FilmMaterialien 10 - Der komische Kintopp.

Eine populäre Kino-Schauspielerin

Aus dem Leben unserer Anna Müller-Lincke

in: Lichtbild-Bühne, Nr. 9, 27.2.1915


Bei dem regen Interesse, das man den Müller-Lincke-Films überall entgegenbringt, dürfte es von Wert sein, etwas Näheres über diese Kinokünstlerin zu erfahren, die in der Zeit ihrer Tätigkeit für das Kino zu besonderer Popularität gelangt ist.

"Auf der Bühne geboren" - könnte man von Anna Müller-Lincke fast sagen, denn sie gehört ihr seit ihrem vierten Lebensjahre an, "für die Bühne geboren" - darf man aber ganz gewiß sagen, denn eine so glückliche Vereinigung von natürlicher, schauspielerischer Begabung, dramatischer Gestaltungsfähigkeit und künstlerischem Gründens, wie man sie bei Anna Müller-Lincke antrifft, kann und darf nur den einen Weg "über die Bretter" weisen. Diesen Weg betrat die Künstlerin, nicht im Sturmschritt, wie so viele sogenannte "Sterne", sondern ausgehend von den ersten Grundlagen der in ständiger praktischer Tätigkeit erworbenen Kenntnisse der dramatischen Kunst, frohen Sinnes fortschreitend und festen, klaren Auges dem Ziel zusteuernd, das sie in unablässigem Streben nach Vervollkommnung ihrer Kunst erblickt.

Nicht nur bei deutschen Bühnen, auch im Auslande ist Anna Müller-Lincke dem Theaterpublikum keine Unbekannte und höchst anerkennende Kritiken, sowie zahlreiche Einladungen zu Gastspielen beweisen, daß man ihren künstlerischen Darbietungen dort die gebührende Wertschätzung entgegenzubringen weiß. Den Berlinern aber ist Anna Müller-Lincke "als wär's ein Stück von mir" - , sie gehört den Berlinern, die Berliner aber auch ihr! - Selbst ein Kind der Reichsmetropole, verstand sie es, vermittels feiner Beobachtungsgabe in die tiefsten Tiefen der Volksseele einzudringen und deren leiseste Regungen zu lenken und Dank ihres erstaunlichen und vielseitigen Charakterisierungsvermögens stellte sie in Rollen Figuren auf die Bühne, welche in ihrer künstlerischen Vollendung, in ihrer Lebenswahrheit, in ihren naturgetreu durchgearbeiteten Gefühlsschattierungen der Künstlerin begeisterte Erfolge eintragen und ihr die wärmsten Sympathien des Publikums und der gesamten Presse zuwendeten. Anna Müller-Linckes Fach sind die Soubretten-Partien. Auf diesem Gebiete schafft sie meisterhafte Typen vom urbiedern gesunden Humor der Frau aus dem Volke bis zum pikant prickelndem mousseuxartig schäumenden Charme der ungebundenen Lustigkeit, sowie sie andererseits auch die tieferen Seiten des menschlichen Gemüts in allen seinen ergreifenden Klangfarben anzuschlagen wußte. Ihrem stimmlichen Vermögen ließ die Künstlerin gründlichen Unterricht bei der berühmten Frau Professor Mallinger angedeihen, während sie als Schauspielerin keine andern Lehrer hatte, als einen energischen Fleiß und ein Herz voller Liebe zur Kunst, unterstützt durch eine bereits in allerfrühester Jugend sich äußernde dramatische Begabung.

Anna Müller-Lincke ist, wie bereits erwähnt, schon als vierjähriges Kind auf der Bühne, und zwar derjenigen des ehemaligen Nationaltheaters am Weinbergsweg tätig gewesen. Dort sog die die Bühnenluft ein, die, wenn man sie erst einmal geatmet, gewöhnlich dann zur indispensablen Existenzbedeutung wird. Das Reich der Bretter und Kulissen wurde ihr eine zweite Welt. Weitere Engagements an das Viktoria-Theater, Belle-Alliance-Theater, Central-Theater, Adolf-Ernst-Theater folgten und türmten Erfolge auf Erfolge. Das Publikum jubelte der Künstlerin bei ihrem Erscheinen auf der Bühne allabendlich stürmisch zu und bereitete ihr begeisterte Ovationen. Den derzeitigen Besuchern oben genannter Kunststätten, die teilweise eingegangen, andernteils wiederholtem Direktionswechsel unterzogen worden sind, und dadurch auch meist das Repertoire geändert haben, werden die köstlichen Stunden heiterer Launen, in denen die Künstlerin aus dem innersten Herzen strömende Kunst darbot, unvergeßlich bleiben.

Nach vorübergehender Tätigkeit am Metropol-Theater wurde Anna Müller-Lincke an das Berliner Lessing-Theater engagiert, woselbst sie lange mit ungeschwächtem Erfolge wirkte. Hier, an dieser vornehmen Bühne Deutschlands hat sie sich ebenso, wie auf ihren früheren Engagements, die Gunst und Anerkennung des Publikums und der Kritik rückhaltlos erobert und sich dank ihrer ausgezeichneten Leistungen einen dauernden Ehrenplatz in der Mitte deutscher Bühnenkünstler gesichert. Für ihre vorzüglichen dramatischen Fähigkeiten wurde ihr die Ehrenmitgliedschaft des Vereins für Kunst und Wissenschaft zuteil.

Eine sechsjährige Tournee hat die Künstlerin daraufhin über den ganzen Erdball geführt und ihr allenthalben gleiche Erfolge spontanster Begeisterung eingebracht.

Nach Deutschland zurückgekehrt, hat sie mehr als Spielball ihrer Launen als zum Erwerbe dem Kurbelkasten Nahrung gegeben, um auf diesem nicht mehr ungewöhnlichen Wege ihren vielen Freunden, Gönnern und Verehrern in Nord- und Südamerika und Australien zu zeigen, daß sie noch lebt und ihr altes Fach noch meisterhaft beherrscht. Augenblicklich kann man die "Königin des Humors" fast jeden Nachmittag in den Lazaretten und Wohlfahrts-Anstalten treffen, wo sie in liebevollster Weise materielle und geistige Opfer im Dienste christlicher Nächstenliebe den braven Vaterlandsverteidigern bringt.

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