CineGraph - Lexikon zum deutschsprachigen Film.

Georg Wilhelm Pabst
- Regisseur

Biografie

Georg Wilhelm Pabst wird am 27. August 1885 in böhmischen Raudnitz (heute Roudnize nad Labem) geboren. Sein Vater August Pabst ist als Beamter der österreichischen Eisenbahn Stationsvorsteher verschiedener Orte, schließlich des Ost-Bahnhofs in Wien; die Mutter Elisabeth, geb. Noe, ist künstlerisch interessiert. Seine ältere Schwester Viola geht an das Konservatorium und wird Schauspielerin. Pabst wächst in Wien auf, wo er die Volks- und Realschule besucht. Als sein Plan, Offizier zu werden, an seiner Kurzsichtigkeit scheitert, nimmt er ab 1901 am Konservatorium in Wien zwei Jahre lang Schauspielunterricht. Am Kurtheater Baden bei Zürich, in St. Gallen und in Salzburg spielt er - nach eigenen Angaben - in zwei Jahren 161 Rollen. Dann Engagements in Dortmund, Nürnberg, in Wien an der Währingerstraße und der Neuen Wiener Bühne. 1911 geht er an das Deutsche Volkstheater in New York, wo er 1912 als Regisseur debütiert. Während der Heimreise wird er im Herbst 1914 vom Ausbruch des Ersten Weltkriegs überrascht und als feindlicher Ausländer interniert. Während der vier Jahre im Lager bei Brest organisiert Pabst eine Gefangenen-Bühne. Anfang 1919 kehrt Pabst nach Wien zurück, wird für ein Jahr als Regisseur an das Deutsche Theater in Prag geholt. Als künstlerischer Leiter der avantgardistischen Neuen Wiener Bühne schlägt er 1920 ein Engagement an das Burgtheater aus.

Pabst lernt Carl Froelich kennen, der 1921 in Wien "den großen Abenteuerfilm" IM BANNE DER KRALLE dreht. Er beobachtet die Dreharbeiten und spielt eine kleine Rolle. Gemeinsam mit seinem Schwager, dem Finanzrat Dr. Broda, wird Pabst Gesellschafter der 1920 von Froelich in Berlin mit seinem Mitarbeiter Walter Supper gegründeten Firma Froelich-Film GmbH, die ab Oktober 1921 in Österreich DER TAUGENICHTS dreht; Pabst beteiligt sich dabei als zweiter Regie-Assistent. Er folgt Froelich nach Berlin, verfaßt mit Supper nach Schillers Drama "Kabale und Liebe" das Drehbuch zu LUISE MILLERIN und fungiert als Assistent des Regisseurs. Die Froelich-Film GmbH produziert Ende 1922 Pabsts Regie-Debüt, DER SCHATZ, dessen Drehbuch er gemeinsam mit Willi Hennings verfaßt. In der dumpfen mittelalterlichen Fabel klingt bereits das Motiv von der Verquickung von Sex, Geld und Macht an, das Pabst in seinen Filmen immer wieder aufgreifen wird.

Das Projekt, 1924 Eugen Jensens Erzählung "Madame d'Ora" mit Paul Wegener zu verfilmen, wird nicht realisiert. Bei GRÄFIN DONELLI, einem glatten Routinefilm mit Henny Porten, lernt Pabst neben dem Kameramann Guido Seeber, der auch seine nächsten drei Filme fotografiert, den Regie-Assistenten Mark Sorkin kennen, mit dem er in den nächsten 15 Jahren intensiv zusammenarbeitet. Nach fünfmonatiger Vorbereitung gibt Pabst die Adaption der jüdischen Legende "Der Dybuk" auf und dreht stattdessen DIE FREUDLOSE GASSE, nach einem Zeitschriftenroman von Hugo Bettauer (der zur Zeit der Dreharbeiten von einem Rechtsradikalen ermordet wird). In der Adaption des Literaten und Filmkritikers Willy Haas wird DIE FREUDLOSE GASSE Pabsts erster großer Erfolg, von der zeitgenössischen Kritik als Meisterwerk bejubelt. In locker verwobenen Episoden entwirft Pabst ein realistisches Bild Wiens während der Inflationszeit, einen scharf kontrastierenden Bilderbogen von Armut und Verschwendung, Sexualität und Macht. Der Film, in mehreren Ländern von der Zensur verstümmelt, wird von der Firma Sofar-Film GmbH produziert, an der neben dem Russen Michael Salkin und dem Franzosen Romain Pinès auch Sorkin und Pabst - zugleich Geschäftsführer - beteiligt sind. Von Hans Neumann, dem Leiter der Ufa-Kulturabteilung, übernimmt Pabst 1925 die Regie für das "psychoanalytische Kammerspiel" GEHEIMNISSE EINER SEELE, das - als Kultur- und Lehrfilm geplant - einige Aspekte der psychoanalytischen Lehren Sigmund Freuds popularisieren soll. In den Spielfilm, teilweise von einer didaktischen Dramaturgie und zahlreichen Zwischentiteln belastet, sind tricktechnisch raffinierte, von Seeber realisierte Traumsequenzen einmontiert (die der damaligen Kritik eher mißfallen). Nachdem sein Plan - in Anlehnung an Eisensteins BRONENOSEC "POTEMKIN" - einen Film über den Matrosenaufstand in Kiel 1918 zu machen, nicht zu realisieren ist, inszeniert Pabst für die Phoebus-Film im Herbst 1926 das k.u.k.-Melodram MAN SPIELT NICHT MIT DER LIEBE, zu dem wieder Willy Haas das Drehbuch verfaßt. Neben dem Starlet Lily Damita spielt Werner Krauß die Hauptrolle. Krauß ist Pabsts bevorzugter Schauspieler, mit dem er seit LUISE MILLERIN immer wieder zusammenarbeitet, und der u.a. auch die Titelrolle in PARACELSUS (1942/43) spielt und noch 1950 in Pabsts Nachkriegs-Projekt über die letzten Tage Hitlers für die Titelrolle vorgesehen ist.

Für die Ufa dreht Pabst im Sommer 1927 DIE LIEBE DER JEANNE NEY, nach dem Roman des sowjetischen Autors Ilja Ehrenburg. Der Film ist eine geschickte Mischung aus Politik, Liebe und Krimi. Pabst, der sich meist intensiv um den Schnitt seiner Filme kümmert, stellt hier in Montagen riesige, groteske Porträts und Detailaufnahmen neben lange, fließende Kamerabewegungen und prägt so den Stil, der für seine besten Filme charakteristisch ist. Während die Presse den Film feiert, erhebt Ehrenburg in einem Flugblatt "Protest gegen die Ufa" wegen der Bearbeitung, die den politischen Hintergrund der Vorlage zugunsten oberflächlicher Unterhaltungswerte verdränge. Nach einer Idee von Fritz Schulz schreibt das Autoren-Team Adolf Lantz, Ladislaus Vajda und Helen Gosewitsch für Pabst das "Kammerlustspiel" ABWEGE über eine Ehekrise voller Mißverständnisse. Mitte 1928 beginnt er mit Probeaufnahmen für die perfekte Besetzung der Wedekind'schen Lulu. Schließlich holt er für DIE BÜCHSE DER PANDORA die amerikanische Tänzerin und Schauspielerin Louise Brooks nach Berlin. Diese Besetzung, in der zeitgenössischen Kritik heftig diskutiert, erweist sich schließlich als filmhistorischer Glücksfall.

Im Januar 1928 beteiligt sich Pabst - neben Käthe Kollwitz, Béla Balázs, Heinrich Mann, Asta Nielsen und anderen Künstlern und Intellektuellen - an der Gründung des Volksverbands für Filmkunst e.V. (später Volks-Film-Verband), einer zunächst "linksgerichteten aber parteipolitisch neutralen" Organisation, die sich für progressive Filmkunst einsetzen und den schlechten und reaktionären Film bekämpfen will. Pabsts Plan, Heinrich Manns Roman "Professor Unrat" mit Emil Jannings in der Titelrolle zu verfilmen, an dem er 1926 erstmals arbeitet, läßt sich auch 1928 nicht realisieren. In DAS TAGEBUCH EINER VERLORENEN spielt Louise Brooks die Hauptrolle eines Mädchens, das vergewaltigt und in eine strenge Anstalt für "gefallene Mädchen" gesteckt wird, in einem Edel-Bordell landet und schließlich durch eine Vernunftehe geadelt wird. Nachdem der Film am 24.9.1929 mit umfänglichen Kürzungen mit "Jugendverbot" freigegeben worden ist und im ganzen Reich ungehindert gezeigt werden kann, wird er am 5.12.1929 auf Antrag der Preußischen Regierung wegen "entsittlichender Gesamtwirkung" wieder verboten. Er wird am 6.1.1930 in einer von Hans H. Zerlett gekürzten und bearbeiteten Fassung wieder freigegeben.

Bei Arnold Fancks Bergfilm DIE WEISSE HÖLLE VOM PIZ PALÜ übernimmt Pabst die Schauspielerführung. "Mit Regisseur Pabst filmte ich sämtliche Tag- und Nachtszenen auf dem Eisband mit Leni Riefenstahl, Diessl und Petersen, wie auch die ganzen Atelieraufnahmen (Hütte, Kircheninneres, Bauernstube)." (Sepp Allgeier, Film-Kurier, 21.11.1929). Der Film wird von der Presse - von der kommunistischen Roten Fahne bis ins nationalistische Lager - gefeiert, wobei neben den Naturaufnahmen die von Pabst - nach Fancks Drehbuch - betreuten Spielszenen eher kritisch gesehen werden. Während Pabst noch an seinem letzten Stummfilm arbeitet, werden im August 1929 Tonfilm-Pläne Pabsts gemeldet. Er will in Twickenham mit dem Opernsänger Tom Burke "Moths" drehen.

Mit seinen ersten Tonfilmen begründet Pabst seinen Ruf als "roter Pabst", indem er pazifistische Themen aufgreift und sich für die deutsch-französische Verständigung einsetzt. WESTFRONT 1918, nach einem Roman von Ernst Johannsen, soll - wie die etwa gleichzeitigen, in Deutschland heftig umstrittenen Hollywood-Produktionen ALL QUIET ON THE WESTERN FRONT (Lewis Milestone) und FOUR SONS (John Ford) - vor einer neuen Kriegsgefahr warnen. Zugleich wird der Film als eines der gelungensten Beispiele für die kreative Verwendung der neuen Tonfilm-Technik gewertet. Noch während der Dreharbeiten zu WESTFRONT 1918 kündigt Seymour Nebenzahls Nero-Film, für die Pabst zwischen 1928 und 1933 seine bedeutendsten Filme dreht, für September 1930 "Das Mirakel von Lourdes. Ein modernes Mysterium", nach einem Manuskript von Walter Hasenclever und Rudolf Leonhardt, als Ton- und Sprech-Großfilm an, der jedoch ebenso unrealisiert bleibt, wie das Projekt "Europa 1914". Im Mai 1930 entsteht im Atelier Neubabelsberg mit der Schul-Komödie SKANDAL UM EVA das Tonfilm-Debüt der Hauptdarstellerin und Co-Produzentin Henny Porten.

Pabst, Margo Lion, "L'Opéra de quat' sous", 1930/31

1930 erwirbt die Nero-Film AG die Verfilmungsrechte an Brecht/Weills Erfolgsstück "Die Dreigroschenoper", Finanziers des Films sind die Warner Bros. und die Tobis-Film. Nach monatelangen Querelen zwischen den Produzenten und Brecht um das Drehbuch, an dem Leo Lania, Ladislaus Vajda und Béla Balázs arbeiten, beginnen am 19.9.1930 die Aufnahmen. Obwohl eine Reihe inhaltlicher Änderungswünsche Brechts berücksichtigt worden sind, klagt dieser gemeinsam mit Weill gegen den Produzenten. Während die Dreharbeiten weiterlaufen, kommt es zum Prozeß, den Brecht verliert, Weill gewinnt. Brecht und Nero schließen einen Vergleich, so daß der Film, dessen Dreharbeiten am 15.11.1930 im großen Atelier der Filmwerke Staaken beendet worden sind, fertiggestellt werden kann. Nach einem weiteren juristischen Geplänkel wird dieser am 19.2.1931 im Atrium festlich aufgeführt. Während der Film in Deutschland und England ungekürzt läuft, wird die parallel gedrehte französische Version in Frankreich zunächst verboten und kann erst im November (nach Schnitten in beiden Versionen) aufgeführt werden. Am 10.8.1933 wird der Film in Deutschland verboten.

Am 18.4.1931 wird Pabst, seit Anfang des Jahres 2. Vorsitzender des Verbands der Filmregisseure Deutschlands, als Nachfolger Lupu Picks von der gewerkschaftlich orientierten Dachorganisation der Filmschaffenden Deutschlands e.V. (DACHO) zum Vorsitzenden gewählt. In dieser Funktion äußert sich Pabst in den nächsten Monaten auch allgemein über die technischen, sozialen und politischen Probleme der Filmwirtschaft. Kurz vor Weihnachten 1931 legt er den Vorsitz wieder nieder. 1931 werden verschiedene Filmpläne gemeldet: Carl Zuckmayer soll ein Drehbuch über den deutschen Bauernkrieg verfassen; Kurt Tucholsky schreibt für Pabst an einem Film mit dem Titel "Seifenblasen", zu seiner Unterstützung reist Ladislaus Vajda nach London.

Pabst geht sein Thema der Aussöhnung mit Frankreich im Bergwerksfilm KAMERADSCHAFT parabelhaft vor: Während sich die Bergarbeiter beiderseits der Grenze in einem Notfall helfen, exerziert die Obrigkeit die formale Abgrenzung. Der zweisprachig gedrehte Film beruht auf einem Zwischenfall in Courrière im Jahre 1906 und wird vom deutschen Ausschuß des "Völkerbund-Komitees für die Annäherung der Völker durch den Film" ausgezeichnet, zugleich von der deutschen Rechtspresse angefeindet. Pabst wird in Paris in die Legion d'honneur aufgenommen. Zur Weltausstellung in Brüssel 1958 wird KAMERADSCHAFT von einer internationalen Kritiker-Jury unter die 30 besten Filme aller Zeiten gewählt. Ebenfalls für Nebenzahl realisiert Pabst Anfang 1932 in Nordafrika in drei Versionen DIE HERRIN VON ATLANTIS mit Brigitte Helm als geheimnisvoll-schöner Wüstenkönigin.

Mitte 1932 plant Pabst, nach Paris zu gehen, um in eigener Produktion und in französischer und deutscher Version "Europa A.G." zu drehen, nach einem Drehbuch von Ilja Ehrenburg (nach Motiven aus dem Roman "Die heiligsten Güter" und der Ivar Kreuger-Affäre). Pabst arbeitet Ende 1932 / Anfang 1933 in Frankreich, wo er in französisch-englischer Co-Produktion mit dem russischen Baß Fedor Chaljapin eine Verfilmung von Cervantes' DON QUICHOTE realisiert. Nach Hitlers Machtergreifung bleibt er in Frankreich, wo er u.a. seinem langjährigen Mitarbeiter Sorkin bei der Produktion eigener Filme behilflich ist, so 1933 als Künstlerischer Oberleiter von CETTE NUIT-LA, 1938/39 noch einmal bei L'ESCLAVE BLANCHE.

Für die französische Dependance der Tobis-Klangfilm dreht er DU HAUT EN BAS mit Jean Gabin und Michel Simon. Neben seinen gewohnten Mitarbeitern (Assistent Herbert Rappaport, Architekt Ernö Metzner, Kostümbildner Max Pretzfelder, Cutter Hans Oser) beschäftigt er eine Reihe von Emigranten: Peter Lorre in einer Nebenrolle, Eugen Schüfftan als Kameramann; das Drehbuch schreibt Anna Gmeyner nach einer Komödie von Ladislaus Bus-Fekete. Seinen 1933/34 entwickelten Plan "Der Prozeß", nach Arnold Zweigs Bühnenstück "Die Sendung Semaels" (das er 1920 in Prag inszeniert hat) und einer historischen Begebenheit im Ungarn des 19. Jahrhunderts, kann er, wegen Bedenken des Produzenten Dreyfus vor antisemitischen Strömungen in Frankreich, erst nach dem Krieg realisieren.

Ende 1933 versucht Pabst, seine Karriere in Hollywood fortzusetzen, wo er sich schon bei seiner Ankunft von den dort herrschenden Film-Trends distanziert. Für Warner Bros. dreht er 1933/34 A MODERN HERO, nach dem Roman von Louis Bromfield. Dabei hat Pabst offenbar Probleme, sich an die amerikanischen Produktions-Methoden zu gewöhnen. Während der drei Jahre in Hollywood erarbeitet er vier Drehbücher, die alle nicht realisiert werden, darunter "War Is Declared" mit Peter Lorre. Das Buch wird von Paramount angekauft, aber nach vier Monaten Vorbereitungszeit auf Einspruch des Hays-Büros wegen seiner politischen Tendenz nicht ausgeführt.

1936 kehrt er nach Frankreich zurück. Während Pabst seinen Plan, einen "Faust"-Film zu machen, nicht verwirklichen kann, dreht er für die Produzenten Romain Pinès und Constantin Geftman einige stimmungsvolle Unterhaltungsfilme. Von Anatole Litvak übernimmt Pabst die Regie zum Spionagefilm MADEMOISELLE DOCTEUR. Ein von ihm vorgesehenes - am authentischen Fall orientiertes - Nachspiel wird nicht gedreht: Als zwei SS-Offiziere die Leiche der in einem schweizer Sanatorium gestorbene Spionin als "große Deutsche" heim ins Reich holen wollen, erfahren sie, daß sie Jüdin ist. Eine mit dem nach London emigrierten Produzenten Max Schach vorgesehene englische Version scheitert ebenfalls. 1938 dreht Pabst LE DRAME DE SHANGHAI nach dem Roman "Shanghai, Chambard et Cie" von Oscar-Paul Gilbert. 1939 entsteht in den Ateliers Joinville die Schul-Komödie JEUNES FILLES EN DETRESSE. Das Drehbuch schreibt Christa Winsloe, auf deren Bühnenstück "Ritter Nerestan" Leontine Sagans Film MÄDCHEN IN UNIFORM beruht (dies und die Ähnlichkeit der Titel haben wiederholt zu der Falschmeldung geführt, es handele sich um ein Remake).

1938 besucht Pabst, der sich allen Angeboten widersetzt hat, nach Deutschland zurückzukehren, aus Anlaß des Todes seines Schwiegervaters Berlin, zieht sich aus Furcht vor einem drohenden Krieg während der Münchener Konferenz zeitweilig in das neutrale Basel zurück. 1939 beschließt er, endgültig in die USA zu gehen; die Passage auf der "Normandie" ist für den 8.9.1939 gebucht. Auf dem Familiengut Fünfturm in der Steiermark, wo er sich von seiner Mutter verabschieden will, wird er am 1.9.1939 vom Kriegsausbruch überrascht. Versuche, über Rom in die USA zu gelangen, scheitern: Pabst muß sich nach einem Bruch einer dreimonatigen Krankenhausbehandlung unterziehen. Er bleibt in Nazi-Deutschland, was ihm bei zahlreichen Kollegen, Historikern und Kritikern den Ruf eines Opportunisten einbringt und seine Nachkriegs-Karriere behindert.

Ab Mitte 1940 arbeitet Pabst bei der Bavaria in München, realisiert dort zunächst KOMÖDIANTEN, ein aufwendiges Historienbild über die Schauspielerin Caroline Neuber nach dem 1935 erschienenen Roman "Philine" von Olly Boeheim. Der Film erhält von der Filmbewertungsstelle die Prädikate "staatspolitisch und künstlerisch besonders wertvoll, kulturell wertvoll, volksbildend, jugendwert" und läuft als deutscher Beitrag am 11.9.1941 auf der Biennale in Venedig, wo Pabst mit der Goldmedaille für die beste Regie ausgezeichnet wird. Leni Riefenstahl, die seit 1940 an ihrer Verfilmung von TIEFLAND arbeitet, engagiert Pabst für die Regie der Spielszenen, zerstreitet sich jedoch nach kurzer Zeit mit ihm. In ihrem Produktionsplan 1941/42 kündigt die Bavaria u.a. den Pabst-Film "Geheimnisvolle Tiefe" an, nach einem Drehbuch von Pabsts Frau Trude und Walther von Hollander. Ein weiterer unrealisierter Plan ist die Filmbiografie von "Heinrich I., genannt der Vogler", der 925 Lothringen für das Deutsche Reich eroberte und 927-929 die Böhmen und Slaven östlich der Elbe unterwarf. Pabst versucht offensichtlich, sich den Forderungen Goebbels nach einem Propagandafilm durch Hinhaltetaktik zu entziehen, indem er verschiedene Projekte durch immer neue Drehbuch-Bearbeitungen hinzieht, ohne daß es zu den eigentlichen Dreharbeiten kommt.

Aus Anlaß des 400. Todestages des mittelalterlichen Heilkundigen kündigt die Bavaria den Film PARACELSUS an; schließlich übernimmt Pabst die Regie und schreibt mit Kurt Heuser das Drehbuch. Während der Dreharbeiten kommt es offenbar zu Differenzen; laut Reichsfilmintendant Fritz Hippler ist das "Verhalten des Regisseurs G. W. Pabst im Falle Bavaria mit den heutigen Pflichten eines Filmschaffenden nicht vereinbar. Die Firmen werden nachdrücklich angehalten, mit Herrn Pabst solange nicht in Verbindung zu treten, als dieser sich nicht mit der Bavaria geeinigt hat". Der Film erhält die Prädikate "staatspolitisch und künstlerisch wertvoll". Am 28.8.1944 beginnt Pabst für die Terra-Filmkunst im Barrandow-Atelier Prag mit den Dreharbeiten zum Kriminalfilm DER FALL MOLANDER, nach dem Roman "Die Sternengeige" von Alfred Karrasch. Beim Einmarsch der Roten Armee 1945 ist der Film im Schnitt und bleibt unvollendet.

Nach Kriegsende bleibt Pabst in Österreich, lebt zunächst auf seinem Gut in der Steiermark, ab 1946 in Wien. 1947 kann er mit DER PROZESS (im russischen Sektor Wiens) seinen alten Plan realisieren. Mit Ernst Deutsch in der Hauptrolle setzt er sich mit dem Thema des Antisemitismus auseinander, indem er auf den authentischen Fall eines "Ritualmord-Prozesses" von 1883 zurückgreift. Ende 1947 wird mit finanzieller Unterstützung der Gemeinde Wien die Pabst-Kiba-Produktions GmbH gegründet. Neben dem alten Projekt GEHEIMNISVOLLE TIEFE produziert die Firma unter Pabsts Künstlerischer Oberleitung auch Paul Mays DUELL MIT DEM TOD, über den Widerstandskampf gegen die Nationalsozialisten, J. A. Hübler-Kahlas "Sport-Schwank" 1-2-3-AUS! und Georg C. Klarens RUF AUS DEM ÄTHER.

Pabsts Plan, in Italien einen Film über Papst Bonifacius VII. mit Emil Jannings in der Titelrolle zu drehen, kommt u.a. durch den Tod des Schauspielers nicht zustande. Das größte Projekt, das er Anfang der 50er Jahre in Italien (u.a. mit dem Produzenten Dino de Laurentiis), den USA und der Bundesrepublik verfolgt, ist "Odysseus". 1952/53 dreht Pabst, der nach Rom übergesiedelt ist, als italienisch-französische Co-Produktion LA VOCE DEL SILENZIO nach einer Idee von Cesare Zavattini. Mehr Erfolg hat Pabst 1953 mit seinen Inszenierungen der Verdi-Opern "Aida", "Il Trovatore" und "La forza del destino" in der Arena von Verona. Mit dem Schriftsteller Bruno Paolinelli gründet er 1952 die Kronos-Film, für die er einen Film dreht: COSE DA PAZZI. Der finanzielle Mißerfolg zwingt den Mit-Produzenten Pabst, in den nächsten Jahren in der Bundesrepublik die Regie von Unterhaltungsfilmen zu übernehmen: 1954 entsteht der Kriminalfilm BEKENNTNIS DER INA KAHR, nach einem Illustriertenroman; 1955/56 ROSEN FÜR BETTINA, ein Melodram um eine junge Tänzerin, die an Polio erkrankt.

Ausnahme in Pabsts schwacher Nachkriegs-Produktion bleiben zwei Arbeiten, in denen er Ereignisse der Nazi-Zeit behandelt. DER LETZTE AKT, seine Darstellung der letzten Tage Adolf Hitlers, ist in der Bundesrepublik ein Mißerfolg, wird jedoch in den USA zum erfolgreichsten deutschsprachigen Nachkriegsfilm. Im zeitlichen Wettbewerb mit DER 20. JULI, einem thematisch identischen Projekt des Regisseurs Falk Harnack (der Pabst um einen Tag schlägt) entsteht ES GESCHAH AM 20. JULI, seine Darstellung des Attentatsversuchs auf Hitler 1944 (mit Bernhard Wicki als Graf Stauffenberg).

Pabsts einziger Farbfilm, DURCH DIE WÄLDER, DURCH DIE AUEN, ist eine "Romantische Symphonie" um den Opernkomponisten Carl Maria von Weber, mit einer romanhaften Handlung um den Überfall einer Räuberbande auf die Kutsche des Komponisten, den ein schrulliger böhmischer Graf zu seiner Unterhaltung inszeniert hat. Daneben entwirft Pabst immer neue Projekte: "Herrscher" über Probleme der Atomenergie; Ende 1956 eine Verfilmung von Schillers "Fiesco" an den Originalschauplätzen in Genua, die mit O. W. Fischer in deutsch-italienischer Co-Produktion realisiert werden soll; eine Aktualisierung von Friedrich Hebbels "Judith", die Pabst als in Israel lebende Tochter ermordeter deutscher Juden darstellen will, Holofernes als in arabischem Sold stehenden ehemaligen deutschen SS-Offizier. Jahrelang verfolgt er den Plan einer Filmfassung von Lessings "Nathan der Weise" mit Ernst Deutsch in der Titelrolle.

Nachdem Pabst Mitte der 50er Jahre an Diabetis und 1957 zudem an der Parkinsonschen Krankheit erkrankt, kann er nicht mehr arbeiten. 1965 vom österreichischen Unterrichtsminister zum Professor ehrenhalber ernannt, lebt er in Wien und auf seinem Gut Fünfturm in der Steiermark. Pabst ist seit Anfang 1924 mit Gertrude (Trude) Hennings (geb. 1899) verheiratet. Ihr Sohn Peter (geb. 1924) ist nach dem Krieg Assistent seines Vaters, später Redakteur beim Bayerischen Fernsehen; 1964/65 führt der zweite Sohn Michael (geb. 1941) Gespräche zur Vorbereitung einer Biografie, die - bis auf den Abdruck eines Kapitels (1967) - unvollendet bleibt. Georg Wilhelm Pabst stirbt am 29. Mai 1967 in Wien an einer akuten Leberinfektion. Er wird am 5.6.1967 in einem Ehrengrab der Stadt Wien auf dem Zentralfriedhof beigesetzt.

Hans-Michael Bock


Auszeichnungen

  • 1932 Preis des Völkerbunds für KAMERADSCHAFT.
  • 1932 Legion d'honneur der Französischen Republik.
  • 1941 IFF Venedig: Goldene Medaille (Beste Regie) für KOMÖDIANTEN.
  • 1948 IFF Venedig: Goldene Medaille (Beste Regie) für DER PROZESS.
  • 1948 Ehrenring der Stadt Wien.

Literatur

Filmtexte

  • Pandora's Box (Lulu). London: Lorrimer 1971, (Classic Film Scripts), 139 S. (Drehbuch, Artikel von L. Brooks und L. H. Eisner).
  • L'Opéra de quat'sous (Die Dreigroschenoper). L'Avant-scène du cinéma, Nr. 177, 1976, 40 S. (Protokoll).
  • Die 3-Groschen-Oper. In: Hans-Michael Bock, Jürgen Berger (Hg.): Photo: Casparius. Berlin/West: Stiftung Deutsche Kinemathek 1978, S. 165-431. (Faksimile einer Drehbuchfassung; Arbeitsfotos, Dokumente).
  • Loulou. L'Avant-scène du cinéma, Nr. 257, 1.12.1980, 57 S. (Protokoll).

Von Pabst

  • Le Muet et le Parlant. In: Cinéma-Ciné, neue Serie, Nr. 118, 1.10.1928.
  • Realität des Tonfilms. In: Film-Kurier, Sondernummer "Zehn Jahre Film-Kurier", 1.6.1929.
  • Politique et Culture. In: Je suis partout, Nr. 462, 19.1.1933. (Les idées de Pabst sur le cinéma; Interview von Louis Gerbe).
  • Film und Gesinnung. In: Felix Henseleit (Hg.): Der Film und seine Welt. Reichsfilmblatt-Almanach 1933. Berlin: Photokino 1933, S. 98-99.
  • Misere del Regista. In: L'Italia Letteraria, Rom, 2.2.1935.
  • Servitude et Grandeur de Hollywood. In: Le Rôle Intellectuel du Cinéma. Paris: Institut International de Coopération Culturelle 1937, (Cahiers 3), S. 251-255; Nachdruck in: Barbaro-Chiarini: Problemi del Film, Bianco et Nero, numero speciale, Nr. 2, 1939.
  • Censor the Censor! In: Sight and Sound, Winter 1938/39. (Interview).
  • Le Réalisme est un passage. In: Revue du cinéma, Nr. 18, Oktober 1948, S. 55.
  • Il cinema, domani. In: Cinema, nuova serie, Mailand, 15.12.1949.
  • Über zwei meiner Filme. In: Filmkunst, Wien, Jahresband 1960, S. 20-26.

Über Pabst

  • N. Efimov: G. W. Pabst. Moskau, Leningrad 1936.
  • Leopold Böhm: G. W. Pabst. Eine Kurzbiographie und Filmographie. In: Filmkunst, Wien, Nr. 18, 1955, S. 9-22.
  • Gideon Bachmann (Hg.): Six Talks on G. W. Pabst. New York: Group for Film Study 1955, (Cinemages 3), 93 S. (Filmografie; Berichte von Mitarbeitern).
  • Rudolph S. Joseph (Hg.): Der Regisseur G. W. Pabst. München: Photo- und Filmmuseum 1963, (Hervorragende Filmgestalter 1), 28 S., ill.
  • Freddy Buache: G. W. Pabst. Lyon: Serdoc 1965, (Premier Plan 39), 102 S.
  • Louise Brooks: Pabst and Lulu. In: Sight and Sound, Summer 1965, S. 152-155; Nachdruck in: L. B.: Lulu in Hollywood. New York: Knopf 1982, S. 93-106; deutsch: Lulu in Hollywood und Berlin. München: Schirmer/Mosel 1983.
  • Barthélemy Amengual: Georg Wilhelm Pabst. Paris: Seghers 1966, (Cinéma d'aujourdhui 37), 191 S. (Filmografie, Bibliografie).
  • Yves Aubry, Jacques Petat: G. W. Pabst. 1885-1967. In: Anthologie du cinéma. Tome IV. Pa-ris: L'Avant-scène-C.I.B. 1968, S. 313-376.
  • Josef Schuchnig: G. W. Pabst und die Darstellung der neuen Sachlichkeit im Film, aufgezeigt anhand einiger beispielhafter Filme von Pabst. Diss. phil. Wien 1976.
  • Lee Atwell: G. W. Pabst. Boston: Twayne 1977, 184 S. (Filmografie, Bibliografie).
  • Hans-Michael Bock, Jürgen Berger (Hg.): Photo: Casparius. Berlin/West: Stiftung Deutsche Kinemathek 1978. (Dokumente zu mehreren Pabst-Filmen).
  • Edgardo Cozarinsky: G. W. Pabst. In: Richard Roud (Hg.): Cinema. London: Secker & Warburg 1980, Bd. 2, S. 752-761.
  • Enrico Groppali: Georg W. Pabst. Florenz: La Nuova Italia 1983, (Il castoro cinema 104), 136 S. (Filmografie, Bibliografie).
  • Eric Rentschler (Hg.): The Films of G. W. Pabst. An Extraterritorial Cinema. New Brunswick, London: Rutgers University Press 1990, 319 S. (Essays zu einzelnen Filmen; Bio-, Filmo- und ausführliche Bibliografie).