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Triviale Tropen
Materialien zum 9. Internationalen Filmhistorischen Kongreß, Hamburg, 1996
Zeitgenössische Pressestimmen

Die Qualitäten des Abenteurerfilmes

Willy Haas

in: Film-Kurier, Nr. 60, 10.3.1924


Ich habe unlängst, nach vielen amerikanischen, wieder einen deutschen Abenteurerfilm gesehen. Ich fand ihn, obgleich sauber, annehmbar, abwechslungsreich, dennoch aus dem Prinzip heraus falsch gemacht. Man sagt es ungern, aber es hat gar keinen Sinn, mit der Wahrheit hinter dem Berge zu halten: die Amerikaner haben hier ein ganz bestimmtes, ganz richtiges Prinzip; wir nicht.

Elizza la Porta (vorn) und Maria Forescu in DIE FRAUENGASSE VON ALGIER

Vielleicht läßt sich dem abhelfen: Der deutsche Autor scheint anzunehmen, daß in einem Abenteurerfilm sehr viel abenteuerliche Einfälle aneinandergereiht sein müssen. Über die Qualität dieser Einfälle wollen wir hier gar nicht sprechen.

Das ist falsch. Es kommt überhaupt nicht auf die Zahl der Einfälle an, sondern auf ihre Variabilität, auf ihre Ergiebigkeit. Oder, anders gesagt: das wesentliche ist nicht, daß mir etwas einfällt, sondern daß mir zu meinem Einfall recht viel einfällt. Die Buntheit eines Abenteurerfilms ist, wenn man sie mathematisch errechnen will, nicht errechenbar nach der Zahl und Abwechslung der Einfälle, sondern nach der Zahl der Überraschungen, der unerwarteten Plötzlichkeiten. Es handelt sich also immer darum, einem Einfall auf den Grund zu gehen, und irgendwo in seinem tiefsten Grunde irgendeine ganz kleine Möglichkeit einer fast unglaublichen Kombination oder Abbiegung zu finden.

Je bunter ein Abenteurerfilm ist, desto strenger muß er konstruiert sein. Er muß, wie man sagt, »mit allen Salben« des Handwerks »geschmiert« werden... Er ist gar nicht leichter, sondern mindestens ebenso schwer zu schreiben, wie irgendein künstlerischer Spielfilm. Eigentlich hat hier nur das Objekt gewechselt: während das fimische Kunstwerk auf einer intuitiven psychologischen Erfassung der handelnden Personen beruht, beruht der Abenteurerfilm auf einer intuitiven psychologischen Erfassung des Zuschauers. Das Genie der Abenteurergeschichte steht mit der Seele des Zuschauers auf Du und Du – das Genie der Gestaltung steht mit der Seele seines Helden auf Du und Du.

Jede Bewegung, jeder Szenenwechsel muß im Abenteurerfilm vom Effekt her berechnet sein, muß die Spannung erhöhen. Jede Verlangsamung des Handlungstempos muß von dorther ihren ausgetiftelten Sinn haben, ebenso jede Beschleunigung, jede Großaufnahme, aber auch jede vermiedene Großaufnahme. Der Spielfilm ist ein geschmackvolles Arrangement – der Abenteurerfilm ist eine mathematische Rechnung, die bis auf das Tausendmillionstel klappen muß. Das ist der Unterschied.

Es mag tausend »Zufälle« geben im handgreiflichen Sinn; aber es darf keinen einzigen »Zufall« geben, keine einzige Beiläufigkeit mit Hinblick auf das einzige hier zu erstrebende Ziel: die Erhöhung der Spannung. Man behandelt die sogenannten »logischen Fragen« hier immer von einer ganz falschen Seite: es handelt sich absolut nicht, sagen wir, um die Unwahrscheinlichkeit, daß gerade im Augenblick der höchsten Not ein Aeroplan dasteht, in dem der Held davonfliegen kann, und es ist völlig wurst und egal, ob dieser Zufall mehr oder weniger dumm oder ob er überhaupt begründet ist: sondern es handelt sich darum, daß die Lösung der Situation durch einen (zufällig daseienden) Aeroplan keine zufällige ist, sondern, ganz genau ausgerechnet, die allerüberraschendste Lösung, an die der Besucher am allerwenigsten gedacht hätte – sagen wir z.B. deshalb, weil gerade ganz andere Fluchtmöglichkeiten für diese Situation ganz besonders sorgfältig exponiert wurden.

Es gibt eine mathematische Berechnung der »Wahrscheinlichkeit«; der Abenteurerfilm beruht auf einer streng mathematischen Berechnung der unwahrscheinlichsten Pointe; jedoch immer mit der Voraussetzung, daß diese »Unwahrscheinlichkeit« zugleich im Nachhinein als verblüffend einfach und möglich erkannt werden muß.

Ich halte den Qualitätsmangel, der mit der Begründung entschuldigt wird: »das Publikum will es so« in allen Fällen für eine Ausrede, die die Dummheit und Unfähigkeit des Regisseurs maskieren soll. Natürlich, man kann den Publikumsgeschmack auch unterbieten; aber Geschäfte auf dieser Basis gehören wirklich schon zu den unmoralischen.

Das Publikum will niemals etwas, was absolut schlecht, verworren und dumm ist. Natürlich, es will auch keine »Kunst«; wenn man definieren soll, was es eigentlich will, so kommt man noch am ehesten zum Resultat: es will vollendetes Handwerk. Das Werk soll nicht aus einer ganz anderen Welt stammen, sondern aus derselben Welt, wie der Zuschauer selbst; aber in dieser Welt soll es das Produkt eines Grades von dramaturgischer und regietechnischer Geschicklichkeit sein, der als »unglaublich« angestaunt werden muß. Mit einem Wort: Der Abenteurerfilm ist keine Ausrede für Stümperei.

Ganz abgesehen davon, daß auch dieses Rezept nicht das Rezept zum besten Geschäft ist: Das Rezept zum besten Geschäft beruht auf dem Prinzip, daß das Publikum überhaupt nicht weiß, was es will, und jedem dankbar ist, der ihm eine Sache mit der Gewalt einer streng individuellen Suggestionskraft oktroyiert.


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