CineGraph - Lexikon zum deutschsprachigen Film.

Rudolf W. Kipp
- Dokumentarfilm-Regisseur, Kameramann, Autor, Produzent

Biografie

Rudolf Werner Kipp, geboren am 26. August 1919 in Eichwalde, Kreis Teltow, Sohn des Grafikers Hermann Kipp. Bereits während seiner Schulzeit am dortigen Realprogymnasium besitzt er, gemeinsam mit seinem ebenfalls Karl-May- und filmbegeisterten Freund Jan Thilo Haux (später Chefkameramann des Norddeutschen Rundfunks) eine Filmkamera und einen Vorführapparat. Kipp organisiert Filmvorführungen in der Schule, sammelt kurze Filmstreifen und beginnt, Filme zu schneiden und zu bearbeiten. Im März 1938 legt er an der Körner Oberrealschule in Berlin-Köpenick das Abitur ab; anschließend arbeitet er zunächst als kaufmännischer Volontär in der Firma Chirurgische Instrumentewaren-Fabrik Ernst Erler, Berlin. Wenige Monate später, am 15.2.1939, beginnt Kipp als Bildassistent-Anwärter bei der Tobis-Filmkunst GmbH, nachdem er seinen ersten selbst produzierten Film SCHÖNES DEUTSCHLAND (1938/39) mit den Bewerbungsunterlagen eingereicht hat. In der Tobis arbeitet Kipp dann als Trickkamera-Assistent bei Max Brinck und Ernst Kunstmann, danach als 1. Assistent der Tobis-Spielfilmproduktion, u.a. bei den Kameramännern Friedel Behn-Grund, Bruno Mondi und Fritz Arno Wagner. Parallel besucht Kipp Kurse in Fotooptik und Fotochemie und nimmt Unterricht an der Regie- und Schauspielschule Hans Schulze, Berlin.

1940 wird Kipp zur Wehrmacht eingezogen, im April 1941 auf eigenen Wunsch zur PK (Propaganda-Kompanie) versetzt, da er hier die Möglichkeit sieht, seine Filmarbeit fortzusetzen. Mit Unterbrechungen bleibt Kipp bis Kriegsende bei der PK, zunächst als Cutter, dann als Filmberichterstatter im Felde, wo er unter anderem in Griechenland, Italien, Frankreich und Holland filmt. Zusammen mit dem Fotografen Fritz Kempe (später Leiter der Staatlichen Landesbildstelle Hamburg) und dem "Wortberichterstatter" Martin S. Svoboda (später Leiter der Tagesschau) bildet er als Kameramann ein PK-Team.

Während verschiedener Arbeitsurlaube und UK-Stellungen arbeitet Kipp auch weiterhin als Assistent und Kameramann bei der Tobis sowie ab 1.9.1942 als selbständiger Kameramann und Filmproduzent. Gemeinsam mit Jan Thilo Haux und Heinrich Klemme gründet er eine Arbeitsgemeinschaft, die "Herstellungsgruppe Atlantis". In den letzten Kriegsjahren produziert Kipp vor allem für das Ufa-Magazin sowie für die Deutsche Wochenschau GmbH, u.a. INSEL-LEGENDE (Kurzspielfilm, 1942 im Verleih der Wochenschau - Sonderproduktion) und FAHRT INS REICH DER GÖTTER (Dokumentarfilm, 1943 im Terra-Verleih). Kipp, der kein NSDAP-Mitglied ist, wird am 9.11.1942 in die Reichsfilmkammer, Fachschaft Film, aufgenommen.

Im Mai 1945 gerät Kipp in britische Kriegsgefangenschaft, wird jedoch bald entlassen. Noch im gleichen Jahr baut er eine Jugendfilmbetreuung für Flüchtlinge auf, beginnt im Auftrag der Kulturverwaltung Hamburg mit Filmaufnahmen und produziert Schulfunk-Hörspiele für den NWDR.

Ab März 1946 arbeitet Kipp als Kameramann für die britisch-amerikanische Wochenschau "Welt im Film", wo er viele Dutzend "Aktualitäten" produziert. Seine Arbeit für die jeweiligen Wochenschauen, die er nach Gründung der Neuen Deutschen Wochenschau partiell fortsetzt, sieht Kipp im wesentlichen als eine Kontinuität, die ihm filmisch problematisch erscheint: Er attestiert ihr eine unbefriedigende Oberflächlichkeit, die seiner Vorstellung von Dokumentation widerstrebt.

Als selbständiger Kameramann und Filmproduzent kann er, im September 1947 von der British Film Section und der Kulturbehörde Hamburg lizensiert, freier arbeiten. Gemeinsam mit Günther Sawatzki und Heinrich Klemme gründet Kipp im März 1948 in Hamburg die Deutsche Dokumentarfilm GmbH, nachdem die drei bereits im Sommer 1945 eine entsprechende Produktionsgruppe gegründet und mit Vorarbeiten begonnen haben. Als Auftragsarbeiten für die British Film Section produziert die Deutsche Dokumentarfilm GmbH bis 1949 u.a. die Filme LEBENSADERN, ASYLRECHT und DIE BERGUNG DER NEW YORK, die über die Grenzen Nachkriegsdeutschlands hinaus Anerkennung finden: LEBENSADERN läuft 1948 als erster deutscher Film nach Kriegsende auf dem Filmfestival in Edinburgh und den Filmfestspielen in Venedig, ASYLRECHT und DIE BERGUNG DER NEW YORK werden 1949 in Venedig prämiert. In diesen Filmen wird Kipps Ver-ständnis von Dokumentarfilm wohl am deutlichsten: In Abgrenzung zur Wochenschau-Reportage einerseits und zum sogenannten Kunstfilm andererseits geht es ihm darum, das "Innere" von realen Vorgängen und Ereignissen wahrheitsgetreu sichtbar zu machen. Tagelange Vorbereitungen an sensiblen Drehorten, wie etwa in den Flüchtlingslagern für ASYLRECHT, sorgfältig ausgewählte Kamerapositionen und -bewegungen sowie ein von der intendierten Aussage bestimmter Schnitt evozieren eine Filmwirkung, wie man sie aus Spielfilmen kennt. Nicht zu übersehen sind die Kenntnisse, die Kipp als Assistent bei der Tobis-Spielfilmproduktion erworben hat und die er jetzt im Dokumentarfilm einsetzt. Sein Verständnis vom "guten Dokumentarfilm" findet Kipp im übrigen in den Ausführungen des Briten John Grierson (1898-1972) wieder. Dessen 1947 in der Britischen Zone erschienenes Buch "Grierson und der Dokumentarfilm" wird von ihm zustimmend rezipiert und wiederholt zitiert: "The documentary film is a faithful reporting of actuality and an attempt to build up with a camera a true, but nevertheless dramatized version of life", "a drama in the living fact".

Trotz vielbeachteter Filme gerät die Deutsche Dokumentarfilmgesellschaft 1949/50 in die Krise, nachdem sich die politisch-ökonomischen Rahmenbedingungen dramatisch verändert haben: Im Gefolge der Währungsreform und der Gründung der beiden deutschen Staaten fällt die British Film Section als Hauptauftraggeberin aus. Auch wenn die Materialbeschaffung für die Filmproduktion einfacher wird, stellt sich die Auftrags- und Kapitalbeschaffung als so schwierig dar, daß Kipp (künstlerischer Leiter) und Heinrich Klemme (Geschäftsführer) die Firma Ende 1950 liquidieren.

Neben einem Abstecher zum Fernsehen Anfang der 50er Jahre, wo sein Freund Svoboda die Tagesschau aufbaut (Kipp macht erste aktuelle Aufnahmen für die Tagesschau und berichtet gemeinsam mit Jürgen Roland von den Olympischen Spielen in Helsinki) sowie der Mitarbeit an einer Reihe von fremdproduzierten Dokumentarfilmen gründet Kipp eine neue Firma, die bis zu seinem Tode fortbestehen und sein Lebenswerk bestimmen wird: die Rudolf W. Kipp Filmproduktion (R.K.F.).

Die über 100 Filme, die die R.K.F. produziert, umfassen ein weites Spektrum und tragen nicht zuletzt der Tatsache Rechnung, daß Kipp - stärker als in den frühen Nachkriegsjahren - Marktgesetze berücksichtigen muß. Dies findet seinen Ausdruck vor allem darin, daß er neben klassischen Dokumentar- und Kulturfilmen (EIN GOTISCHER TRAUM, 1952; SPRUNG NACH AFRIKA, 1955) immer wieder Werbefilme produziert, u.a. für BP, VW, Nescafé, Ruhrkohle, Nivea, Kaba, Sunil, Doornkat und Warncke-Eis. In den Filmen, die Kipp ab Anfang der 60er Jahre für den Erdölkonzern Esso herstellt (preisgekrönt u.a. BIS ANS ENDE DER WELT, 1965; DER 7. KONTINENT, 1970) mischen sich kulturell-dokumentarische Qualitäten mit dezenten Werbeeffekten. Nicht zufällig bezieht sich Kipp auf Flahertys LOUISIANA STORY (1948), ebenfalls eine Esso-Produktion, als er sich einmal zu eigenen Industriefilm-Traditionen äußert. Ob Werbe-, Industrie- oder Kulturfilm: Kipps Produktionen zeichnen sich auch weiterhin durch konzentriertes und sorgfältiges Arbeiten aus. Neben viel Lob führt dies allerdings auch dazu, daß einige Auftraggeber lieber billiger produzieren möchten.

Bereits in den 50er Jahren wird für Kipp die Produktion von Lehr- und Unterrichtsfilmen wichtig, ein Aufgabe, für die ihn seine auf filmische Wirkung bedachte Arbeitsweise prädestiniert. Im Auftrag des Instituts für Film und Bild (FWU) und des Instituts für den Wissenschaftlichen Film (IWF) stellt die R.K.F. etwa ein Dutzend Filme her, u.a. BILDDOKUMENTE ZUR GESCHICHTE DES FILMS (1967) und DIE ENTSTEHUNG DER BEIDEN DEUTSCHEN STAATEN (1980).

Auch die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten gehören zu Kipps wichtigen Auftraggebern: Bis zur Gründung von Studio Hamburg und der Beteiligung des NDR an dieser Gesellschaft mit eigener Filmproduktion (Kipp: "Mordorganisation aller freien Filmschaffenden für das NDR-Fernsehen") ist der NWDR/NDR ein wichtiger Auftraggeber für die R.K.F. Dessen Nachfolge tritt bald das neu gegründete ZDF an, für das die R.K.F. ab Anfang der 60er Jahre produziert: vor allem Fernsehfilme (DER ZEITLOSE AUGENBLICK), Kulturdokumentationen (THEATER IM TURM), Porträts (WILLY AERTENS) und Reiseberichte (URLAUB NACH MASS).

Neben seiner Produktionstätigkeit hat sich Kipp bereits seit den 30er Jahren als Filmsammler betätigt. Kopien aus seinen umfangreichen Beständen, die viele seltene Dokumentar- und Spielfilme umfassen und in einem eigenen Filmbunker lagern, stellen oft die Quellengrundlage für historische Filmzitate und Kompilationsfilme dar, die auch von anderen Produzenten, etwa dem FWU und dem ZDF, verwendet werden.

Darüber hinaus tritt Kipp mit Vorträgen und Veröffentlichungen hervor, in denen er sich sowohl zur Praxis des filmischen Handwerks als auch zu Fragen der Filmgeschichte äußert. Rudolf W. Kipp stirbt am 15. Januar 1990 in Hamburg.

Peter Stettner

 


Auszeichnungen

  • 1949 IFF Venedig: 2. Preis (Silbermedaille) für BERGUNG DER NEW YORK.
  • 1949 Biennale Venedig: Sonderauszeichnung für ASYLRECHT.
  • 1959 IFF Oberhausen: 1. Preis (Filme außerhalb des Wettbewerbs) für ASYLRECHT (1948).
  • 1965 IFF der Ersten Weltausstellung des Verkehrs München: 1. Preis (besondere filmische Leistung in der Gruppe Raumfahrt) für VORSTOSS INS UNBEKANNTE.
  • 1966 Deutsches Industriefilm-Forum Düsseldorf: Prädikat "hervorragend" für VORSTOSS INS UNBEKANNTE .
  • 1966 Internationale Industriefilm-Festspiele Rouen: Bronzemedaille für VORSTOSS INS UNBEKANNTE.
  • 1966 Kulturfilmprämie des Bundesinnenministeriums für VORSTOSS INS UNBEKANNTE und SOMMER AM SÜDPOL.
  • 1966 Deutsches Industriefilm-Forum Düsseldorf: Prädikat "hervorragend" für BIS ANS ENDE DER WELT.
  • 1966 Deutsches Industriefilm-Forum Düsseldorf: Prädikat "gut" für LIBYEN - SAND UND ÖL.
  • 1968 Deutsches Industriefilm-Forum München: Prädikat "sehr gut" für WERFTPROBEFAHRT.
  • 1969 Internationale Industriefilm-Festspiele Berlin: 1. Preis in der Kategorie B für DER 7. KONTINENT.
  • 1971 III. Deutsches Industriefilm-Forum 1971 Bonn: Prädikat "gut" für VIELEN DANK UND GUTE FAHRT: MENSCHEN AN TANKSTELLEN.
  • 1973 IV. Deutsches Industriefilm-Forum: Prädikat "gut" für ÖLPHABET E - REIBUNG UND SCHMIERUNG.

Literatur

Von Rudolf W. Kipp

  • Bildwirkung und Spannung im Amateurfilm. In: Filmwelt, Nr. 32, 11.8.1939.
  • Ursachen und Wirkungen des Filmschnitts. In Film-Kurier, Nr. 271, 18.11.1941.
  • Film ohne Bein und Busen. Zur Geschichte des Industriefilms. In: Film-Echo / Film-Woche, 8.5.1970.
  • Die Lu-Droop-Story. In: Mitteilungen der Karl-May-Gesellschaft, Nr. 37, September 1978, S. 3-26; Nr. 38, Dezember 1978, S. 3-19. (Biblio- und Filmografie unter Mitarbeit von H. Hatzig, H. Neumann, U. Wolff).
  • S-O-S: Wie rette ich meine Filme? In: Schmalfilm und Video-Filmen, Nr. 9, September 1984, S.379-381.
  • Schwarzweißer geht's nicht: Schattenspielfilme. In: Schmalfilm. Die Zeitschrift für Filmamateure, Nr. 6, Juni 1985, S. 232-234.

  • Peter Stettner: Flüchtlingsbilder im Dokumentarfilm. Geschichte und Geschichten 1948-1960. In: Irmgard Wilharm (Hg.): Geschichte in Bildern. Pfaffenweiler: Centaurus 1995, S. 129-155