CinErotikon. Materialien zum 12. Internationalen Filmhistorischen Kongreß, Hamburg, 4. - 7. November 1999.

Der »Schundfilm«

Gegen die Resolution des »Reichsverbandes Deutscher Lichtspiel-Theaterbesitzer«

Dr. jur. W. Friedmann

in: Film-Kurier, Nr. 12, 14.1.1921

Nachdem wir gestern einem Vertreter der Filmindustrie, Direktor Hermann Rosenfeld, und einem ihrer juristischen Berater das Wort zu der bekannten Resolution der Lichtspieltheaterbesitzer gegen den Schundfilm gegeben haben, wäre es nicht uninteressant, wenn nunmehr Vertreter der Lichtspieltheaterbesitzer die Motive begründen würden, die sie zu dem Beschlusse veranlaßt haben. Es ist gewiß von Bedeutung, daß der Gesamtvorstand für diese Resolution die größte Publizität gewünscht und deshalb auch ihre Verbreitung durch das Wolffbüro veranlaßt hat.

Unsere zeitlose Zeit hat wieder einmal ein neues Schlagwort gefunden: Der »Schundfilm«. Gegen den »Schundfilm« rast's durch die Lande. Diese Kampfansage enthält eigentlich nur eine Selbstverständlichkeit und nichts Neues. Neu ist nur die ungemein extensive Interpretation, die man diesem Begriff »Schundfilm« zu geben sucht. Im gleichen Augenblick klagt man den »Schundfilm« an, wo die Reichsregierung die bisherigen Ergebnisse der reichsgesetzlichen Filmzensur veröffentlicht mit dem alle die Rufer im Streit doch auf das entschiedenste desavouierenden Resultat: 10 Filme von in den 6 Monaten seit Begründung der Reichszensur eingereichten 1000 Filmen verboten! und ganze 2517 Meter ausgeschnitten aus einer Gesamtmeterzahl von 1.242.000. Diese Zahlen sind die beste Rechtfertigung der Filmindustrie und zugleich die stärkste Widerlegung all der ebenso gewissen- wie geistlosen Eiferer gegen den Film.

Da muß es doppelt überraschen, daß der »Reichsverband Deutscher Lichtspiel-Theaterbesitzer« sich bemüßigt gefühlt hat, einen Beschluß zu fassen, der den Fabrikanten vielleicht gut gemeinte, aber völlig unangebrachte »Ratschläge« über die Auswahl ihrer Manuskripte gibt (vgl. Nr.8 des »Film-Kurier« vom 10. d. M.).

Dieser Beschluß kann so nicht ohne weiteres hingenommen werden. Gerade im gegenwärtigen Augenblicke war es völlig verfehlt, einen derartigen Beschluß zu fassen. Verfehlt einmal deshalb, weil ein sachlicher Grund für die Beschlußfassung gar nicht vorlag, verfehlt vor allem deshalb, weil er geeignet ist, den Gegnern Waffen in die Hand zu geben im gleichen Augenblick, wo wir in der Lage sind, sie mit dem Schwergewicht der Zahlen zu entwaffnen.

Justament in diesem Augenblick kommt der »Reichsverband« mit seiner weithin befremdenden Resolution. Diese Resolution dürfte sich genau so wieder als ein Fehlschlag erweisen, wie ja die Taktik der Theaterbesitzer bzw. des »Reichsverbandes« in Sachen Filmzensur überhaupt einen Fehlschlag bedeutet hat. Hatten es doch einzelne Theaterbesitzerverbände, wie nicht vergessen werden kann, für richtig gehalten, die Nationalversammlung in Weimar wiederholt anzutelegraphieren und die Wiederkehr der Zensur zu ersehnen. Die Herren haben mangels geeigneter Führung eben übersehen, daß es sehr leicht ist, ein Gesetz herbeizurufen, daß es aber, wenn es dann eingebracht, ungeheuer schwer ist, seine Gestaltung so zu beeinflussen, daß man keinen Schaden leidet. Nun hat das Lichtspielgesetz leider vor allem auch gegen die geschlagen, die es gerufen. Die Theaterbesitzer haben in seinem § 3 mit der Altersgrenze von 18 Jahren die Quittung für ihr Sehnen nach der Zensur und den Dank aller rückschrittlichen zensurbegeisterten Kreise erfahren. Man hätte allerdings glauben sollen, daß sich die Theaterbesitzer die traurigen Erfahrungen des Jahres 1919 zunutze gemacht hätten - aber weit gefehlt: die Unglückstaktik soll anscheinend fortgesetzt werden. Beweis: dieser »Schundfilm«-Beschluß in einem Augenblicke, wo einige Abwehr gegen die »Schundfilm«-theorie, gegen die rechtswidrige Auslegung und Anwendung des Lichtspielgesetzes not tut.

Dieser Vorstoß der Theaterbesitzer gegen die Fabrikanten entbehrt aber auch sachlich jedweder Begründung, wie auch folgende Momente noch dartun mögen: Es soll gewiß nicht geleugnet werden, daß Schundfilme fabriziert worden sind, aber nicht darf man es so hinstellen, und das kann aus der Resolution der Theaterbesitzer eben leider gefolgert werden, als ob dieser Schundfilm gewissermaßen Wesensinhalt, Wesenszweck des deutschen Films sei oder auch nur gewesen sei. Denn es hat sich da immer nur um allerdings aufs schärfste zu verurteilende und verurteilte Ausschreitungen einzelner gehandelt, die aber wiederum zu erklären waren aus den allgemeinen Zeitverhältnissen, aus der allgemeinen Dekadenz, die wir unmittelbar nach der Revolution erlebt haben. Und das muß immer wieder betont werden: es waren Einzelerscheinungen und vor allem vorübergehende Erscheinungen, die sich längst nicht mehr zeigen, ja schon nicht mehr zu Tage getreten sind, als die Deutsche Nationalversammlung in Weimar die Verfassung und ihren Zensurartikel 118 schuf. Aber: »Es rast der See und will sein Opfer haben!«.

Die organisierte Filmindustrie hat bereits im Januar 1919, vertreten durch den damaligen Kartellrat der »Vereinigten Verbände der Deutschen Filmindustrie«, jene damals aufkommende Richtung innerhalb der Filmproduktion aufs lebhafteste beklagt und die Industrie aufs eindringlichste gewarnt, auf diesem Wege weiterzuschreiten und sie hat auch organisatorische Maßnahmen zur Bekämpfung der Schund- und Schmutzfilme getroffen. Nicht vergessen werden darf auch, daß die »Vereinigten Verbände der Deutschen Filmindustrie« bzw. nach deren Auflösung später die »Vereinigung Deutscher Filmfabrikanten« im Oktober 1919 eine eigene Filmprüfungsstelle eingerichtet haben. Es muß erneut bedauert werden, daß die deutsche Regierung der deutschen Filmindustrie in unserer doch angeblich so freiheitstrunkenen Zeit nicht das gleiche Recht der Selbstverwaltung, der Selbstkritik gewährleistet hat, das die englische Regierung der englischen Filmindustrie seit jeher zugestanden hat; denn in England gibt es keine Staatszensur, sondern lediglich die auf Selbstverwaltung aufgebaute Zensur der Industrie. Und wenn die deutschen Theaterbesitzer dieser auf Freiheit und Selbstverwaltung gegründeten Institution, deren Verwirklichung auch die deutsche Filmindustrie in ihrer »Filmprüfstelle« versucht hatte, größeres Verständnis entgegengebracht hätte, so wäre ihnen vielleicht der Jugendlichen-Paragraph erspart worden.

Aber auch darauf muß noch hingewiesen werden: Wären jene mit Recht verworfenen Schund- und Schmutzfilme überhaupt denkbar gewesen, wenn sie nicht ihre Abnehmer gefunden hätten? Haben nicht gerade die Theaterbesitzer diese Filme aufs stürmischste verlangt und sich gegenseitig in den Preisen für sie überboten? Das kann doch wohl nicht bestritten werden! Sollte es aber bestritten werden, so können Briefe vorgelegt werden, in denen Theaterbesitzer »ja recht scharfe Sachen!« verlangten, in denen sie sich darüber beschwert haben, daß dieser oder jener Film kein Paprika, keine Pikanterien enthalte und darum so »langweilig« sei.

Und soll man gar an die Sünden der Herren Theaterbesitzer auf dem Gebiete der Reklame erinnern? Wir brauchen nur hineinzusteigen in all die Verhandlungen der Parlamente in den letzten Jahren, in die Verhandlungen im Zensurausschuß der Nationalversammlung und in diese selbst, sowie in die Verhandlungen früher im Reichstage, in den verschiedenen Landtagen und Landesversammlungen, in denen allgemein anerkannt worden ist, daß nicht die Filme, sondern die Reklame zu ihnen das Übel seien, die oft sogar mit dem Filmen sachlich gar nicht zu vereinigen sei. Soll man daran erinnern, daß von den Theaterbesitzern vielfach Titel willkürlich geändert und mit dem entsprechenden erotischen Beigeschmack versehen worden sind?

Unsere Mappe ist reich. Doch liegt es uns fern, hier Sünden der Vergangenheit aufzurühren. Zweck dieser Zeilen ist vielmehr lediglich, die Herren, die jene Resolution geschaffen haben, zu überzeugen, wie verfehlt sie im gegenwärtigen Augenblick war.

Siegen nämlich die neuen Zensurgrundsätze, wie sie nicht einmal das vielgeschmähte alte Regime gekannt hat, so würden zuerst die Theaterbesitzer die Folgen zu spüren bekommen. Denn die Filme werden dann des Interesses entbehren und langweilig werden. Der Kinobesuch wird mit Naturnotwendigkeit nachlassen. Das aber ist es ja, was, wie die Theaterbesitzer sich immer vor Augen halten wollen, die Kinogegner vor allem wünschen.

Im übrigen ist an dem Beschluß auch noch vor allem zu bemängeln, daß er allgemein gehalten ist, und daß er gerade durch diese allgemeine Formulierung den Gegnern die besten Waffen gegen uns in die Hand gibt. Nirgends ist zu erkennen, welche Manuskripte gemeint sind, nirgendwo sind nähere Tatsachen angegeben.

So aber darf man das eigene Haus nicht bekämpfen und dem Kampfe für eine von freiheitlichen Grundsätzen erfüllte Zensur nicht hindernd in den Weg treten. Die Bekämpfung des wirklichen Schundfilms ist eine selbstverständliche Voraussetzung. Darin sind sich alle Kreise innerhalb und außerhalb unserer Industrie einig. Aber dem wirklichen Schundfilm gilt ja nicht der Kampf. Denn man will, und das mögen sich alle Kreise, denen das Wohl des deutschen Films und der deutschen Filmindustrie am Herzen liegt, all immer vor Augen halten, auch eine Handhabe gegen diejenigen Filme gewinnen, die man auf Grund des Gesetzes nicht verbieten kann, aber dennoch gern verbieten möchte. Und da glaubt man eben in dem Begriff »Schundfilm« die befreiende Formel gefunden zu haben, die man eben anzuwenden wünscht, wenn man auf Grund der Bestimmungen des Lichtspielgesetzes nicht weiterkommt. So sucht man eben diesen neuen Begriff »Schundfilm« als einen allgemein gültigen zu schaffen, und man sucht ihn gewissermaßen in das Gesetz hineinzuinterpretieren, das selbst ihn jedoch gar nicht kennt.

Dagegen geht der Kampf, und der darf nicht durch unglückliche Resolutionen geschwächt werden. Es muß bekämpft werden, der Geist, der sich auszuprägen scheint in dem an den Sextanervers vom nichtdeklinierbaren Neutrum sich anlehnenden Satze: »Was man nicht so verbieten kann / Das sieht man als 'nen »Schundfilm« an!«


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