Triviale Tropen
Materialien zum 9. Internationalen Filmhistorischen Kongreß, Hamburg, 1996
Zusammenfassungen der Vorträge

Exotik und Tourismus - Die Sehnsucht unserer Zeit. Reisefilme der HAPAG 1922-39

Michael Töteberg, Hamburg


Die Hamburg-Amerika-Linie (HAPAG), mit den Seemachtsträumen Kaiser Wilhelms gestrandet, gelangte als Touristik-Unternehmen in der Weimarer Republik rasch wieder zu alter Größe und Bedeutung. Mit einem eigenen »Filmdienst«, der zwei Dutzend, teilweise abendfüllende Filme produzierte, versuchte man, »in moderner Weise« für Fernreisen zu werben. Die technisch wie ästhetisch unzulänglichen Kultur- und Reisefilme wurden von der Branche als dilettantisch beurteilt: »Mein Feld ist die Welt - aber nicht der Film«, spottete der Film-Kurier 1927 über den Südamerikafilm der HAPAG. Das Unternehmen suchte den Kontakt mit professionellen Filmleuten, Höhepunkt dieser Zusammenarbeit war 1929 der mit der Tobis produzierte »erste deutsche Tonfilm« MELODIE DER WELT von Walther Ruttmann. Auf einer Weltreise aufgenommen, bemüht sich der Film, in Montagesequenzen den Rhythmus unserer Wirklichkeit, aber auch einer fremd-exotischen Gegenwelt aufzunehmen: »ein paradiesischer Friede«, der »im seltsamen Kontrast zu unserer, eben europäischen Reisejagd steht« - »die Sehnsucht unserer Zeit liegt darin beschlossen« (aus dem Film-»Präludium« von Heinrich Mutzenbecher). Zu einer politischen Auseinandersetzung führte 1933/34 die Verweigerung des Prädikats »volksbildend« für den von der Ufa hergestellten Film WASSER HAT BALKEN: Die Betonung des Luxuslebens an Bord war offiziell moniert worden. Vordergründig ging es um KdF-Gemeinschaftsreisen versus gehobenen Individualtourismus, im Hintergrund stand der Konflikt zwischen ökonomischen und ideologischen Vorgaben: Fernweh und Weltoffenheit, die Sehnsucht nach dem Erlebnis der geheimnisvollen Fremde paßten kaum zur propagierten Heimatliebe und Schollenverbundenheit. Das »gespaltene Bewußtsein« (Hans Dieter Schäfer) in der Alltagskultur des »Dritten Reichs« spiegelt WIR FAHREN NACH AMERIKA von 1939: eine Hymne auf den American way of life, der den deutschen Volksgenossen als modern und praktisch gepriesen wird.


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