen widerwillig, die anderen mit hoher Bewunderung, daß die Bilder schön sind. Fast niemandem aber ist es eingefallen, zu überlegen, ob denn nicht vielleicht die Bilder in diesem Film das Wesentliche, das Bestimmende sind, deren formalen Notwenigkeiten alles übrige sich unterzuordnen hätte.

Carlos und Elisabeth: Wilhelm Dieterle, Conrad Veidt

Man hat die Texte getadelt. Sie sind unleugbar schwach und das nicht nur historisch unmögliche »Gib mich frei!« Elisabeths ist wirklich abscheulich. Aber, von ein paar Schwedenfilmen abgesehen, in wechem neueren Film sind denn die Texte nicht schwach, schwächer jedenfalls als die Bilder? Auch das wird noch besser werden, wenn man sich erst abgewöhnt haben wird, die Texte von untergeordneten Elementen herstellen zu lassen. Man hat getadelt die Handgreiflichkeit und Brutalität, mit der Philipp den Karl vom Throne herunter »stürzt«. Aber »stürzt« ihn die Sprache etwa nicht? Würde nicht diese simple Handgreiflichkeit, wenn sie in einem Drama des 16. Jahrhunders vorkäme, das Entzücken aller Literaten bilden? Kommen nicht auf den hochverehrten »naiven« Bildern des Quattrocento ähnliche Handgreiflichkeiten vor? Gibt es nicht selbst bei Shakespeare noch dergleichen Züge? (Heinrichs V. Spiel mit der väterlichen Krone!) Warum mit zweierlei Maß messen? Man hat getadelt das Kolportagemäßige der Handlung. Aber was heißt Kolportage? Konnte nicht auch Ben Johnson von Shakespeares Lear sagen: das sei bloße Kolportage? Sind Schillers Räuber, Adelheids Hinrichtung durch die Feme im Götz keine Kolportage? Die Form? Aber seht ihr nicht, daß die Form hier im Adel der Bilder liegt? Sind die Türen, die vor dem Fliehenden sich auftun und sie der versammelten Inquisition gegenüberstellen, nicht die Gestaltung eines Angsttraums? Das Moderne, das Neurasthenische? Aber wie wollt ihr, daß ein modernes Werk anders gestaltet sei als modern? Wenn ihr wiederum Schiller wollt, siehe oben.

Warum statt all solcher grämlichen Ausstellungen sich nicht dem Eindruck dessen, was sinnlich da ist, hingeben? Ist das nichts, diese Atmosphäre von düsterer Pracht und dumpfer Freudlosigkeit, dieses Schwelen der Leidenschaften, diese Kontraste zwischen bewegter, zerrissener Menschlichkeit und eherner Herrschsucht? Ist das nichts, dieser Pomp des Hofes, diese Lichtheit jugendlicher Liebe, diese Konsequenz der Intrige, diese Vision vom Abschied der Liebenden im Kerker? Zweifellos auch Mißlungenes. Der breit ausklingende Schluß lahmt, die Spieler, namentlich auch Klöpfer sind keineswegs auf der Höhe, der Saal der Inqusition ist ganz unmöglich. Aber wenn es auf Einzelheiten ankommt, welches Meisterwerk der Weltliteratur will ich nicht in Grund und Boden rezensieren? Seht ihr nicht, daß hier in diesem konsequenten Aneinanderreihen leidenschaftlich bewegter Bilder, in dieser überaus prächtigen Behandlung des Kostüms, das durchweg zur Charakterisierung herangezogen ist, in dieser herrlichen Zusammenfügung von Figur und Dekor, von Antlitz und Kleidung eine ganz neue Form sich herausbildet? Warum also nicht das Wesentliche herausheben?

Was mir zu bestätigen scheint, daß ich mit dieser Auffassung recht habe, ist, daß CARLOS das Endglied einer Entwicklungskette ist. Man kann gewiß bedauern, daß Oswald sich vom Spielfilm abgewandt hat. Aber von LADY HAMILTON über LUCREZIA BORGIA zu CARLOS UND ELISABETH führt eine konsequente Linie zur immer stärkeren Verdichtung des Bildmäßigen. Man konnte LADY HAMILTON als ein schwaches Produkt des Konkurrenzehrgeizes ablehnen, man konnte vor LUCREZIA schwanken, ob man sie wegen der Zerrissenheit und Unausgeglichenheit des Manuskripts und der unzulänglichen Besetzung der Titelrolle verdammen oder wegen der Neuartigkeit des Bildmäßigen loben sollte (was die wenigsten getan haben), man kann auch diesen Film, weil einem »die ganze Richtung« nicht paßt, bei Seite stellen. Aber man kann nicht verkennen, daß er Neues will und Neues gibt und daß er voller Schönheiten ist.


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