FilmMaterialien 5 - Phil Jutzi

Die Kameraführung beim Fernsehen

Von Phil Jutzi

in: Film-Kurier, Nr. 292, 12.12.1942 und Nr. 293, 14.12.1942


Der kontinuierliche Ablauf eines Fernsehsendespiels zwingt dem Kameramann einen viel wesentlicheren Arbeitsanteil auf als z.B. beim Film, einen Anteil, der in Belange greift, die bisher mehr in das eigentliche Gebiet des Spielleiters gehörten. Überhaupt ist im Fernsehstudio eine weit engere und intensivere Gemeinschaftsarbeit zwischen Spielleiter, Kameramann, Architekt, Künstlern und Technikern unbedingte Voraussetzung, als dies bei der Haltung eines Films der Fall ist.

Die Behauptung, das Kamerabild ergebe einen mechanischen Abklatsch der Wirklichkeit, ist sehr oberflächlich. Vielmehr liefert die Kamera völlig andere Eindrücke als das Auge. Die Führung der Fernsehkamera erfordert unbedingt von dem leitenden Kameramann die gründliche Kenntnis der optischen und dramaturgischen Gesetze und Wissen um ihre Möglichkeiten und Grenzen. Ferner Erfahrung und Wissen um die elektrischen Vorgänge auf ihrem Wege von der Aufnahme bis zur Wiedergabe und ihren Einfluß auf das Bild. Von den fahrenden Kameramännern verlangt sie, außer den allgemeinen Forderungen, ein weitgehendes Einfühlungsvermögen und rhythmisches Gefühl.

Das menschliche Auge schafft, sich nach allen Seiten frei bewegend, einen fast unbegrenzten Gesichtskreis. Das Kamerabild dagegen, in einem festen Rahmen stehend, übermittelt uns nur das, was in diesem Rahmen erscheint. Es zwingt also dazu, sich zu einer bestimmten Auswahl aus dem unbegrenzten Gesichtskreis zu entschließen. Diese »Einengung« ist ein Formungs- und Stilisierungsmittel, denn sie ermöglicht es erst, irgendein Wirklichkeitsdetail herauszuheben und ihm hierdurch eine besondere Bedeutung zu geben, oder auch umgekehrt, Unwichtiges herauszulassen. Der »Bildrahmen« ist zudem noch wichtigste Voraussetzung für die dekorativen Eigenschaften des Bildes, für Raumeindruck und Flächenaufteilung usw..

Der »Mann an der Kamera« darf seine Aufgabe nicht nur im Festhalten irgendwelcher vor der Kamera gestellten Dinge erblicken, sondern er muß eine Bilddarstellung mit Mitteln versuchen, die nur ihm eigen sind. Er muß dem Aufnahmeobjekt besondere Gesichtspunkte abgewinnen, um es besonders lebendig oder charakteristisch zu machen.
Wo die einfache Abbilderei aufhört, die Formung des Bildinhaltes beginnt, da beginnt auch der erste Schritt ins Künstlerische. Jede Bildeinstellung muß dem Sinne der Handlung dienen. Mit einer »interessanten Einstellung« allein ist es aber noch nicht getan. Eine »interessante Einstellung« kann in einem Falle sehr bedeutungsvoll sein und in einem anderen Falle überhaupt nichts bedeuten, ja, sie kann sogar störend wirken und als Spielerei aufgefaßt werden.

Die Kamera darf nicht sozusagen als Zuschauer vor der fehlenden vierten Wand stehen, die im Fernsehstudio - wie im Theater - immer fehlen wird, um die Handlung, die im Raum vor sich geht, zu zeigen, sondern die Kamera muß hineingehen und daran teilnehmen. Sie muß dicht bei den Darstellern stehend, die Vorgänge gewissermaßen für den Beschauer belauschen können.

Für die neue Kunstform des Fernseh-Sendespiels muß alles deutlich und leicht faßlich sein. Alles was näher in das Blickfeld der Kamera kommt und womit der Darsteller in Berührung tritt, muß echt sein und wie er selbst natürlich. Denn das Maß aller Dinge ist der Mensch. Das Mißverhältnis zwischen der Körperlichkeit des Schauspielers und etwa der Flächenmalerei von Kulissen würde zu sehr in Erscheinung treten.

Rhythmus und Bewegungstempo im Kamerabild müssen dem dramaturgischen Ablauf des Stückes unterworfen sein. Das gleiche gilt auch für den Bildwechsel, die sogenannten Überblendungen.

Die Bedingungen und Voraussetzungen für alle diese Dinge müssen schon im Spielbuch eines Fernseh-Sendespiels festgelegt, die Formung schon hier erkennbar sein. Dazu genügt es keinesfalls, gelegentlich ein paar Nah- oder Großeinstellungen dazwischenzuschalten. Der Bildinhalt allein soll schon etwas zu sagen haben. Diese Forderung ist umso schwieriger zu erfüllen, als ja ein Fernsehstück ohne Pause abläuft und nicht wie ein Film Einstellung für Einstellung aufgenommen und vielleicht wiederholt und korrigiert werden kann.

Da es im Wesen des Kamerabildes liegt, daß es nur »einseitig« Flächenbilder darstellen kann, muß diese Einschränkung des Dreidimensionalen auf das Zweidimensionale dazu ausgenutzt werden, aus der Not eine Tugend zu machen, indem der Mann an der Kamera dem Aufnahmeobjekt eine sinnfällige Einstellung abgewinnt, mit welcher er den Beschauer zu einer stärkeren Aufmerksamkeit zwingt, über das bloße Interesse an dem abgebildeten Objekt hinaus. Eine große Rolle spielt hierbei auch das Licht, worauf ich später noch zurückkommen werde. Einsatz und Wechsel der einzelnen Kameras, die für ein Stück eingesetzt werden, dürfen nur den dramaturgischen Erfordernissen entsprechend vorgenommen werden. Technische Gründe, wie sie heute im Kriege noch auftreten, dürfen dafür nicht vorhanden sein.

Wie der Film, so hat auch das Fernsehspiel seine eigene Bilddramaturgie. Dieser allein unterliegt Wechsel und Bewegung der Kameras. So, wie die Darsteller des Spieles ganz präzise auf jedes Wort, jeden Schritt in wochenlangen Proben vom Spielleiter festgelegt werden, so müssen auch die das Stück »fahrenden« Kameraleute in den ausschließlich zu diesem Zweck eingesetzten sogenannten Fahrproben nach einem von dem leitenden Kameramann in den vorhergegangenen Spielproben ausgearbeiteten Plan auf Wechsel, Bewegung und Fahrten der einzelnen Kameras einstudiert werden. Diese Zusammenarbeit zwischen dem leitenden Kameramann und dem Spielleiter muß sehr gründlich und sehr genau sein. Jeder Irrtum oder jede Nachlässigkeit, jedes Versagen eines Einzelnen kann den fehlerlosen Gesamtablauf der Sendung infrage stellen.

Die bilddramaturgische Aufteilung eines Fernseh-Sendespieles geschieht in Total-, Halbtotal-, Nah- und Großeinstellungen sowie in Kamerafahrten und Kameraschwendungen. Anhand der Grundrisse der Dekorationen und Aufbauten im Studio, die unbedingt nur in Zusammenarbeit von Spielleiter, Architekt und Kameramann entstehen müssen, wird während der Stückproben ein sogenannter Fahrplan ausgearbeitet. In diesem Fahrplan werden, wenn alle Bewegungen, Gänge usw. der Darsteller festgelegt sind, die einzelnen Spielstellen fixiert. Wichtig ist, diese Spielstellen nach Möglichkeit zu beschränken, ohne aber den Spielleiter in seiner künstlerischen Handlungsfreiheit irgendwie einzuengen.

Im weiteren Verlauf der Spielproben werden nun der Einsatz der einzelnen Kameras, ihr Wechsel, ihre Bewegungen und Fahrten selbstverständlich im Einvernehmen mit dem Spielleiter festgelegt und im Spielbuch eingetragen.

Die Anzahl der eingesetzten Kameras richten sich nach dem Umfang und den besonderen Erfordernissen des jeweiligen Stückes. Unter den jetzigen Kriegsverhältnissen ist sie naturgemäß noch beschränkt im regulären Betrieb werden es normalerweise sechs bis acht sein. Sind nun Einsatz, Standort und Bewegung jeder einzelnen Kamera für Total-, Nah- und Großeinstellungen festgelegt, dann wird für jeden fahrenden Kameramann ein besonderer Fahrplan ausgearbeitet, der außer dem Gesamtablauf genaue Anweisungen für jede einzelne Kamera enthalten muß. Nun beginnen im Studio, in den bereits fertiggestellten Dekorationsbauten die eigentlichen, praktischen Fahrproben mit den einzelnen Kameraleuten. Szene für Szene wird mit den Darstellern und mit dem ganzen technischen Apparat vorgeführt und von den Kameraleuten aufgrund des festgelegten Planes »abgefahren«.

Für Nah- und Großeinstellungen wird entweder die Entfernung der Kamera vom Aufnahmeobjekt geändert oder es wird eine längere Brennweite des Aufnahmeobjektives verwendet. Was bisher nur theoretisch bestimmt werden konnte, wird nun manchmal trotz aller Erfahrung und Voraussicht durch die Praxis umgeworfen und muß neu geformt werden. Alle die spätere Sendung möglicherweise hemmenden Störungsmöglichkeiten und sonstigen Schwierigkeiten, die den glatten Ablauf der späteren Sendung vielleicht behindern könnten, müssen überblickt und ausgeschaltet werden.

In vielen Proben ist endlich jeder einzelne Kameramann »eingefahren«, daß er ohne Zuhilfenahme seines Fahrplanes und ohne Korrekturen des leitenden Kameramannes in der Generalprobe das Stück reibungslos »abfahren« kann. Er muß jedes Stichwort, jede Bewegung der Darsteller im Gedächtnis haben. Und die Darsteller dürfen nur die genau festgelegten Gänge und Bewegungen ausführen - die Stichworte müssen genau kommen, denn sie sind auch Stichworte für den Kameraeinsatz. Geht z.B. ein Darsteller bei der Sendung nur einen Schritt weiter, als in den Proben vereinbart worden ist, so kann es vorkommen, daß die Kamera, die dem Darsteller folgt, eine zweite Kamera in den Bildwinkel bekommt, die für eine Groß- oder Naheinstellung hart an der Bildgrenze der anderen steht. Oder: ein Darsteller bringt nicht das vereinbarte Stichwort oder er bringt es an falscher Stelle, dann kann der betreffende Kameramann, der auf ein solches Stichwort wartet, die vereinbarte Kamerabewegung und deren Einsatz nicht richtig bringen. Aus diesen Gründen ist äußerste Präzision Grundbedingung für alle an der Arbeit Beteiligten.
Abgesehen von den durch die besonderen Eigenschaften des Ikonskopes bedingten weitgehenden elektrischen Beeinflussungen, spielt, wie schon eingangs erwähnt, das Licht für die Qualität, den Bildcharakter und den Stimmungsgehalt des Kamerabildes eine Hauptrolle. Wie groß die Bedeutung des Lichtes ist, erfährt der Unkundige, wenn er daran geht, z.B. ein Bildhauerwerk aufzunehmen und zu übertragen. Die ebenfalls sehr wichtigen Farbtonwerte bleiben hierbei ganz außer Betracht. Es können sich bei einem solchen Vorhaben Schwierigkeiten ergeben, die den Kameramann wie den Bildhauer zur Resignation bringen. Von welcher Richtung, aus welcher Entfernung, ob von rechts, links, vorn oder hinten beleuchtet das Bildwerk aufgenommen wird, davon hängt es ab, ob das Ergebnis auf dem Bildschirm jenem Eindruck einigermaßen entspricht, der dem Wollen des Künstlers zugrundelag, der das Werk geschaffen hat. Von der richtigen Ausleuchtung der von dem Architekten erstellten Dekorationsbauten und Räume hängt also im wesentlichen die Bildqualität sowie die Raumwirkung und -stimmung ab.

Die Ausleuchtung in einem Fernsehstudio ist deshalb ungemein schwieriger als etwa im Filmatelier oder auf der Bühne, weil sich die Stellung und der Bildwinkel der verschiedenen Kameras in dem gleichen Licht ununterbrochen ändert und alle Kameraeinstellungen in der gleichen Lichtmenge gefahren werden müssen, ob das Front-, Seiteneinstellungen, Groß- oder Nah- oder Totaleinstellungen sind. Veränderungen in der Anordnung des Aufnahmelichtes oder Korrekturen lassen sich während der Sendung nur bis zu einer gewissen Grenze bewerkstelligen.

Das Vorderlicht muß weich, gedämpft sein, das Seitenlicht den jeweiligen Verhältnissen entsprechend schärfer. Das Konterlicht dagegen, das im wesentlichen die (scheinbare) Plastik des Bildes ergibt, muß härter sein, darf aber wiederum für seitliche Einstellungen, wo es als Seitenlicht genommen werden muß, nicht zu hart sein, damit die Lichter nicht überstrahlen und das Bild »kalkig« machen. Das Gesamtbild darf in den Totalen nicht flach, sondern muß trotz allem vorher Gesagten plastisch erscheinen.

Das Ikonoskop braucht eine gewisse Menge Grundlicht, um das Bild fehlerfrei zu »schreiben«. Geht dieses Grundlicht über das notwendige Maß hinaus, so gehen die »Spitzen« verloren und die Gesamtbildstimmung ist gestört oder gar zerstört. Das Bild macht einen »kalten Eindruck«, und alles erscheint in einem solchen Falle wie »an die Wand geklebt«. Bei der früher angewandten Beleuchtungsmethode, den ganzen Bau einfach mit einer gewissen Luxmenge Licht anzuleuchten, war dies der Fall.

Alle diese eben erwähnten Forderungen gegeneinander abzustimmen und auf einen Nenner zu bringen, stellt den Fernsehkameramann vor immer neue Probleme, zumal die elektrischen Vorbedingungen und deren weitgehender Einfluß ebenfalls nicht übersehen werden dürfen, wie auch die große Rolle, die die Farbtonwerte dabei spielen. Gerade aber diese Schwierigkeiten zu meistern, macht den Beruf eines Kameramannes beim Fernsehen so interessant.

Die Arbeit im Fernsehstudio stellt an den Kameramann viel höhere Anforderungen als im Filmatelier, auch in physischer Hinsicht. Beim Film hat der Kameramann während der Aufnahme, abgesehen von den übrigen Aufgaben, die auch der Fernsehkameramann hat, nur noch auf den richtigen Bildausschnitt zu achten. Zur Regulierung der optischen Schärfe hat er einen besonderen Assistenten, für die Bedienung des Aufnahmewagens hat er einen oder zwei weitere Assistenten zur Verfügung. Der Kameramann im Fernsehstudio steht aber völlig allein an seiner Kamera, abgesehen von einer sogenannten Kabelhilfe, die aber andere Aufgaben hat. Er muß selbst fahren und schwenken, gleichzeitig selbst die optische Bildschärfe regulieren und dann immer auch den richtigen Bildausschnitt haben. Niemand kann ihm bei diesen vielerlei gleichzeitigen Aufgaben behilflich sein, weil der ununterbrochene Ablauf des Spieles, die verschiedenen Kameras in der gleichen Dekoration, die Mikrowagen usw. den Platz schon so beengen, daß einfach räumlich kein Platz mehr für Gehilfen bleibt.

Hinzu kommt, daß beim Film immer nur eine Einstellung gedreht wird, es besteht die Möglichkeit der Wiederholung. Beim Fernsehen aber läuft das Stück ab, von Anfang bis Ende, ohne Pause. »Schnitzer« können nicht wieder gutgemacht werden und gehen mit auf den Sender. Fehler können nur durch äußerste Konzentration ausgeschaltet werden.


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