Reihe CineGraph Buch
Johannes Roschlau
(Red.)
Zwischen Barrandov und Babelsberg
Deutsch-tschechische Filmbeziehungen im 20. JahrhundertJohannes Roschlau:
Zwischen Barrandov und Babelsberg
Der Mädchenkrieg
(D 1977, Bernhard Sinkel)
Quelle: Deutsche Kinemathek, Berlin
Zwischen Barrandov und Babelsberg
Kulturní most – Kulturbrücke hieß eine Beilage der Kulturzeitschrift Die Kritik, die Hans Feld – der im März 1933 aus Nazi-Deutschland emigrierte langjährige leitende Redakteur und Kritiker des Film-Kurier – ab 1935 im prager Exil herausgab. Das Blatt, in dem tschechische Autoren auf Deutsch und deutsche Autoren auf Tschechisch schrieben, sollte ein Zeichen gegen den zunehmenden Nationalismus setzen, der das Zusammenleben von Deutschen und Tschechen in der ČSR immer stärker beeinträchtigte. Dieses Schlaglicht auf das deutsch-tschechische Verhältnis Mitte der 1930er Jahre erhellt auch die zentralen Grundmuster, die die deutsch-tschechischen Filmbeziehungen prägten: Das wiederholte Aufreißen von Gräben und das redliche Bemühen Einzelner, Brücken zu schlagen – mitunter ergänzt durch unspektakuläre, wirtschaftlich motivierte Formen der Kooperation.
Filmbeziehungen – als Gesamtheit aller Verbindungen und Bezüge zwischen den Institutionen, Organisationen und Personen, die mit der Filmproduktion und -distribution, den Filmen und dem Publikum zu tun haben – entwickeln sich auf der Folie historischer Beziehungen zwischen Staaten, Nationen und deren Angehörigen. Sich mit ihnen aus filmhistorischer Perspektive zu beschäftigen, ist in zwiefacher Hinsicht aufschlussreich. Zum einen lässt sich der Einfluss der internationalen politischen, kulturellen und ökonomischen Entwicklungen auf die Entfaltung der nationalen Kinematografien untersuchen. Gleichzeitig bietet der Film als Leitmedium des 20. Jahrhunderts die Möglichkeit, seine Erzeugnisse und Produktionsverhältnisse als Indikator und Spiegel dieser Entwicklungen zu lesen.
Besonders lohnend ist dabei der Blick auf das Verhältnis zwischen Deutschland und seinen südöstlichen Nachbarstaaten, das von einer gemeinsamen kulturellen Tradition, aber auch von fortdauernden kulturellen und politischen Auseinandersetzungen geprägt war. Erschwerend kam hinzu, dass es sich nicht nur um Konflikte zwischen Nationalstaaten handelte, sondern auch um Nationalitätenkonflikte innerhalb Böhmen und Mährens bzw. der ČSR, wo deutsche und tschechische Bevölkerungsgruppen zusammenlebten. Zudem gab es ein großes wirtschaftliches Gefälle zwischen der Großmacht Deutschland und dem kleinen, erst 1918 gegründeten Staat der Tschechen und Slowaken. Diese Konstellation war dafür verantwortlich, dass die Phänomene, die die Signatur des 20. Jahrhunderts prägten, hier besonders schmerzhaft erfahren wurden. Nationalismus, Krieg, Exil, Okkupation und »ethnische Säuberungen«, die Auseinandersetzungen von Ideologien und politischen Systemen hinterließen deshalb vor allem in der tschechischen bzw. tschechoslowakischen Kinematografie tiefe Spuren.
Die Beiträge des vorliegenden Bandes versuchen sich anhand ausgewählter Beispiele an einem historischen Längsschnitt durch das vergangene Jahrhundert, der dem Verlauf der deutsch-tschechischen »Film-Beziehungskurve« nachspüren soll. Großen Raum nehmen zwangsläufig die katastrophale Kulmination der Jahre 1939–45 und deren Folgen ein – die Besetzung der ČSR und ihre Umwandlung in das Protektorat Böhmen und Mähren durch das nationalsozialistische Deutschland sowie die Vertreibung der Sudetendeutschen nach Kriegsende. Andere Texte beleuchten die Zeit der zunehmenden Konfrontation in den 1920er und 1930er Jahren oder die vorsichtigen Annäherungsversuche zwischen der Tschechoslowakei und den beiden deutschen Staaten nach 1945.
Die kulturelle und politische Konkurrenz zwischen den Bevölkerungsgruppen und ihr Kampf um nationale Identität zeigen sich in den prager Demonstrationen gegen deutschsprachige Tonfilme 1930, in der politisch motivierten Zensur deutscher Filme in der ČSR, in der Notwendigkeit für die Tobis-Klangfilm, aus Angst vor antideutschen Ressentiments beim Kampf um den tschechoslowakischen Markt für Tonfilmapparaturen als niederländische Firma aufzutreten und in den zum Teil empfindlichen Reaktionen beider Nationalitäten auf Filme, die in deutsch-tschechischen Sprachversionen produziert wurden – wobei österreichische und reichsdeutsche Darsteller in der Regel den einheimischen deutschböhmischen Schauspielern vorgezogen wurden.
Der Aufbau und die Entwicklung des bürokratischen Apparates zur Lenkung der Filmproduktion im Protektorat Böhmen und Mähren lassen die Mechanismen der nationalsozialistischen Herrschaftsausübung und die Strategien bei der Aneignung von Wirtschaftsbereichen in okkupierten Ländern erkennen. Die Biografie des Filmfunktionärs Karl Schulz veranschaulicht exemplarisch die Aufstiegsmöglichkeiten und Machtkämpfe in der Administration der eroberten Gebiete. Die kontrovers diskutierte Mitarbeit des Produzenten Miloš Havel und des Regisseurs Otakar Vávra in der Protektoratskinematografie verweist auf die grundsätzliche Frage nach den Verhaltensmöglichkeiten von Filmschaffenden zwischen Kollaboration und Widerstand in diktatorischen Regimen. Die Regisseure Carl Lamač und Fritz Lang wählten dagegen das Exil, wo sie antifaschistische Filme drehten, die wiederum in der besetzten ČSR spielten. Das Bedürfnis nach authentischer Darstellung der tschechoslowakischen Realität mussten sie allerdings oft der Anpassung an amerikanische oder englische Rezeptionsgewohnheiten unterordnen.
An der Entwicklung des Deutschenbildes in den tschechoslowakischen Okkupationsfilmen der Nachkriegszeit lässt sich nicht nur die anhaltende Auseinandersetzung der tschechischen Gesellschaft mit dem Kriegstrauma nachvollziehen, sondern auch die sozialen und politischen Veränderungen in der Tschechoslowakei. Gleichzeitig belegt die Kontinuität bestimmter Klischees auch das Fortwirken tiefsitzender Feindbilder. Zwei Fallbeispiele weisen auf die seltene Thematisierung der Vertriebenenproblematik in den Filmen der beiden deutschen Nachkriegsstaaten hin. Die Sehnsucht nach der verlorenen Heimat und die Suche nach der eigenen Identität stehen sowohl in Rolf Thieles Flüchtlingsgeschichte Mamitschka als auch – in der DDR – im literarischen und filmischen Werk des böhmischen »Umsiedlers« Günther Rücker im Vordergrund.
Die langsame Wiederannäherung zwischen Deutschen und Tschechen spiegelt sich schließlich in punktuellen Co-Produktionen, die allerdings unterschiedlichen Motiven entsprangen. Während für die tschechische Seite die Zusammenarbeit mit der DEFA eher ideologischen Erwägungen geschuldet war, machte bei gemeinsamen Projekten mit westdeutschen Fernsehsendern die Aussicht auf harte Devisen die systemübergreifende Kooperation möglich. Die deutschen Partner profitierten dafür von der Kunstfertigkeit der tschechischen Filmschaffenden bei der Realisierung von Animations- und realistisch-fantastischen Märchenfilmen.
In dieser Tradition versteht sich auch die vorliegende »Tour d’horizon« durch ein deutsch-tschechisches Film-Jahrhundert als länderübergreifende Co-Produktion, die hoffentlich weitere Forschungen auf diesem Gebiet anregen wird.
Johannes Roschlau
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