FilmMaterialien 10 - Der komische Kintopp.

Als Karl Valentin filmte

Walter Jerven

in: Film-Kurier, Nr.227, 21.9.1928


Das ist schon zwölf Jahre her. Die Welt hatte das Lichtlein des Films erblickt und der Geist des Kitsches schwebte über dem Kino.

Da erwachte auch in Münchens großem Komiker Karl Valentin der Wunsch, die magische Fläche der Leinwand zu beschatten.

Und eines Abends schrieb er bis in den Morgen hinein. Und es ward aus Abend und Morgen ein Manuskript. Das nannte er VALENTINS HOCHZEIT.

In diesem Manuskript wurde nicht kilometerlang geknutscht, wie es damals im Schwung war. So zwar, daß das Gefüge des Alltags darüber aus dem Leim ging, auf den der Hochzeiter Valentin kroch.

Und da Karl Valentin die Gegensätze liebt, holte er seine unvergleichliche Partnerin, die Liesl Karlstadt, hinzu, die - klein und rund - glänzend zu ihm paßt, der arm an Fleisch, doch reich an Knochenlänge ist.

Sie waren das erste Pat- und Patachonpaar, die ersten Groteskfilmer, lange bevor Amerika seine Grotesken nach Deutschland schickte.

Und Valentin baute eigenhändig ein Freilichtatelier, auf einer grünen Wiese, gegenüber dem Ostfriedhof in München. Und wenn er den Kurbelkasten drehte, läutete drüben das Totenglöcklein.

Doch eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Ein Freilichtatelier macht noch keinen Film.

Die Kopie zeigte ein Zimmer mit Menschen, durch deren Hosen der Wind pfiff, auf deren Nasen die Sonne goldene Kringel warf. Trotzdem lief die "Hochzeit" in den Münchener Kammerlichtspielen. Das Publikum quietschte.

Der Filmverleiher gewährte dem hageren Narren keine Audienz.

"Macht nix," denkt Valentin und verkauft seine HOCHZEIT an einen Bekannten, der Inhaber eines Jungen ist, dem der Weihnachtsmann ein Kinderkino gebracht hatte.

Der Bekannte aber verkaufte die HOCHZEIT an einen Althändler, der sie an einen Münchener Kinobesitzer vermietet. Sie läuft aufs neue, und wiederum quietscht das Publikum.

Jetzt faßt Karl Valentin einen großen Entschluß. Er nimmt der städtischen Sparkasse die Sorge um sein Erspartes ab, steckt sich den Hosensack prallvoll mit Geldscheinen und mietet einen Käseschuppen.

In dem Käseschuppen fällt kein Strahl der bösen Außenwelt. Folglich kann man hier ungestört lichtspielen.

Karl Valentin besaß das erste Kunstlichtatelier der Welt.

Dann engagiert er Herrn Baritzky, der sich ihm als Operateur bestens empfohlen hat.

Dann schießt er von der Baubehörde zum Stadtmagistrat, vom Verkehrs- zum Verschönerungsverein, greift in den Hosensack und kauft für fünfmal fünfhundert Mark Jupiterlampen. Herr Baritzky schießt ihm nach und kassiert Vorschuß.

Dann dreht Karl Valentin zum zweitenmal die HOCHZEIT viele Flimmerwochen lang.

Dann entlohnt er Herrn Baritzky, der sofort die Koffer packt, um sich recht bald nie wieder sehen zu lassen.

Darauf Premiere der zweiten HOCHZEIT im Zachschen Lichtspielhaus. Der Apparat surrt, die Leinwand bleicht auf. Doch: ist alles dunkel, ist alles trübe... Der Baritzkystreifen bleibt zu nichts nütz als - nach Karl Valentins Worten - zu Strumpfbandeln für's Kinderasyl.

Jetzt installieren sich zwei Münchener Firmen und Karl Valentin muß ihren ersten Geh- und Drehversuchen auf seine langen Beine helfen.

Nach einiger Zeit ein großes Ereignis: Karlchen entdeckt seinen Vornamensvetter Charlie. Die ersten Chaplinstreifen rollen über den Kontinent. Es beginnt der Wettlauf der Filmverleiher um die Groteske.

Und Karl Valentin kehrt von seinen Windmühlenfahrten aus dem Reich des Films zurück ins Kabarett, von wo er ausgegangen.

Nach Jahr und Tag taucht ein Regisseur im Kabarett auf. Er macht am nächsten Morgen um neun Aufnahmen zu einem Postillonfilm.

"Postillon?" denkt Karl Valentin, "dös mag i! O du guate, alte Zeit!"

Pünktlich am anderen Morgen tritt er ein. Mit der Liesl Karlstadt. Bereits geschminkt, steigen sie aus dem Auto, damit der Regisseur, dem es so pressiert hat, keine Zeit verliert. Aber der bereitet noch den Empfang einiger Stars vor, die auch in Abständen von mehreren Minuten und Stunden einzeln herbeigeströmt kommen.

Und mit der Uhr in der Hand und dem Gold einiger Flüche im Mund dreht Karl Valentin den Drehstücken endgültig den Rücken.

Doch noch während er sich die Kinotopperei untersagt, überredet ihn ein anderer. Und Valentin unterschreibt einen Vertrag und denkt: "Jetzt wird's Licht!"

Regisseur und Autor reden. "Zwei Seelen und kein Gedanke", denkt Valentin und macht Vorschläge, die wie Brosamen von seinem Tische fallen. Doch: die ihn überreden, überhören ihn auch. Sie drehen ihren Film.

Aber noch bevor der zum Laufen kommt, sieht Karl Valentin in einem Kino einen anderen Film, von dem Regisseur und Autor ihre "Ideen" so gründlich bezogen haben, daß ein Blinder die Ähnlichkeit sieht.

Und Karl Valentin geht zum Rechtsanwalt und läßt an Regisseur und Autor schreiben, daß er die Aufführung des mit ihm gedrehten Films verbiete.

Der liegt unuraufgeführt in einer Tischlade. Und wenn er nicht verdorben ist, so liegt er dort noch heute!

Nächster Artikel - Zurück zum Inhalt von Heft 10 - Andere Hefte der Reihe.