CineGraph - Lexikon zum deutschsprachigen Film.

Martin Benrath - Schauspieler

Biografie

Helmut Kurt August Hermann Krüger, geboren am 9. November 1926 in Berlin-Lankwitz, Sohn eines leitenden Angestellten. Gymnasium bis zur Oberprima, dann 2 Jahre Luftwaffenhelfer bei der Flak. Als er 1945 im Deutschen Theater Horst Caspar als Hamlet sieht, will er Schauspieler werden und finanziert sich - laut einer biografischen Anekdote - 1946 mit dem Verkauf seiner Rolleiflex-Kamera privaten Schauspielunterricht bei Maria Loya. 1947 erstes Engagement am Theater am Schiffbauerdamm unter Fritz Wisten, wo er bis 1950 zumeist in Märchenstücken spielt. Dann bis 1952 am Hebbel-Theater (u.a. Karl Moor in "Die Räuber", Petruchio in "Der Widerspenstigen Zähmung", Hektor in "Troilus und Cressida"), beim Theater am Kurfürstendamm und im Theaterclub des British Centre. Danach engagiert ihn Gustav Gründgens ans Düsseldorfer Schauspielhaus, wo er Erfolg als schwärmender An- und Verführer Hans in Cocteaus "Bacchus" und als Bruno Mechelke in Zuckmayers "Die Ratten" hat. Schon früh zelebriert der junge Schauspieler, "das Air einer nicht unsympatischen deutschen idealistischen Arroganz - das ist übersetzt: Hochmögenheit." (Stadelmeier, 1996).

Seine ersten Erfahrungen beim Film macht Benrath, dessen markanter, von einem Unfall herrührender "Schmiss" auf der Wange ihn für die Rolle des preussischen Offiziers oder des zackigen Deutschen mit korpsstudentischer Vergangenheit prädestiniert, in verschiedensten Genres des bundesdeutschen Unterhaltungsfilms der 50er Jahre. Benraths erster Film ist der erfolgreiche, aber von der Kritik zwiespältig aufgenommene Zweiteiler MEINES VATERS PFERDE (1953/54, Regie: Gerhard Lamprecht). In dieser Familiensaga verkörpert er den Ulanenoffizier Michael Godeysen, der seine unmilitärische Wesensart erkennen muß: "In seinem Gesicht, in dessen Ausdruck sich Arroganz und Haltlosigkeit in unnachahmlicher Weise verbinden, bricht manchmal der wahre Charakter dieses ganzen verlogenen Schattenspiels durch - was sicher nicht das Verdienst des Regissseurs ist, der ihn unermüdlich billige Sprüche rezitieren läßt." (Ben Eichsfelder = Enno Patalas, Film-Forum, Nr. 8, 1954).

 In dem ebenfalls unter Lamprechts Regie nach einem Illustriertenroma gedrehten Problemfilm DER ENGEL MIT DEM FLAMMENSCHWERT gerät er als junger Ehemann in den Verdacht der Blutschande, als er vermuten muss, mit seiner Halbschwester (Gertrud Kückelmann) verheiratet zu sein. In anderen Gefilden bewegt er sich in Hans Deppes Musikfilm TAUSEND MELODIEN, wo er neben Schlagerstar Bibi Johns als ehrgeiziger Geigenvirtuose aus dem Odenwald zu bewundern ist, der als Schlagerkomponist und Bandleader Karriere macht. Im Heimatfilm HEIDEMELODIE wandelt er sich durch die Liebe einer Dorfschullehrerin (Antje Weisgerber) vom rücksichtslosen Pferdezüchter zum opferwilligen Liebenden, während er im Ehelustspiel DIE IDEALE FRAU als Oppositionsführer im Stadtrat, der heimlich mit der Bürgermeisterin (Ruth Leuwerik) verheiratet ist, in allerlei eheliche und politische Verwicklungen gerät. 

Eine profiliertere Rolle spielt Benrath 1964/65 neben Marlon Brando in Bernhard Wickis Kriegsfilm MORITURI. Hier ist er der linientreue und erbarmungslose Erste Offizier Kruse, "ein wahrer Höllenhund von einem Nazi" (Uwe Nettelbeck, Filmkritik, Nr. 11, 1965), der einen vermeintlichen Standartenführer (Brando) diensteifrig umschmeichelt und gegen den Kapitän (Yul Brynner) intrigiert. 
Vor allem spielt Benrath weiterhin bis 1962 am Düsseldorfer Schauspielhaus unter Gründgens' Nachfolger Karl Heinz Stroux, u.a. in Lessings "Emilia Galotti" und Anouilhs "Eurydike". Dann gehört er bis 1969 dem Ensemble des Bayerischen Staatsschauspiels an, wo seine Tätigkeit vor allem durch die erfolgreiche Zusammenarbeit mit Regisseur Hans Lietzau geprägt ist. Hier spielt er formsicher mit viriler Kälte und distanziertem Charme sensible und nervöse Helden, Prinzen, Könige, Götter, Verbrecher und Salonherren. "Benrath Figuren hatten Größe immer, nicht nur die Helden, Herren und Herrenmenschen, auch die Draufgänger und die Verlierer. Gerade ihnen schenkte er ein Mitleid, das sie erhaben machte im Unglück." (Sucher, 2000). Daneben gibt er Gastspiele vor allem in Berlin und Hamburg sowie bei den Festspielen in Recklinghausen und Bad Hersfeld. 1969-76 ist Benrath ohne feste Bindung an ein Haus. 

Ab Mitte der 50er Jahre ist er auch für das Fernsehen tätig, wirkt in zahlreichen Fernsehspielen und Klassiker-Adaptionen von Regisseuren wie Ludwig Cremer, Peter Beauvais und Franz Peter Wirth mit, so 1967 in der Titelrolle von Rolf Hädrichs 
DAS ATTENTAT: HEYDRICH IN PRAG.

Erst 1975 führt Benrath die Zusammenarbeit mit den "Jungfilmern" Bernhard Sinkel und Alf Brustellin wieder zum Film. In BERLINGER - EIN DEUTSCHES ABENTEUER verkörpert er die Hauptrolle, einen extremen Individualisten, der gegen jede soziale Kontrolle aufbegehrt, über die verschiedenen Epochen vom Dritten Reich bis in die 70er-Jahre-Gesellschaft mit seiner Umwelt in Konflikt gerät und sich in schicksalhafter Auseinandersetzung mit seinem Jugendfreund und Widersacher Roeder (Peter Ehrlich) als dem Vertreter von deutschem Streber- und Mitläufertum befindet. Benrath betrachtet die Zusammenarbeit mit Sinkel stets als "schöne Ausnahme", wenn er auch grundsätzlich die Theatertätigkeit der Filmkarriere vorzieht: "Beim Film kann man nichts lernen. Man vertrödelt dort seine Zeit, wird nur benutzt und kann sich nicht entwickeln. Beim Film muß man seine Person, die Rolle, immer selbst erklären. Das ist so langweilig, es ist fürchterlich." (Benrath zu Seegers, 1986).

Beim Theater gerät Benrath, der als unmodischer Typ des Schauspielers gilt, in den 70er Jahren ins konservative Lager. Seine Abstinenz vom politischen Theater und seine seltene Zusammenarbeit mit den Neuerern unter den Nachkriegsregisseuren werden ihm als reaktionäre Haltung ausgelegt. 1976-87 gehört er dem Bayerischen Staatsschauspiel an. Er absolviert Gastauftritte u.a. am Theater in der Josefstadt, am Deutschen Schauspielhaus Hamburg und an den Staatlichen Schauspielbühnen Berlin, wo 1974 seine Darstellung des gescheiterten Hochschulprofessors in Simon Grays Boulevardstück "Butley" am Schloßparktheater von der Kritik als eine seiner Glanzrollen gewertet wird. 
Daneben ist er beim Fernsehen weiterhin vielbeschäftigt. Zu seinen bekanntesten TV-Auftritten zählt 1979 die Rolle des Konsuls in der 11teiligen Thomas Mann-Verfilmung BUDDENBROOKS von Franz Peter Wirth: "Schwer zu zeichnen: ein Starker, der nun schwach ist, ein Mächtiger, der Ohnmacht nah. Das war natürlich eine Rolle für Martin Benrath, und so spielte er (...) Johann Buddenbrook als Ehren-Bürger, dessen finstere Züge er wie eine Maske aufsetzte. Das adelte ihn. Unter dieser Maske jedoch lagen die Nerven bloß, und wenn es virtuos zuckte im Gesicht dieser Figur, die Würde wahren wollte, verriet das die ganze Anspannung. (...) Mochte diese Figur Johann Buddenbrook auch fast die Fassung verlieren, war sie doch bei Martin Benrath immer bestens aufgehoben. Er gab ihr einen Rahmen. Und Halt." (Weber, 2000). 1980 dreht Benrath erneut mit Sinkel und verkörpert im Politthriller KALTGESTELLT den zynischen V-Mann Kärner. Im gleichen Jahr spielt er in Ingmar Bergmans AUS DEM LEBEN DER MARIONETTEN einen Psychologen. 1982 kann er als konservativer, aber mutiger Philosophieprofessor Huber in Michael Verhoevens DIE WEISSE ROSE beeindrucken. In Sinkels Fernsehserie VÄTER UND SÖHNE, über die Verstrickung der IG Farben in die Politik des "Dritten Reichs", ist er 1984 als jüdischer Bankier Bernheim, der aus patriotischem Eifer den Nazis verfällt, zu sehen. 

Beim Theater hat er Anfang der 80er Jahre Erfolge in Inszenierungen von Lietzau und wird u.a. für die Titelrollen in Strindbergs "Der Vater" (1980) und Shakespeares "König Lear" (1984) gefeiert. Der für seine formvollendete Beherrschtheit, strenge Würde und Ausdrucksstärke bekannte Schauspieler, von der Kritik immer wieder als Herr oder Gentleman, als distinguiert wie ein Hanseat oder Brite beschrieben, hat seine stärksten Momente in Rollen als Suchender, als Verstörter oder als zynischer Weltverächter. "Kein zweiter Darsteller seiner Generation hat wie er Sprache, Stimme, Körper und Geist, also das Handwerkliche des Berufs, in den Dienst seiner Arbeit gestellt." (Seegers, 1996). 1986 macht Benrath, der sich dem Synchronisieren stets verweigert, seine "glanzvoll tönende, schleifende Präzisionsstimme, die Nuancen Zu- und Abneigung, Trauer Angriffslust, Entsetzen, Eifersucht im Bariton moduliert", zum Hauptdarsteller in seiner Interpretation von Thomas Manns "Fülle des Wohllauts" (szenische Lesung aus "Der Zauberberg"). Das Ein-Personen-Stück, mit einem Grammophon und ein paar Schallplatten als Requisiten auf der Bühne des Cuvilliésthaters in München präsentiert, wird vom Publikum und der Kritik begeistert aufgenommen und erlebt auch als Gastspiel zahlreiche Aufführungen. 1995 verkörpert er den Dichter in Hans-Christoph Blumenbers Hommage an den Schauspieler und Regisseur Reinhold Schünzel, BEIM NÄCHSTEN KUSS KNALL' ICH IHN NIEDER.

Anfang der 90er Jahre ist Benrath beim Film als General Hentz in Joseph Vilsmeiers STALINGRAD, als Dr. Otto Klenk in Franz Seitz' ERFOLG und als Chefredakteur in Helmut Dietls Satire SCHTONK zu sehen. Für Sinkel spielt er 1993 neben Armin Mueller-Stahl die Rolle des jüdischen Kinochefs Teilhaber in der Hommage an den Stummfilm DER KINOERZÄHLER.
Auf der Bühne ist er u.a. bei den Salzburger Festspielen Titelheld in Peter Steins "Julius Cäsar"-Inszenierung (1992) und viriler Bogenschütze Dr. Groth in Luc Bondys Uraufführung "Das Gleichgewicht" von Botho Strauß (1993). Die Erfolge halten ihn jedoch nicht davon ab, im Sommer 1998 enttäuscht seinen Abschied von der Bühne zu verkünden, weil er den modernen Klassikerinszenierungen nichts abgewinnen könne, da das Theater immer mehr "zum Neurosenplatz für Regisseure" (Benrath bei Sucher, 2000) verkomme. Trotzdem spielt er weiterhin den Tod im "Jedermann". 

Bei Film und Fernsehen bleibt Benrath ein gefragter Darsteller. Ende der 90er Jahre tritt er u.a. in der schwarzen Komödie WIDOWS - ERST DIE EHE, DANN DAS VERGNÜGEN und in Sönke Wortmanns Universitätssatire DER CAMPUS auf. Im Fernsehen spielt er in den Krimiserien DIE UNBESTECHLICHE und SOPHIE - SCHLAUER ALS DIE POLIZEI, aber vor allem bleibt seine Rolle als verständnisvoller und lebensweiser Großvater in der TV-Verfilmung von Erwin Strittmatters DER LADEN (1998) und sein charmanter Gentlemengauner auf der Suche nach seiner Jugendliebe in der Komödie NATASCHA (1999) in Erinnerung. Seinen letzten großen Auftritt hat er im ZDF-Mehrteiler ZWEI ASSE UND EIN KÖNIG, in dem er einen totgeglaubten Vater und betrogenen Werftbesitzer spielt.
Benrath, der es stets vermeidet, sein Privatleben gegenüber der Öffentlichkeit preiszugeben, heiratet 1953 seine Kollegin Marianne Klein, mit der er bis zu ihrem Tod 1988 in Herrsching am Ammersee in Oberbayern zusammenlebt. Dort stirbt Martin Benrath am 31. Januar 2000.

Anna Bohm

Auszeichnungen

  • 1972 Mitglied der Akademie der Künste Berlin und der Bayerischen Akademie der Schönen Künste.
  • 1973 Goldene Kamera der Zeitschrift Hörzu.
  • 1982 Bayerischer Staatsschauspieler.
  • 1982 Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland
  • 1988 Bayerischer Verdienstorden. 
  • 1993 Bayerischer Filmpreis: Ehrenpreis.
  • 1994 Verdienstkreuz 1. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland.
  • 1995 Maximiliansorden für Wissenschaft und Kunst.
  • 1999 Deutscher Fernsehpreis: Bester Nebendarsteller in DER LADEN.
  • 1999 Adolf-Grimme-Preis, stellvertretend für alle Darsteller in DER LADEN.


Literatur

  • Armin Eichholz: Jetzt beißt und schlägt er mit Wörtern. In: Die Welt, 18.12.1985.
  • Sei: Wohllaut in Fülle. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8.11.1986.
  • Armgard Seegers: Film ist vertrödelte Zeit. In: Die Zeit, 28.11.1986.
  • Claudia Schülke: Befragt: Martin Benrath. "Liebe macht dumm im Kopf". In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.5.1993.
  • Armgard Seegers: Mal herrisch, mal Herr. In: Hamburger Abendblatt, 6.11.1996.
  • Gerhard Stadelmeier: Maßdiener als Tonherr. Man reiche ihm die Partitur. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9.11.1996.
  • L. Schmidt-Mühlich: Gipfel der Einsamkeit. In: Die Welt, 2.2.2000.
  • Gerhard Stadelmeier: Schärfe des Wohllauts. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2.2.2000.
  • Bernd Sucher: Der letzte Gentleman. In: Süddeutsche Zeitung, 2.2.2000.
  • Rainer Wagner: "Die Stimme des Herren". In: Hannoversche Allgemeine Zeitung, 2.2.2000.
  • Mirko Weber: Deutsches Uhrwerk. Thomas Manns Dirigent. In: Stuttgarter Zeitung, 2.2.2000.
  • Henning Rischbieter: Mann mit Form. In: Theater heute, Nr. 3, März 2000.