Triviale Tropen
Materialien zum 9. Internationalen Filmhistorischen Kongreß, Hamburg, 1996
Zusammenfassungen der Vorträge

Herbeigeholte Ferne - Völkerschauen als Vorläufer exotisierender Reise- und Abenteuerfilme

Hilke Thode-Arora, Köln


Im 19. und frühen 20. Jahrhundert waren Völkerschauen in Deutschland eine weitverbreitete Form des Unterhaltungsgeschäfts: Menschen fremder Kulturen wurden für mehrere Monate oder gar Jahre angeworben, um dem zahlenden Publikum auf Tourneen oder an Gastspielorten als »typisch« erachtete Tätigkeiten ihrer Heimat zu demonstrieren. Besonders im Umfeld des Hamburger Zoogründers Carl Hagenbeck erreichten diese Darbietungen immer größere Dimensionen: Die Vorführungen folgten einem festen dramaturgischen Ablauf mit dramatischem Höhepunkt und Happy End. Als zusätzliche Attraktion wurden ganze Völkerschau-Dörfer errichtet, oft mit importierten authentischen Wohnstätten sowie mit enormen Attrappen von architektonischen Sehenswürdigkeiten der entsprechenden Herkunftsgebiete. Die Besucher konnten dort das »tägliche Leben« der Fremden beobachten und hautnah mit allen Sinnen eine unbekannte Welt erleben. Die Suggestion einer abenteuerlichen Reise in das exotische Land wurde immer perfekter.

Allein in der europäischen Kolonialzeit wurden nach einer vorsichtigen Schätzung mehrere hunderttausend Bildmedien produziert, welche Außereuropäer darstellen. Zeitgenössische Fotos, Postkarten und Plakate von Völkerschauen sind eine Teilmenge dieser bisher nur in Anfängen systematisch erforschten Bilderflut. Exemplarisch soll daher an diesen visuellen Zeugnissen die Inszenierung von Exotik aufgezeigt werden.

Ergänzend lassen sich anhand der zu den Völkerschauen ausgewerteten zahlreichen schriftlichen Quellen Parallelen, Divergenzen und Verknüpfungen zum Abenteuer- und Reisefilm der Zwischenkriegszeit aufzeigen. Zentrale Frage ist dabei ebenfalls die Methode, mit der Exotik für den Betrachter erzeugt wurde: Möglichst authentische Ausstattung oder im Gegenteil reine Phantasie mit kaum vorhandenen außereuropäischen Versatzstücken, charakteristische Handlungsstränge und plakative »Erkennungszeichen« bestimmter Ethnien sind filmische Stilmittel, deren Tradition bis zu den Völkerschauen zurückreicht. Nachweisbar sind auch personelle Verzahnungen zwischen Völkerschau-Organisation, Museumsethnologie sowie der Produktion bzw. Ausstattung mancher Reise- und Abenteuerfilme.


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