FilmMaterialien 10 - Der komische Kintopp.

Frühe deutsche Filmkomödie

1895-1917

Thomas Brandlmeier

Erweiterte deutsche Fassung von: Early German Film Comedy, 1895-1917. In: Thomas Elsaesser (Hg.): A Second Life. German Cinema's First Decades. Amsterdam: Amsterdam University Press 1996, S. 103-113.


Alle Filmgeschichtsschreibung in Deutschland beginnt - nolens volens - bei Skladanowsky. Das Wintergarten-Programm der Gebrüder war aufs internationale Varieté ausgerichtet: Exotisches, Fremdländisches, Groteskes. Kein deutscher Volkstanz, sondern italienischer Bauerntanz und Kosakentanz. Keine Pferde- oder Hundedressur, sondern "Känguruh-Boxen". Kein Turnvater Jahn, sondern "komisches Reck". 1896 drehen sie kleine inszenierte Szenen mit komischem Verlauf. Nicht das Oktoberfest in München oder der Zoo in Berlin sind als Handlungsorte gewählt, sondern das Tivoli in Kopenhagen und der Tiergarten zu Stockholm. Berühmt ist die Szene vor dem Tivoli: In mehreren gegenläufigen Bewegungen wird geschickt die Kollision einer Gruppe Vergnügungssüchtiger inszeniert; Höhepunkt ist ein Radfahrer, Max Skladanowsky selbst, der schräg aus der Bildtiefe kommend die Stolpernden und Streitenden niedermäht. - So treudeutsch sich die Brüder später im Skladanowsky-Streit geben mochten, ihre Anfänge waren international gesinnt.

Die Jahre des Varieté- und Zirkuskinos waren auf Verschleiß der Kopien ausgerichtet. Wenig ist uns deshalb erhalten, in Deutschland einiges von Skladanowsky, Seeber und anderen, das meiste von Messter. Mehr als ein Jahrzehnt Filmgeschichte liegt in einem ziemlichen Dunkel. Ein Versuch aus dem wenigen rückzuschließen, läßt für das deutsche Kino zwei Tendenzen erkennen. Einerseits eine Fortsetzung des Exotischen, Sensationellen, Ungewohnten.
TANZ DER SALOME (1906, Erstfassung 1902) (1), DIE SCHLANGENTÄNZERIN (1909), TILLY BÉBÉ, DIE BERÜHMTE LÖWEN-BÄNDIGERIN (1908), APACHENTANZ (1906), AKTSKULPTUREN (1903), NACH DER REITÜBUNG (1906). Tilly Bébé, die mit ihren Raubtieren durch ganz Deutschland tourte, besaß die Berühmtheit einer Mae West des Kaiserreichs. Wo immer sie auftauchte überschlug sich die Lokalpresse in sensationslüsternen Berichten. Ihre Mischung aus Raubtierdressur und Dominaerotik bediente das Verdrängte und Verbotene. Der Tilly Bébé-Film von 1908 ist schon relativ spät, steht aber thematisch am deutlichsten für eine eskapistische Tendenz, die aus einer erlaubten/tolerierten Sphäre der Unterhaltungsindustrie ins Kino hinübergewachsen ist.

Die Entwicklung des Komischen im deutschen Kino ist in eine andere Tendenz eingebettet, die sich mit demselben Recht aus der deutschen Unterhaltungsindustrie herleitet und eine klassische tabuverletzende Sphäre ins Affirmative, Gefällige, Gewöhnliche umlenkt. Die Messter-Produktion spielt hier die zentrale Rolle. Das früheste erhaltene Dokument ist
AUF DER RENNBAHN IN FRIEDENAU von 1904 mit dem populären Varietédarsteller Robert Steidl. Dieser gibt eine routinierte Rüpelnummer, die auf einem klassischen Theatercoup beruht. Die Menge der Zuschauer vor der unsichtbaren Radrennbahn mimt durch rhythmisches Schwenken der Körper und Köpfe Publikum und Rennbahn zugleich. Steidls komische Kunst besteht darin, sich durch die wogenden Körperrümpfe nach vorne zu schaukeln. Natürlich steigert sich das Schaukeln zum Drängeln und Schubsen. Das Ganze dauert gerade mal vier Minuten. 1920 entsteht Karlheinz Martins VON MORGENS BIS MITTERNACHTS. Auf der Radrennbahn übernimmt Martin die teichoskopische Anordnung. Das Schaukeln der Massen wird jetzt offen bedrohlich, entlarvt, was der schnarrende, preußisch-berlinernde Ton der Steidl-Szene schon ankündigt: diese Massen sind zu allem fähig.

Die Messter-Produktion ist reich, sie kauft alles ein, was als gut und teuer gilt. Die Tonbilder zeigen Opernstars mit populären Arien, aber auch die Spitzenverdiener des deutschen Varieté-Betriebs. Josef Giampietro ist mit dem Couplet "Komm, Du kleines Kohlenmädchen" vertreten, Alexander Girardi mit dem Fiakerlied. Die beiden Österreicher gehören zu den Superstars der Epoche, sie karikieren sie ebenso wie sie deren offizielle Schneidigkeit einzigartig zu verkörpern wußten. "Der Wiener Giampietro konnte einen preußischen Offizier genau so gut spielen wie einen österreichischen... Giampietro war künstlerisch verliebt in die Offizierstypen der Vorweltkriegszeit."
(2) Im ganzen Reich berühmt war sein Refrain "Donnerwetter, Donnerwetter, diese Kerle. Jeder einzelne von ihnen eine Perle! Donnerwetter, Donnerwetter, tadellos!" Wie Giampietro war Girardi ein scharfer Karikaturist, der dennoch fest im ancien régime verwurzelt war: "In Girardi lebte noch der Glaube. In ihm sammelte sich die bejahende Kraft, die der Zersetzung ebenso in Gefühlsseligkeit wie in nihilistischer Witzelei sich entgegensetzte." (3)

Messters Filmproduktion beginnt mit Bildern vom Kaiser. Systemtreue und Geschäftssinn gehen eine selbstverständliche Verbindung ein. Wie kein zweiter ist Messter mit seinen Filmen in die Unterhaltungsindustrie der Epoche eingebunden. Seine Schärfe übersteigt nie die Grenzen des sozialen Konsenses. Gerhard Dammann und Bobby, der bis heute sein Inkognito zu wahren wußte, (4) wurden seine komischen Hausstars. MERICKE AUS NEURUPPIN KOMMT NACH BERLIN (Adolf Gärtner, 1911) scheint der einzig erhaltene frühe Dammann-Film zu sein. Der Film gibt sich großstädtisch-weltläufig: der Provinzler als komische Figur in den Fallstricken der Metropole. Doch der Schein trügt. Die Straßenszenen funktionieren noch als objektiver Maßstab eines komischen Zivilisationsgefälles, aber spätestens im Restaurant entlarvt sich die Entlarvungskomik selbst als provinzielle Denunziation: der Kerl hat keine Manieren. "Deutsche Bierbauchkomik" resümiert 1923 Hans Siemsen in der "Neuen Schaubühne". Die Formulierung ist vielleicht etwas hart, aber trifft den entscheidenden Punkt. Dammann, einer der populärsten deutschen Filmkomiker damals, wurde bewußt als "deutsch" im Gegensatz zu "grotesken Farcen ... und albernen Hanswurstiaden" verkauft (Lichtbild-Bühne, Nr. 7, 15.2.1913).

Die Messtersche Komödien-Produktion war in ihren eigenständigen Erfindungen die deutsche herrenwitzelnde Variante der frühen Filmkomödie. Die ersten Anfänge kann mangels erhaltener Beispiele leider nur ein Blick in die Literatur überbrücken. Der Messter-Katalog von 1898 liefert eine Inhaltsangabe des Films
DER KAMPF UMS DASEIN: "Auf dem Korridor eines Hotels ist die Tür eines Gastzimmers und daneben die Toilette erkennbar, letztere wird durch einen Gast betreten, hierauf erscheint der Herr aus dem Nebenzimmer, um gleichfalls diese zu besuchen, findet die Tür 00 jedoch verschlossen, ängstliche Pein und Ärgernis drückt sich im Gesicht dieses Gastes aus, dasselbe wiederholt sich bei dem vergeblichen Versuch eines anderen Herren, der nur mit Hosen bekleidet, ungeduldig an der Tür klopft. Endlich tritt der erste Herr aus der Nr. 00 heraus und im selben Momente stürzen sich beide andere Herren auf die Tür, es entsteht eine Prügelei und der mit dem Kaffeegeschirr herzutretende Kellner wird angerempelt und stürzt. Ein äußerst humoristisches Sujet, welches stets zum Lachen reizt, das Bild ist tadellos." - Hinter dem sozialdarwinistischen Titel DER KAMPF UMS DASEIN verbirgt sich unübersehbar ein Musterbeispiel dessen, was Freud um 1905 als Analsadismus analysiert hat.

Diese deutsch-herrenwitzige Linie setzt sich in den erhaltenen Messter-Komödien um 1910 fort. SCHWIEGERMUTTER MUSS FLIEGEN (1909) ist ein Schwiegermutter-Witz um die Über-Mutter, die überall die Oberhand haben muß und bei der neuesten technischen Errungenschaft des Fliegens Opfer ihrer eigenen Ambitionen wird.
EINE BILLIGE BADEREISE (1911) hat bezeichnenderweise das Ehepaar "Bier" als Protagonisten. Herr Bier, der die Rechnung im Kurhotel nicht bezahlen kann, wettet mit drei anderen Herren am Tisch um 300 Mark, daß es ihm als erstem gelingt die Aufmerksamkeit der Dame am Nebentisch zu erwecken. Das Spiel mit der Libertinage platzt plump, indem die Dame am Nebentisch seine eingeweihte Ehefrau ist. Einem ähnlichen Muster gehorcht EIN GUTES GESCHÄFT (1911). Ein kleiner Gauner mogelt sich durch, indem er einen Hund stiehlt und dann die Belohnung für die Wiederfindung kassiert, in einem Restaurant angeblich verdorbenes Essen reklamiert und in einem Bekleidungsgeschäft mit Vorbedacht seine alten Klamotten ruiniert. Die soziale Kontroversität des Komischen ist hier ganz ins Putzige verkehrt. Dasselbe gilt für DAS VERZAUBERTE CAFÉ (1911), wo ein Schlafwandler ein Café demoliert, den Schaden nicht bezahlen kann und an die Luft gesetzt wird.

Selbstentlarvende wilhelminische Komödien sind
DER ROSENKAVALIER (1911), ZUVIEL DES GUTEN (1913) und EIN NEUER ERWERBSZWEIG (1912). In DER ROSENKAVALIER wird "männliches Balzverhalten" (Heide Schlüpmann) komisch vorgeführt und verhindert zugleich. Der gockelhafte Troubadour rennt regelmäßig in die Arme wilhelminischer Autoritäten, zum Schluß wird er von der Polizei verhaftet. Im Gefängnis malt er die nie überbrachten Rosen an die Wand. In ZUVIEL DES GUTEN liebäugelt eine Dame mit dem Erwerb eines Mopses. Prompt überbringen alle ihre Verehrer einen Mops. Die Invasion der Möpse reißt mit dem demolierten gutbürgerlichen Salon ihren Witz über männliche Balz im Stammtischformat: Die Herzensgabe wird in dieser Variante zwar überbracht, aber schlägt schenkelklopfend auf die Überbringer zurück. EIN NEUER ERWERBSZWEIG schüttet seine Häme über weibliches Begehren aus: Ein Heiratsschwindler leimt zwei alte Jungfern.

Etwas komplizierter ist die Situation bei den Messter-Produktionen der Bobby-Reihe. Bobby, der Gegenspieler von Dammann, war ein gewiefter Plagiator. Von den vier erhaltenen Filmen (
BOBBY ALS DETEKTIV, 1908; BOBBY ALS AVIATIKER, 1911; BOBBY BEI DEN FRAUEN-RECHTLERINNEN, 1911 und BOBBY HAT HUNDEMEDIZIN GETRUNKEN, 1911) scheinen mindestens drei ein französisches, italienisches oder englisches Vorbild zu haben. BOBBY HAT HUNDEMEDIZIN GETRUNKEN ist ein einfaches Quidproquo mit fatalen Folgen: Bobby verwandelt sich in einen bellenden und kläffenden Hund, der auf allen Vieren herumhüpft, was zu allerlei Obszönitäten Anlaß gibt und ganz und gar undeutsch wirkt. Tatsächlich sind frühere italienische und französische Grotesken mit Pferdemedizin und ähnlichem Verlauf aktenkundig.(5) BOBBY BEI DEN FRAUENRECHTLERINNEN zeigt Bobby, als Frau verkleidet, auf einer Suffragetten-Versammlung. Er ergreift schließlich das Wort und hält eine zündende Rede, die die versammelte Weiblichkeit in brandenden Aufruhr versetzt. Im Eifer des Gefechts verrutscht allerdings die Verkleidung und der entlarvte Mann wird von den erbosten Suffragetten in wilder Jagd querfeldein gehetzt. Die Suffragetten-Groteske ist eine genuin englische Erfindung, die hier exploitiert wird. Auch der fürs deutsche Kino ungewöhnliche Plot von BOBBY ALS AVIATIKER erinnert an zahllose französische und italienische Komödien: Bobby konstruiert aus zweckentfremdetem Haushaltsgerät ein Flugzeug, das prompt abstürzt und explodiert. Bobby, in Rumpf und Glieder zerfetzt, wird in einer Polizeistation zwischengelagert, wo sich, in Trickfilm-Technik, die Einzelteile wieder zusammenfügen. Zum Schluß verdrückt er sich klammheimlich. Relativ eigenständig erscheint die frühe Komödie BOBBY ALS DETEKTIV (1908), die weniger grotesk als putzig wirkt.

Eine ausgesprochene Sensation innerhalb der Messter-Produktion ist
AUS EINES MANNES MÄDCHENZEIT (1912), wohl der früheste Film mit dem großen Wilhelm Bendow. Bendow, unter dem Vorwand eine Stellung als Dienstmädchen zu ergattern, liefert eine ganz undeutsche Travestie. Das Travestieschema des deutschen Kinos ist seit eh und je nicht die verführerische Täuschung, sondern die Ridikülisierung des falschen Geschlechts. Ausnahmen gibt es nur wenige, Curt Bois z.B. im DER FÜRST VON PAPPENHEIM (1927) oder Wilhelm Bendow in AUS EINES MANNES MÄDCHENZEIT. Wie hier homosexueller und bisexueller Diskurs ins Kino der Kaiserzeit geriet, ist mehr als bemerkenswert. Ein Merkmal früher Filmkomödie ist das Verhaftetsein an Bühnenkonventionen. Bendow greift dies auf, indem er mit dem Publikum/der Kamera kokettiert. Ökonomischer Zwang (ein Job, um Geld zu verdienen) verwandelt sich so in Lust (ein Rollenspiel, um den Objekten der Begierde näherzukommen). Die Verletzung der Normen und Hierarchien des Arbeitslebens verkehrt die alltäglichen Nöte ins Lustprinzip. Aber es ist nicht nur Bendow, der sich lustvoll als Dienstmädchen verkleidet und geil der hübschen Kollegin nachstellt, da ist auch der Diener, der der strammen Haushälterin mit Damenbart verfallen ist, und der Hausherr, der hinter dem verführerischen Bendow herschlawänzelt. Damit dieser erotische Haushalt funktioniert, muß er sich schon ziemlich weit vom Realitätsprinzip entfernen: Küche und Salon werden erotisch entgrenzt. Doch zum Schluß darf und muß wohl auch das Realitätsprinzip triumphieren: der entlarvte Transvestit wird von der Polizei, immer wieder Inbegriff der wilhelminischen Ordnung, abgeführt.

Der Institution der Ehe kommt in der klassischen bürgerlichen Gesellschaft eine zentrale ideologische Rolle zu, sind hier doch Erotik und Ökonomie einzigartig verknüpft. Der Reflex dieser sakrosankten Institution in der frühen Filmkomödie zeigt aber signifikante Unterschiede, wenn man andere europäische Produktionsländer mit Deutschland vergleicht. Italien, Frankreich, England sind auf Grotesken spezialisiert, die durchaus subversiv angelegt sind. Heiratsschwindler und Ehebrecher sind auffallend häufig erotisch und ökonomisch erfolgreich.
(6) Deutsche Filmkomödien kreisen dagegen um die Lieblingsfiguren des düpierten Hochzeiters und verhinderten Liebhabers. Wo illegitime Trieberfüllung in den Produktionen des europäischen Auslands gelingt, mißlingt in der deutschen Filmkomödie die legitime. DER ROSENKAVALIER, ZUVIEL DES GUTEN und EINE BILLIGE BADEREISE zeigen Varianten des verhinderten Liebhabers. DER KURZSICHTIGE WILLI HEIRATET (1913) und DON JUAN HEIRATET (1909), beides Bolten-Baeckers-Filme, zeigen den düpierten Hochzeiter. Josef Giampietro, Hauptdarsteller von DON JUAN HEIRATET, spielt mit geckenhafter Noblesse den bekehrten Schwerenöter. Die Kastration des Helden, schon im Titelparadox angekündigt, erfüllt sich aufs Düsterste: Die Verflossenen rotten sich zusammen und bringen in wilder Jagd Giampietro zur Strecke. Die symbolische Kastration eines Selbstmordversuchs kann ihn zwar vor den Mänaden retten, aber die Staatsgewalt, die den allgemeinen Tumult beendet, sperrt Giampietro samt Braut ins Gefängnis, die Metapher vom Ehegefängnis komplettierend. DER KURZSICHTIGE WILLI HEIRATET zeigt den Helden als Opfer der Eitelkeit. Ohne Brille erscheint ihm seine Herzensdame als Blüte der Weiblichkeit. Als der Hochzeiter endlich zur Brille greift, bleibt auch ihm nur noch die Flucht.

Um die schon wiederholt angedeutete Biederkeit vieler deutscher Filmkomödien im internationalen Vergleich
(7) darzustellen, seien noch ein paar Beispiele herangezogen, die nicht aus dem betont deutschen Messter-Imperium stammen. ES WÄR SO SCHÖN GEWESEN (1910) mit dem Varietéstar Arnold Rieck, DER HAUPTMANN VON KÖPENICK (Carl Buderus, 1906) mit Karl Sonnemann und HURRAH! EINQUARTIERUNG (Franz Hofer, 1913) dürfen als die ersten Beispiele der deutschen Militärklamotte gelten. ES WÄR SO SCHÖN GEWESEN ist ein erotischer Rekrutentraum. Der kujonierte Rekrut darf im Traum zum Schleifer werden, aber seine Opfer sind Frauen, die beim Marschieren stramme Schenkel vorzeigen. Als das Strafexerzieren seinem erotischen Höhepunkt zuschreitet, wird der Rekrut erwartungsgemäß vom Feldwebel unsanft in die Kasernenwirklichkeit zurückgeholt. DER HAUPTMANN VON KÖPENICK, ein klassischer Medienrenner (Stummfilm, Tonfilm, Farbfilm, wann kommt die Fernsehserie?), wird 1906 von der Belegschaft einer mechanischen Fabrik, die auch Filme herstellt, in Szene gesetzt. Die Version von 1906 hat den Reiz des Zeitgenössischen: Man sieht den Untertanen an, welchen Spaß es ihnen macht, zu zeigen, wie der Untertanenstaat bis ins Komische hinein funktioniert. Auch HURRAH! EINQUARTIERUNG, ein sehr frühes Beispiel für Hosenrollen, zeigt, wie ausgerechnet die Männerdomäne des Militärischen zu Verkleidung und Travestie einlädt.




Spätestens an diesem Punkt ist ein kleiner Exkurs zum deutschen Sonderweg des Komischen unvermeidlich. Die frühe deutsche Filmkomödie steht in ihrem mainstream in hausgemacht-deutschen Traditionen. Historisch beginnt dieses Drama mit einer Professoralposse in der Hochkultur. "Der Poet wählet sich einen moralischen Lehrsatz, den er seinen Zuschauern auf eine sinnliche Art einprägen will. Dazu ersinnt er sich eine allgemeine Fabel, daraus die Wahrheit eines Satzes erhellet. Hiernächst suchet er in der Historie solche berühmte Leute, denen etwas ähnliches begegnet ist..." (8) Um solche Stücke zu verfertigen, mußte das Theater erst von Schurken gereinigt werden. "Lauter schwülstige und mit Harlekins Lustbarkeiten untermengte Haupt- und Staatsaktionen, lauter unnatürliche Romanstreiche und Liebeswirrungen, lauter pöbelhafte Fratzen und Zoten" reklamiert Gottsched 1731 in der Vorrede zum "Sterbenden Cato". Von Abscheu geschüttelt gibt er den Inhalt einer Narrenposse. "Der Schulmeister wird zuletzt ausgeprügelt", heißt es da. (9) Die Vertreibung des Hanswursten/Harlekin von der Bühne geschah zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt. Überall in Europa steuerte die Emanzipation des Bürgertums hin auf eigenständige bürgerliche Formen der Bühne. Mit der Aristotelik wurde die alte Tragödie überwunden. Sie handelte von einem Normenkonflikt (zwischen Mythos und erster Aufklärung), während die Komödie, auf dem Trümmerhaufen der Tragödie aufbauend, normativ war. Mit der Heraufkunft des bürgerlichen Melodrams wanderte alles Normative in dieses neue Genre, während umgekehrt die Normzersetzung ganz in die Farce und Groteske auswandert. Selbst in den parodistischen Formen ist der Paradigmenwechsel sichtbar. Parodierte das Satyrspiel den Normenkonflikt, so gilt der Spott der Melodramen-Parodie der Norm. Gottscheds Theaterreform verhindert das neue Gleichgewicht der großen Genres. Das Melodram kommt in Deutschland nur als verachtete Form zum Durchbruch (Kotzebue und die Folgen), (10) Farce und Groteskes bleiben mißliebige Elemente der Volkskultur. Dafür werden aristotelisch mißratene Melodramen als deutsches Trauerspiel, Schicksalstragödie und ähnlicher Klimbim kultiviert und fade normative Komödien als deutsches Lustspiel kreiert. Aber schlimmer noch: das Gleichgewicht von Hochkultur und Volkskultur war obrigkeitsstaatlich vereinseitigt. Gläubig sog die Volkskultur die Segnungen der Hochkultur auf, von einem halbwegs geregelten Austausch konnte eigentlich nur in südlich-austriarkischen Gefilden die Rede sein.

Natürlich gab es auch eine Gegenbewegung. Karl Friedrich Flögels "Geschichte des Grotesk-Komischen" von 1786 ist ein vorrevolutionäres Werk. Im Nichtbürgerlichen, bei den Wilden, Bauern und Adeligen finden sich unterschiedliche Verformungen eines ursprünglichen und wieder herzustellenden Standes der Freiheit und Gleichheit, der im Dionysischen / Saturnalischen / Karnevalistischen gefeiert wird.
(11) Justus Mösers "Harlekin oder Verteidigung des Grotesk-Komischen" von 1761 ist eine vorsichtige Kampfschrift, die geschickt mit der damaligen ästhetischen Avantgarde argumentiert: "Meine Sprache, la goffosissima lingua bergamasca, ist der wahre Ton einer gewissen Einfalt." (12) Mösers Verteidigungsrede kommt jedoch nicht ohne Pädagogisierung des Harlekins aus. Abbt und Nicolai, Gegenpäpste im Kulturstreit, bezogen sogar offen Stellung gegen die deutsche Theaterreform. "Kann man wohl diesen Harlekin von der Bühne verbannen, und sollte man nicht vielmehr Gottscheds Cato herunterwerfen?", fragt Abbt (13) und Nicolai setzt hinzu, Gottsched habe "Stücke auf die Schaubühne gebracht, elender als alle Harlekinaden". (14) Selbst Lessing, Verfasser eines notorisch faden Lustspiels, räumt ein, daß die Vertreibung des Harlekins "selbst die größte Harlekinade war, die jemals gespielt worden". (15) Deutschland, berühmt-berüchtigt für seine Sonderwege (16), der Politik, der Ökonomie, der nationalen Frage, besitzt somit auch seinen Sonderweg in Sachen Komik. Ich möchte behaupten, er bildet zusammen mit den anderen Sonderwegen ein sehr deutsches Syndrom. Die deutsche Scham vor Körperkomik und die Prävalenz des affirmativen Lachens, das destruktiv nicht gegenüber der Norm, sondern dem Anderen, Fremden ist, hat hier seine Ursache. Das spezifische Moment des Grotesk-Komischen (17), das Burlesque Show und Music Hall, Vaudeville und avanspettacolo auszeichnete, findet sich in der deutschen Tradition nur in sehr reduzierter Form. Daß es überhaupt so etwas wie ein deutsches Pendant gibt, verdankt sich historisch sehr stark einem kulturellen Sammelbecken, das an einem der fruchtbaren Ränder deutschen Kulturlebens lag. Die Spezialitätenhäuser und Singspielhallen nach Prager Vorbild waren - zumindest formal - prägend für die deutsche Varieté-Szene. Hier, wo sich austriarkischer Sinn fürs Groteske mit tschechischer Verschmitztheit paarte, entstand eine - durchaus auch oppositionelle - Lachkultur mit Sogwirkung.

Während der preußische Imperialismus die Rotationsachse des deutschen Kulturlebens mit Gewalt in die kleindeutsche Achse Berlin-München bog, wucherte das Seltsame, Schräge, Abnorme und Groteske von jeher an den Rändern des deutschen Kulturraums, wo sich unterschiedliche Einflüsse mischten. E.T.A. Hoffmann verkörpert (zusammen mit Hippel, Hamann und Kant) eine spezifische Königsberger Schrulligkeit; Hoffmann war es, der den Deutschen als idealistischen Humoristen charakterisierte, der sich an der "Kraft des Gedankens, seinen eigenen ironischen Doppelgänger zu machen" ergötzt ("Prinzessin Brambilla"). Der reichsdeutsche Höhenflug überließ der Wiener Groteske die Domäne des Morbiden (Nestroy und Raimund, später Horváth und Herzmanovsky-Orlando). Die Prager Polkakneipe "U Labute" (Beim Schwan) steht Pate für umtriebige Schrägheit. Und an der Universität Basel trieb sich ein wunderlicher Philosoph und Jünger des Dionysos herum, der die Frage aufwarf: "Vielleicht bin ich ein Hanswurst" ("Ecce Homo").

Die reichsdeutsche Gewalttour, spätestens seit dem Zollverein, produzierte in der Komik die Dialektik von Norddeutsch-Süddeutsch, hinter der sich die reale Dialektik von (ökonomischem) Fortschritt und Rückstand verbarg. Insgeheim will der Bauer ein Städter, der Handwerker ein Unternehmer, der Krämer ein Kaufmann werden. Die komische Problembewältigung verschlägt auf die untauglichen Mittel von Bauernschläue und Hinterfotzigkeit. Posse und Schwank erleben im deutschsprachigen Raum eine Blütezeit.
(18) Eloquenz und Wortwitz sind in dieser aufgeklärten deutschen Volkskomik dominierend gegenüber den Rudimenten des Grotesken. In dieser Hinsicht ist die Filmkomödie der Kaiserzeit im zeitlichen Anschluß eine aufschlußreiche Quelle. WIE BAUER KLAUS VON SEINER KRANKHEIT GEHEILT WURDE (1906), MERICKE AUS NEU-RUPPIN KOMMT NACH BERLIN (1911), EINE BILLIGE BADEREISE (1911), EIN GUTES GESCHÄFT (1911), DER KURZSICHTIGE WILLI HEIRATET (1913) sind Beispiele. Die große Relevanz der Zwischentitel, ihre Unverzichtbarkeit, kenntlich, wo sie verlorengegangen sind, zeugt davon, daß die Darsteller eigentlich den Wortwitz und den erklärenden Dialog zur vollen Entfaltung ihrer Figur brauchen.




Für die deutsche Prominenz von Varieté und Brettl wird erst mit dem Tonfilm das Kino richtig attraktiv. Im Tonfilm finden wir den Wortwitz von Wilhelm Bendow, Hans Reimann, Paul Beckers, Lotte Werkmeister, Adolf Gondrell, Wastl Witt, Elfie Pertramer oder Weiß Ferdl dokumentiert. Mit der Verlagerung des Schwerpunkts auf den Wortwitz mit einer relativen Scheu vor Körperkomik geht eine andere Konsequenz des deutschen Sonderwegs einher. In der komischen Typologie gibt es zwei grundlegend verschiedene Typen zu unterscheiden, den August und den weißen Clown. Der August ist der infantile, polymorph perverse, anarchische Clown; der weiße Clown dagegen zieht seine Komik aus dem Kampf mit den Objekten und den gesellschaftlichen Werten, auf die er sich positiv einläßt. (19) In der deutschen komischen Tradition gibt es ein unverkennbares Übergewicht des weißen Clowns, was aus der Tendenz der aufgeklärten, domestizierten Komik resultiert und mit dem Übergewicht des Wortwitzes über die Körperkomik einhergeht. An dem Scheidepunkt zwischen aufmüpfigem Knecht und lächerlichem Herrn tendiert die deutsche Tradition zur Komik des Herrenmenschen; am Scheidepunkt zwischen undomestiziertem triebhaftem Kind und pflichtbesessenem, verklemmtem Erwachsenen schlägt sich die deutsche Tradition auf die Seite des Sachzwangs, des Realitätsprinzips.

Verstärkend kommt noch hinzu, daß das Wirken der Zensur in dieselbe Richtung weist. Relativ gut untersucht ist das für den Bereich von Brettl und Varieté,
(20) aber auch die spärlichen Informationen zur Filmzensur der ersten zwei Dekaden belegen diesen Trend. Zensurprobleme sind bekannt für AUS EINES MANNES MÄDCHENZEIT (1912), MÄDCHEN OHNE VATERLAND (1912), WO IST COLETTI? (1913), FRÄULEIN PICCOLO (1914), DER BLUSENKÖNIG (1917), DAS FIDELE GEFÄNGNIS (1917), ALS ICH TOT WAR (1916), alles Filme, die an Hierarchien nagen. Schwer nachvollziehbar sind die Zensurprobleme von DAS SCHWARZE LOS (John Gottowt, 1913), einem ambitionierten Pierrot-Film mit Alexander Moissi. Der Film versteht sich als Experiment ohne Zwischentitel und enthält, sicherlich ein weiteres Indiz der anspruchsvollen Konzeption, das Film-im-Film-Motiv. Schon der Untertitel "Pierrots letztes Abenteuer" weist den Film als durchaus deutsch aus: der schöne Pierrot als armer Pierrot ist exakt die deutsche pädagogisierte Adaption der Figur.

Besondere Erwähnung im Kontext systemkonformer Komik verdient der Film DIE LIST DER ZIGARETTENMACHERIN von 1916 mit Wanda Treumann. Diese Filmkomödie ist das ideologische Pendant zu dem Melodram DIE
TRAGÖDIE EINES STREIKS, eine Messter-Produktion von 1911 (Regie: Adolf Gärtner, Star: Henny Porten). In diesem Melodram wird durch einen Streik der Arbeiter die Stromversorgung eines Krankenhauses unterbrochen, wo just das Kind des Streikführers operiert wird... Die Logik der sozialen Parallelmontage führt konsequent zur Klassenversöhnung der reumütigen Arbeiter: Zwei getrennte Bilderstränge streben aufeinander zu. DIE LIST DER ZIGARETTENMACHERIN besteht darin, daß sie einen Lotteriegewinn geschickt vermehrt und mit diesem Kapital die gefährdeten Arbeitsplätze der Zigarettenfabrik rettet. Aber nicht, indem sie die Fabrik aufkauft, sondern indem sie den verzweifelten Fabrikherrn heiratet. - Im ersteren Fall wird das Unglück durch Mehrwert-Verweigerung herbeigeführt. Im letzteren Fall wird der Mehrwert außerhalb der Produktionssphäre gewonnen: Fortune. Die Fortune des Proletariermädchens fließt zurück in die Mehrwert akkumulierende Klasse und wird so zum legitimen Glück der Bourgeoisie. Bemerkenswerte Differenz: in der Komödie widerspricht die ideologische Auflösung der Logik der Montage, Bilderstränge entfernen sich, um sich dann abrupt zu treffen.




Der unerschütterlichen Systemtreue des mainstream, vor allem durch die Messter-Produktion gekennzeichnet, steht eine Reihe von Einzelfilmen, aber auch von eigenwilligen Persönlichkeiten gegenüber, die zur Ehrenrettung der frühen deutschen Filmkomödie anzuführen sind. WIE SICH DAS KINO RÄCHT (Gustav Trautschold, 1912) ist ein Film von programmatischer Polemik. Ein besonders gefürchteter Zensor wird von Filmleuten geleimt: Eine junge Schauspielerin macht sich an ihn heran, und die versteckte Kamera filmt den Sittenwächter in flagranti. Eine trickreich arrangierte Filmvorführung entlarvt den amtlichen Heuchler coram publico. Mit bemerkenswertem Selbstbewußtsein verteidigt hier das neue Medium das Recht auf die Freiheit des Bildes, indem es den biederen Entlarvungsgestus aufgreift und gegen seine Urheber wendet. Der Verdacht liegt nahe, daß Hanns Kräly, einer der Darsteller, uncredited auch am Buch beteiligt war. Kitty Derwall, die freisinnige Aktrice dieser Verführungskomödie, reiht sich in einen langen Reigen von Frauenrollen ein, deren durchaus emanzipatorischen Charakter Heide Schlüpmann in ihrer Studie "Die Unheimlichkeit des Blicks" hinlänglich gewürdigt hat.

In
DER SIEG DES HOSENROCKS (Emil Albes, 1911), erkennt Lene Voss, geschickt von Guido Seeber ins Bild gesetzt, die fetischistische Vorliebe ihres Verlobten (Max Obal) für Hosenröcke. Selbst- und machtbewußt schwingt sie sich in das dominante Beinkleid. Rasende Teenager pflegte man damals Wildfang zu nennen. Der Name besagt schon, daß sie Böcklins Atelier entsprungen sind. Aber Tritonen und Waldschratte werden von ihnen nur an der Nase herumgeführt. In Franz Hofers DAS ROSA PANTÖFFELCHEN (1913) verführt Dorrit Weixler einen Prinzen (Franz Schwaiger), und in EIN NETTES PFLÄNZCHEN (Paul Heidemann, 1916) läßt Erika Glässner einen bürgerlichen Haushalt aus den Fugen geraten. Hanni Weisse als DIE TANGOKÖNIGIN (Max Mack, 1913) zettelt Massenorgien des konvulsivischen Zuckens an.

Eine eigene Kategorie bilden die Asta Nielsen-Filme. Diese Dänin, die wie die große Schwester von Buster Keaton aussieht, hat sich wie ein fremder Vogel aus einer anderen Welt ins deutsche Kino verirrt. Hosenrollen (
ZAPATAS BANDE, 1913 von Urban Gad; DAS LIEBES-ABC, 1916 von Magnus Stifter) sind von einer hintergründigen Komik, die ganz von ihrer sexuellen Multivalenz lebt, und DAS MÄDCHEN OHNE VATERLAND zeigt eine Carmenrolle wie sie ein Transvestit spielen könnte. ENGELEIN (1913) und DAS VERSUCHSKANINCHEN (1915), beide von Urban Gad, sind auch Wildfang-Rebellen, aber nicht nur nach Böcklin, sondern plötzlich zwischendrin und mit großen Augen auch nach Munch. Das Changieren des Grotesk-Komischen und Grotesk-Grausamen ist in den künstlerischen Erfindungen der Nielsen immer präsent. Einmal will sie Selbstmord begehen, mit großer Tragödinnengeste erhebt sie sich - und ein Kinderstuhl bleibt an ihr hängen. Ein andermal feiert sie im Schlafsaal des Mädchenpensionats eine Orgie - das Bild ist wild-surreal wie bei Feuillade. Nielsen und Musidora waren Frauen mit Medusablick.

Ikonografische Erinnerungen an Feuillade erweckt auch die wüste Kriminalkomödie WO IST COLETTI? (Max Mack, 1913) mit Hans Junkermann, einem der vergessenen deutschen Komikertalente. Junkermann spielt einen Detektiv, der wettet, daß es ihm gelingt 48 Stunden unerkannt zu bleiben. Das Verkleidungs- und Verwandlungstheater parodiert dabei auch den Doppelgängerfimmel des deutschen Kinos: da wird an richtigen Bärten gezogen und jeder Bürger erscheint als die Fälschung seiner selbst.




Eine eigene Gruppe bilden die Filme von und/oder mit Ernst Lubitsch. MEYER AUF DER ALM (1913) scheint die früheste erhaltene Lubitsch-Komödie zu sein. Lubitsch spielt den Direktor Meyer aus Berlin, der am Königssee Urlaub macht. Er macht keine Sekunde ein Hehl daraus, daß dieser Meyer kein eingedeutschter major domus ist, sondern ein jiddischer Meir. Lubitschs Anteil an dem Film ist ungeklärt, aber alles weist auf seine Handschrift hin. Lubitsch/ Meyer mimt einen Neureichen ohne Manieren, der fern von Weib und Kind und Arbeitstrott Morgenluft wittert, aber nach diversen erotisch-alpinen Abenteuern schließlich doch düpiert wird. Diese Geschichte für sich genommen könnte mühelos auch dem Messter-Repertoire entstammen, wenn da nicht der Schauspieler Lubitsch wäre und ein Hauch von Kräly-Touch. Komiker mit jüdischem Background haben als zentralen Impuls fast immer die Angst im Nacken, sei es die Angst vor dem Pogrom oder vor dem Watzmann. Ihre Frechheit ist Kompensation - so, wie die Frechheit des Klassenclowns die Angst des Schülers kompensiert. Von dieser messerscharfen, lebensgefährlichen Dialektik lebt auch der Komiker Lubitsch, dessen Galanterie mit Zigarre und Lederhose bereits auf sein späteres Werk vorwegweist.

DER STOLZ DER FIRMA (Carl Wilhelm, 1914) zeigt Lubitsch als Kommis Siegmund Lachmann, der gefeuert wird, weil er durch sein Ungeschick den Laden demoliert. Er will Selbstmord begehen. Aber dann folgt eine geniale Wendung, die deutlich auf Lubitsch verweist: Er beschließt vorher noch etwas zu essen, hungrig stirbt sich's so schlecht. Danach sind alle Selbstmordgedanken verflogen. Stattdessen geht er nach Berlin, wo er hochstaplerisch seine Branchenkenntnisse verkauft. Vom Verkäufer zum Schwiegersohn des Chefs sind es dann nur noch einige energische Tritte auf der Leiter der Hochstapelei. FRÄULEIN PICCOLO (Franz Hofer, 1914) zeigt Lubitsch in einer Nebenrolle, die Hauptrollen gehören den Hofer-Stars Franz Schwaiger und Dorrit Weixler, ein Wildfang in einer Hosenrolle. "Ernst Lubitsch hat einen schönen 60-Sekunden-Auftritt. Er ist der Gast von Zimmer 6, ein Handelsvertreter mit Koffer und Stöckchen, der nach dem Zimmermädchen grapscht und eins auf die Finger bekommt. Später, bei einem Schwenk über die Tafel mit den Dauergästen, erfährt man seinen Namen: Pinkeles. Und so ist auch die kleine Szene: Sie verweist in ihrer Charakteristik auf Lubitschs spätere Hauptrollen (Hans Helmut Prinzler).« (21) Schon nach Besichtigung dieser ersten drei erhaltenen Lubitschrollen ist unübersehbar, daß sich hier ganz und gar undeutsche Rollenclichés mit jüdischer Körperkomik subversiv verbinden.

ROBERT UND BERTRAM (Max Mack, 1915) zeigt uns nochmals Lubitsch in einer Nebenrolle. Vorlage des Films ist ein bekannter Schwank mit antisemitischer Tendenz. Max Mack rettet den Film durch das Casting. Hauptdarsteller ist Ferdinand Bonn, der Possart-Schüler. "Ferdinand Bonn im Film zu sehen, ist ein Spaß für sich", resümiert Herbert Ihering. Lubitsch und Bonn kämpfen um die Lacher wie ums nackte Überleben und bringen damit die Handlung auf einen Punkt außerhalb des schwankhaften Zentrums. ALS ICH TOT WAR (1916) ist Lubitschs erste erhaltene Regiearbeit. Es geht darum, die lästige Schwiegermutter für immer loszuwerden - als Scheintoter. Lubitsch versucht sich hier ein bißchen als deutscher Max Linder, aber die Bleigewichte des Schwiegermutter-Plots ziehen seinen komödiantischen Höhenflug immer wieder nach unten.

Erst der
SCHUHPALAST PINKUS (1916), in der Zusammenarbeit von Lubitsch und Kräly entstanden, ist Lubitsch vom Feinsten: Sally Pinkus, der kleine Kommis, in der Hierarchie des Schuhsalons ganz unten, entzieht sich den Gesetzen der Hackordnung mit impertinenter Schnelligkeit. Den Damen verkauft er Schuhgröße 40 als 35, seine Verkaufserfolge sind gewaltig. Den Ladenmädchen macht er schöne Augen, aber auf die Tochter des Chefs hat er es abgesehen. Doch dann kommt die reiche Kundin, der er einen Kredit abschwatzt. Jetzt ist er Chef des Schuhpalast Pinkus. Den Kredit verwandelt er in Eigenkapital durch Heirat der reichen Kundin. Das Schuhgeschäft ist für Pinkus ein einziger erotischer Tummelplatz. Er fetischisiert seine Ware, um sie besser in Geld zu verwandeln. Wie Lubitsch/Pinkus das Schuhgeschäft aufzieht, ist die glatte Perversion von Marx. DER BLUSEN-KÖNIG (Lubitsch, 1917) zeigt Lubitsch ein weiteres Mal als Kommis. Sally Katz hat es wieder mal auf alle Ladenmädel abgesehen. Brünhilde, die plumpe Tochter des Chefs wird von ihm aus reiner Routine umgarnt. Die will ihn aber gleich heiraten. Der Chef mißversteht die Lage als akute Einheiratsgefahr. Er kauft Sally den Verzicht auf seine Tochter gegen eine Teilhaberschaft ab. Der so Avancierte begibt sich sofort zur hübschen Leiterin der Konfektion. Das erhaltene Fragment endet mit dem entscheidenden Hinweis auf den Rest der Handlung. Sally leckt sich den Zeigefinger ab, bevor er zielstrebig auf den Klingelknopf drückt.

WENN VIER DASSELBE TUN (Lubitsch, 1917) zeigt Ossi Oswalda in ihrer ersten Hauptrolle. Hanns Kräly hatte sie als weiblichen Kobold für den SCHUHPALAST PINKUS entdeckt. Werner Sudendorff spricht von der ins Kindliche verharmlosten Sexualität der Oswalda: "In der Maske der Unschuld darf sie die Röcke fliegen lassen, im Nachthemd ein Rad schlagen und ihre Freundinnen auf den Po begrüßen. Daß das Kostüm der Unschuld bewußt gewählt ist, damit es umso ungestrafter gelüftet werden kann, versteht sich von selbst." (22) Die Oswalda fungiert als weibliches Alter Ego von Lubitsch, der sich auf den Regiepart zurückgezogen hat. Jannings, ihren Partner, spielt die Oswalda glatt an die Wand. Sie, eine der bedeutendsten Komödiantinnen dieser Periode überhaupt, liefert etwas ganz Seltenes: Berliner Slapstick. "Sie spricht sogar mit ihren wohlgeformten Beinen berlinerisch", bemerkt Kurt Pinthus. DAS FIDELE GEFÄNGNIS (Lubitsch, 1917) ist eine Kräly-Adaption der "Fledermaus". Harry Liedtke hat die Rolle des Eisenstein (der hier Reizenstein heißt), während dem quirligen Erich Schönfelder diesmal die Aufgabe zufällt, das Alter Ego des Regisseurs zu spielen. Für drei geraubte Küsse geht er nonchalant ins Gefängnis - für einen professionellen Schürzenjäger eine amüsante Abwechslung mehr. 1926, mit SO THIS IS PARIS, greifen Lubitsch/Kräly den Stoff ein zweites Mal auf.

Der zeitliche Rahmen dieser Untersuchung endet mit Vorbedacht im Jahr 1917. Die Jahre 1918 ff. sind eine Periode der Umwertung aller Werte, die sich auch im Kino niederschlug. Mehr noch: die ästhetische Produktion ist in ihren fortschrittlichsten Schöpfungen stets den historischen Ereignissen vorlaufend. Das Lubitsch/Kräly-Kino zeigt mitten im wilhelminischen Ordnungsstaat alle Zeichen seiner späteren Zersetzung. Lubitsch präsentiert uns den frechen Erfolgstypus der 20er Jahre, der den Rahm von Kriegs- und Inflationsgewinn abschöpft. Hierarchien haben für ihn keine Gültigkeit mehr, sondern sind nur Sprungbrett seiner Ambitionen. Er lebt nicht in Traditionen, die Lebenslinie von Vergangenheit und Zukunft ist für ihn ohne Bedeutung: er lebt im hier und jetzt, Realitätssinn und Lustgewinn gehen Hand in Hand. Das Lubitsch/Kräly-Kino gehört als zersetzendes, korrosives Kino in den vorrevolutionären Kontext
(23).

Im besonderen Maß gilt der vorrevolutionäre Kontext für das Filmdebüt von Karl Valentin. Schon der erste Film von 1912, KARL VALENTINS HOCHZEIT, greift das zentrale Interesse deutscher Mainstream-Filmkomik an der Figur des düpierten Hochzeiters/Liebhabers auf - um es auf radikale Weise für immer zu erledigen. Valentins Braut ist der dicke Volksschauspieler Georg Rückert. Angesichts der Zukünftigen will er die Flucht ergreifen, die aber hält ihn mit eisernen Pranken fest, drückt den Widerstrebenden schließlich platt: "Nun sind wir einig, süßer Karl."
DIE LUSTIGEN VAGABUNDEN (1912) und DER NEUE SCHREIBTISCH (1914) haben Comic-Vorlagen. Die Münchner Bilderbogen, deren berühmtester Autor Wilhelm Busch war, wurden weltweit vertrieben. Die große amerikanische Comic-Tradition baut darauf auf. Das Privileg der Comic-Autoren war es immer schon, daß die Zensur diese Form an sich als verharmlosend betrachtete. In der filmischen Adaption spitzt Valentin das subversive Potential der Bilderbogen radikal zu. DIE LUSTIGEN VAGABUNDEN zeigen, wie zwei kleine Gauner die wilhelminische Ordnung (Karl Valentin als Polizist mit Pickelhaube) systematisch an der Nase herumführen, zum Schluß buchstäblich an einem Zaun kreuzigen.

DER NEUE SCHREIBTISCH ist sicherlich Valentins frühes Meisterwerk. Der Film greift ein Lieblingsthema der frühen Filmgroteske auf, das im deutschen Kino bemerkenswerter Weise sonst ausgeblendet ist: die systematische Zerstörung des bürgerlichen Hauses als Inbegriff bürgerlicher Ordnung. Der Konflikt entzündet sich an einem Arbeitsmöbel. Der neue Schreibtisch, eine Spezialanfertigung genau nach seinen Körpermaßen, will ihm trotzdem nicht passen. Die Vision eines Menschenlebens, das an diesem Arbeitsmöbel zuzubringen ist, verheißt lebenslange Ich-Zerstörung. Valentins Verweigerung drückt sich in destruktiver Nachbesserung aus. Mit Säge, Hammer und Meißel versinkt er buchstäblich im Boden. - Undeutsch ist nicht nur die Radikalität Valentins, auch seine groteske Körperkomik stellt ihn selbst im internationalen Vergleich ganz an die Spitze. Bereits bei Lubitsch/Kräly, noch mehr aber bei Valentin, ist das Gesetz von Actio und Reactio wirksam: Wo die Repression besonders stark ist, gibt es viel Anpassung, aber auch radikale Gegenreaktionen.




Bleibt noch ein kleiner Teilbereich nachzutragen: die Kinderkomödie. International waren in dieser Periode Komödien mit putzigen Mädchen und lausbübischen Knaben ein beliebtes Subgenre des Komischen. Deutsche Beispiele wie WILLYS STREICHE - KLEBOLIN KLEBT ALLES (Bolten-Baeckers, 1909), WIE SICH MIEZE HILFT (Messter, 1911) oder KASPER-LOTTE (Emil Albes, 1913) gehören in diesen Kontext. Meist sind es gut dressierte Kinder, die spontane Kinderkomik mimen. Echte Naturtalente sind eine große Ausnahme; so René Poyen in Frankreich - und der junge Curt Bois in Deutschland. Bois' Auftritt in WILLYS STREICHE - KLEBOLIN KLEBT ALLES ist himmlisch und zeugt davon, daß die natürliche Spontaneität der Kinder immer etwas Vorrevolutionäres an sich hat.

Anmerkungen
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