FilmMaterialien 4 - Olga Tschechowa

Eleganz und Arbeit

Biografische Splitter

Zitate aus:
Ich verschweige nichts! Autobiographie. Bearbeitet von C. C. Bergius. Berchtesgaden: Zimmer & Herzog 1952.
und
Meine Uhren gehen anders. München, Berlin: Herbig 1973

Wenn ich an meine Kindheit zurückdenke, drängt sich mir das Haus meiner Eltern optisch am stärksten entgegen. Nicht, weil es vielleicht besonders groß und schön war - nein, weil es mein Vater verstand, unsere Phantasie in jedem Raum besonders anzuregen, da er uns in recht eindringlicher, wenn auch merkwürdiger Weise, Erd- und Völkerkunde vermittelte. Denn das Eßzimmer hieß für uns allgemein nur: Schweden. Und die Speisekammer: Nordpol. Die Sonnenterrasse: Italien. Der mit vielen Blumen bestandene Wintergarten: Riviera. Der schmale Korridor: Das Rote Meer. Die Bibliothek: Deutschland. Das Schlafzimmer (wir verstanden es damals nicht ganz): Frankreich. Die Küche: Holland. Das nüchterner eingerichtete Kartenzimmer: England. Das Treibhaus: Afrika. Ein verfallener Turm am Rande des Gartens: Spanien. Und das Kinderzimmer: Der Orient.

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Die Alltage waren selbst für uns Kinder schon Tage der Arbeit, allerdings einer Arbeit, die im Alltäglichen erledigt werden mußte. So war der Montag der "Russische Tag", das heißt der Tag, an dem wir uns russisch zu unterhalten hatten. Der Dienstag war der deutschen Sprache gewidmet. Wollten wir etwas tun oder irgendetwas erbitten, so wurde es uns nur gestattet oder gegeben, wenn wir unser Anliegen in deutscher Sprache vortrugen. An diesem Tage residierte unser deutscher Hauslehrer und waren seine Anordnungen zu befolgen.

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Wir hatten unsere Erzieher und Erzieherinnen, wir waren die Kinder des Ministers Knipper, das Personal schwirrte um uns herum, aber niemals wurden unsere Schuhe geputzt, oder wurden wir bedient.
Ich selbst spielte unter meinen Geschwistern, Freundinnen und Freunden die Rolle einer Königin. Muß ich hierzu noch etwas bemerken?

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Ich war mit dem Vorsatz nach Berlin gefahren, mich nur wenige Tage in der Hauptstadt aufzuhalten. Mein eigentliches Ziel hieß Metz, wo ich Verwandte meines Vaters aufsuchen wollte, um meinen, für sechs Wochen genehmigten Aufenthalt in Deutschland, finanziell zu sichern. Denn ich besaß weder Geld um zu leben, noch Kleidung um mich sehen lassen zu können.
Meine Schuhe hatte ich aus einem Teppich, einem alten Buchara, selbst angefertigt. Meinen Mantel hatte ich vor Antritt der Reise gewendet - er war zu unansehnlich gewesen. Ein Kopftuch verdeckte meine vom vielen Waschen strähnigen, seit Jahren nicht mehr ordnungsgemäß behandelten Haare. Und ein zusammengeknotetes Leinentuch enthielt meine spärlichen Utensilien und Papiere.
So traf ich auf dem Schlesischen Bahnhof in Berlin ein. Ich bemerkte wohl, daß mich verschiedene Menschen verwundert musterten, nahm deren Blicke jedoch mehr im Unterbewußtsein wahr. Denn mein Staunen über das Leben um mich herum, über die gut gekleideten und nicht hungrig aussehenden Menschen, war grenzenlos. Wie fasziniert starrte ich, während ich mit anderen Reisenden der Bahnhofssperre entgegenstrebte, auf ein Paar glänzende, schwarze Lackschuhe mit hohen Absätzen, die eine neben mir gehende Dame trug.
Ermutigt begann ich auch zu modellieren. Zunächst nur für mich. Ich bat meine Wirtsleute, Kinder von der Straße und Bettler, mir als Modelle zu dienen, vernichtete in den ersten Wochen jedoch immer wieder das von mir Geschaffene. Mir fehlte jede Technik und ich dachte schmerzerfüllt an Tage, da mich mein Vater bei Rodin als Schülerin anmeldete, dieser mich auf Grund von Fotos meiner Arbeiten akzeptiert hatte (meine Ausbildung erhielt ich an der Petersburger "Akademie der Künste" von seiner Schülerin Golubkina) und ich mir meine Weiterentwicklung durch die vorschnelle Ehe mit Michael Tschechow verscherzt hatte.

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"Würden Sie morgen Vormittag in unserem Babelsberger Atelier sein können? - Wir möchten einige Probeaufnahmen von Ihnen machen!" wandte sich Erich Pommer an mich. (...)
Dann kaufte ich mir das Buch "Schloß Vogelöd" und raste hintereinander in drei Kinovorstellungen. Ich mußte doch wissen, wer und was gefilmt wurde. Und wie man filmte. Mir ist ein Film, den ich an jenem Tag sah, noch geläufig: Vendetta, mit Emil Jannings und Pola Negri. Ich erfuhr zwar, daß er schon Jahre alt sei, doch was machte das? - Begeistert war ich aber nicht, mehr erschüttert. Nein, wie sich die Schauspieler bogen! Und wie sie mimten...! Und wie sie geschminkt waren! Entsetzlich! (...)
"Das kannst du nie!" sagte ich mir. "Das wirst du auch nie tun!" schwor ich fest entschlossen.
Der bildhafte Ausdruck, in den alles miteinbezogen wird - Landschaft, Dekorationen, Gesichter -, bietet viele und vielfältige Möglichkeiten, auch im übertragenen Sinne von den Kulissen weg zum Natürlichen und Realistischen hinzukommen. Das ist es, was der Film noch braucht und was ich ihm geben möchte: das Natürliche im Ausdruck.
Sie mußten damals spielen, wie sie spielten, weil sie noch zu tief im Theater verwurzelt waren, während ich - eigentlich restlos unerfahren - unbelastet an meine Aufgabe heranging. Mit Freude habe ich in der Autobiographie Emil Jannings gelesen, daß er erst in Hollywood erkannte, daß er viel zu sehr spielte, daß er in seinem Film: Der letzte Mann nicht den Schmerz eines Portiers, sondern schlechthin den Schmerz aller Portiers der Welt darstellte.

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Als ich auf den Höhen meines "Filmruhms" mein erstes Diplom als Kosmetikerin machte - 1937 in Paris -, fanden mich meine damaligen Kollegen und Kolleginnen ein wenig sonderlich. "Die Tschechowa - und Kosmetikerin ...!" Natürlich wußte ich damals noch nicht, welche Bedeutung dieses Diplom aus Paris einst für mich haben würde (inzwischen sind noch mehrere hinzugekommen, unter anderen eine Gold-medaille auf dem Internationalen Kosmetikerkongreß 1958 in Venedig). Aber ich wußte, daß Filmruhm verblaßt, und ich hatte ja schon immer eine besondere Beziehung zur Kosmetik, zu jener Art von Kosmetik, die nicht nur eine Sache von Cremes, Wässerchen oder Pasten ist, sondern eine bestimmte, positive Lebenshaltung fordert und so im wahren Sinne des Wortes "unter die Haut geht".


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