FilmMaterialien 10 - Der komische Kintopp.
Ehe das Charakterfach kommt
Gerhard Dammann
in: Die Filmwoche, Nr. 12, 20.3.1929
Der seit mehr als zehn Jahren erfolgreiche Filmkünstler hat sich auf unsere Bitte bereit finden lassen, ein wenig aus seinen Erinnerungen auszuplaudern.
Wenn für jemand, der früher Lustspieldarsteller war - oder Komiker ... oder wie Sie es nennen wollen! - wenn für einen solchen Jemand eines Tages festgestellt wird, daß er nun ins Charakterfach übertreten darf, so ergibt sich daraus zweierlei: ein Mal ein Aufatmen - und ein anderes Mal ein nachdenkliches Zurückblicken. Schließlich läßt sich nicht verbergen, daß mit dem Fachwechsel unwiderruflich ein Lebensabschnitt gekennzeichnet ist, - und jeder Abschnitt, der hinter einem liegt, bedeutet einen Schritt mehr der letzten Rolle entgegen. Aber beides: Aufatmen und Zurückblicken - braucht nicht tragisch genommen zu werden: wer zehn Jahre hindurch lustige Rollen gespielt hat, hat damit das Recht erworben, nun auch einmal "spanisch zu kommen", - ich meine: sich ernst zu gebärden. Es ist eine alte Theorie, daß der Lustspielmensch sowieso der charaktervollste Charaktermensch sein müsse, um überhaupt komische Rollen verkörpern zu können. Ob das wahr ist? Von mir selber kann ich das nicht beurteilen, von den berühmten Kollegen habe ich es allerdings immer bestätigt gefunden. Ich habe stets den Komiker - oder vielmehr die Komiker als die größten Künstler verehren müssen, die das Allermenschlichste in sich trugen - und es auch zu gestalten wußten ...
Zu gestalten wußten ..., - darauf lege ich den Hauptwert. Die sparsame Mimik in allen Ehren, aber es gibt daneben auch eine Verirrung der Sparsamkeit, eine übertriebene Sparsamkeit, die schon Geiz und Knickrigkeit wird. Sparsamkeit der Geste ist löblich, Knickrigkeit aber ist kaum noch Gestaltung. Der Mensch, den der Künstler verkörpert, braucht nicht jeden Gedanken mimisch aussprechen zu wollen, aber er darf - das ist mein Glaubensbekenntnis geblieben - er darf nicht den Grundsatz haben, nun gar nichts mehr andeuten zu wollen, weil das Publikum sich ja doch schon seinen Teil denken könne. Mit dieser Anschauung bin ich - der jahrelange Lustspieldarsteller - in das Charakterfach eingetreten, ... nicht in der Annahme, mich damit mausern zu müssen, - aber auch nicht in der Täuschung, abseits vom Modernen zu stehen.
Als wir vor noch und noch Jahren die ersten Lustspiele drehten, bestand unter dem Einfluß Linders und anderer Prominenten überall die Neigung, größte Beweglichkeit zu zeigen: alles mußte in schnellstem Tempo heruntergespielt werden. Damals kamen Worringen und ich überein, Ruhe zu markieren: ich sagte zu den mitspielenden Kollegen, wir könnten getrost mit den Händen in den Hosentaschen dastehen. Das war ... heute klingt das unglaublich ... einfach eine Sensation: wo der Film doch Hast und Unruhe und Tempo war, sollten Schauspieler die Hände in die Taschen stecken? Und trotzdem: es ging. Mit einmal waren wir aus dem Anfangsstadium der Kapriolen, der Überstürzungen heraus.
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