CinErotikon. Materialien zum 12. Internationalen Filmhistorischen Kongreß, Hamburg, 4. - 7. November 1999.

Filmzensur und Sexualmoral

in: Film-Kurier, Nr. 131/132, 4.6.1927

Wunderbar sind die Wege der Filmprüfstelle. Für freie Stunden gibt es kaum eine mehr zur Heiterkeit stimmende Lektüre, als die Entscheidungen unserer Zensoren. In beneidenswert ernst geschriebenem Amtsdeutsch gefertigt, geben sie ein gutes Bild von den gegenwartsentfernten Anschauungen unserer filmgeistigen Vormünder.

Da ist ein Film - nennen wir ihn »Quiproquo«. Er ist in der Beschwerdeinstanz »in seiner Gänze« (o, du mein Deutsch!) verboten. Und weshalb? »Entsittlichend wirkt die Hemmungslosigkeit, mit der Ypsila, soeben Witwe geworden ... ihr Trauerkleid mit den glänzendsten Kostümen vertauscht ... Sie führt ... das Leben einer Kokotte. Hemmungslos ergibt sie sich Kepler .. dem sie ... widerstandslos in die Arme sinkt. In Paris leben sie zusammen, eilen von Vergnügen zu Vergnügen.«

»Entsittlichend wirkt ... daß sie ... unmittelbar vor der Hochzeit mit Froy sich Kepler hingibt und mit ihm, unter einem Dach mit ihrem Verlobten, ihre Liebesnacht begeht.« (Sollte es nicht bereits entsittlichend wirken, wenn Verlobte überhaupt unter einem Dache wohnen, geehrte Oberprüfstelle?!)
»Das Verbot des Zwischentitels »Geliebte, schenke mit diese Nacht!« rechtfertigt sich auf Grund des sexuellen Einschlags der darin enthaltenen Aufforderung.«

FRAUEN, DIE MAN OFT NICHT GRÜSST (R: Friedrich Zelnik, 1925)

Bedauerlich, aber nicht zu leugnen, daß die Sexualität nun einmal selbst im Leben des Normalmenschen eine gewisse Rolle spielt. Leute ohne »sexuellen Einschlag« pflegt man als abnorm zu betrachten.

»Entsittlichend endlich wirkt die Leichtfertigkeit, mit der sie ihren Verlobten auf den kommenden Treubruch vorbereitet, mit der sie, nachdem der Treubruch vollzogen ist, Verzeihung heischt, und mit der ihr Verlobter den Treubruch hinnimmt und Verzeihung gewährt.«

Merk auf, mein Herz, nicht nur der Treubrechende, auch der Betrogene ist schuldig - wenn er verzeiht, denn »in dem Beschauer wird dadurch der Eindruck erweckt, als sei die Verlöbnistreue etwas Unbeachtliches, und der Treubruch selbstverständlich und verzeihungsbedürftig.«

Die Moral der Oberprüfstelle ist über jeden Zweifel erhaben. Die hohe Sittlichkeit ihrer Beisitzer verdiente, als bleibendes Ehrenmal auf Zelluloid gebannt zu werden. Schade nur, daß das Leben nicht ganz so lilienrein ist.


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