CineGraph - Lexikon zum deutschsprachigen Film.

Adolf Winkelmann - Filmmacher, Regisseur.

Biografie

Adolf Winkelmann, geboren am 10. April 1946 in Hallenberg (Westfalen), Sohn des Speditionskaufmanns Adolf Winkelmann und seiner Frau, der Sekretärin Josefine Winkelmann, geb. Carree. Zusammen mit seinem Bruder Wilhelm wächst er in Dortmund auf, wo er sich mit Fotografie beschäftigt und ab 1960 eine Reihe von 8mm-Filmen dreht, darunter einen "mehrere Kilometer langen Spielfilm mit Indianern". Abitur 1965 in Dortmund. 1965-68 Staatliche Werkkunstschule Kassel; ab 1967 Filme in 16mm. Mitarbeit an sozialwissenschaftlichen Untersuchungen in einer Jugendbildungsstätte bei Kassel, bei denen er den Dozenten Gerhart Büttenbender kennenlernt. 1967 Teilnehmer der Internationalen Jugendbiennale Paris (Fotografie). In ADOLF WINKELMANN, KASSEL 9.12.67, 11.54 UHR filmt Winkelmann sich selbst mit vor die Brust geschnallter Kamera beim vorweihnachtlichen Spaziergang durch Kassel und dokumentiert gleichzeitig die erstaunten Reaktionen der beobachtenden Passanten. Im Winter 1967/68 Teilnahme am Experimentalfilmfestival in Knokke/Belgien. In dem Kurzfilm DIE FRESSE (1969) experimentiert Winkelmann mit dem Verhalten des ahnungslosen Zuschauers. Hier wird einer (vor der Kamera sitzende und) festgeschnallte Person vor unvorbereiteten Zuschauern ins Gesicht geschlagen und deren Verhalten (u.a. mit einer High-Speed-Kamera) dokumentiert.
1969-73 Arbeit in einem Produktionskollektiv, seinem Bruder Wilhelm, der als unabhängiger Filmmacher tätig ist, mit Gerhard und Gisela Büttenbender, deren Zwillingsschwester Jutta Schmidt (geb. 1949) sowie Hartmut und Ulrike Grün. Mit Schmidt ist Winkelmann kurzzeitig verheiratet. Für den Werbefilm AEG-PRINZESS (1968) putzt sie ihre Zähne mit einer elektrischen Zahnbürste.
Anfang der 70er Jahre Regie und Produktion von TV-Filmen (DAS ANDERE KINO), Dokumentarfilmen sowie "Zielgruppenfilmen" u.a. über die Arbeiterbewegung, z.B. den 31-minütigen Kurzspielfilm STREIK BEI PIPER & SILZ (1971/72) über einen Arbeitskampf im Mai 1923 im Ruhrgebiet.
Ab 1974 Lehraufträge in Dortmund. Theaterinszenierungen in Kassel und Düsseldorf. In dem engagierten, überwiegend mit jugendlichen Laiendarstellern besetzten zweiteiligen Fernsehspiel SCHLECHTE KARTEN (1977) geht es um Maschinenschlosser-Lehrlinge, die arbeitslos werden und in die Kleinkriminalität abrutschen. Spielfilmdebüt mit der Ruhrgebietskomödie DIE ABFAHRER um drei junge Arbeitslose aus Dortmund: Atze, der langhaarige Wortführer und ehemalige Facharbeiter im Hüttenwerk, Lutz, der zögerlicher Ex-Lehrling und Sulli, der ruhige Grieche, der als Ausländer sowieso keine Lehrstelle bekommt, die sich einen Möbelwagen für eine nächtliche Spritztour ausleihen. Zu ihnen gesellt sich die störrische Anhalterin Svea und das Abenteuer, ein Ausstieg aus der Realität, das scheinbare Stück Freiheit beginnt. Für den engagierten, überwiegend mit Laien gedrehten, sehr authentisch wirkenden Jugendfilm erhält Winkelmann ein Filmband in Silber.
JEDE MENGE KOHLE (1980/81) erzählt mit trockenem Witz die ironische Geschichte des Bergmanns Katlewski, der eines Tages sein Leben satt hat und das schnelle Geld machen will. Technisch sehr aufwendig: in 35mm und erstmals seit langer Zeit in Deutschland im Scope-Format gedreht, ist dies der erste Spielfilm der Welt, der mit Dolby-Stereo-Originalton aufgenommen wird. Für die anschließende Tonmischung werden 28 Bänder, 3 Tonmeister und drei Wochen Zeit benötigt. Auch die Kameratechnik ist kompliziert: Man dreht 12 Tage bei ca. 40 Grad untertage in der dortmunder Zeche Gneisenau mit einer Federwerkskamera aus den 30er Jahren, da wegen Explositionsgefahr kein elektrisches Gerät benutzt werden darf. Von der Kritik deutlich reservierter aufgenommen als DIE ABFAHRER, ist der Film an der Kasse ein Erfolg. 
Im "3. Teil der Ruhrgebietstriologie", dem thematisch überfrachteten SUPER (1983), mit Udo Lindenberg und Inga Humpe, geht es Winkelmann "um fast alles, was die gesellschaftspolitische Diskussion gegenwärtig zu bieten hat: um Ökologie und Frieden, um Verkabelung, Überwachung und Aussteiger" (R. Gerz, epd Film, Juni 1984). 
Mit der comicartigen Computer-Actionkomödie PENG! DU BIST TOT! mit Ingolf Lück als Computerfreak und Rebecca Pauly als Deutsch-Lehrerin aus einem US-College, die gemeinsam einen wahnsinnigen Verbrecher jagen, liefert er einen Unterhaltungsfilm ab, in dem er keine Berührungsängste vor dem Trivialen hat. 
Für seinen zweiteiligen TV-Thriller DER LEIBWÄCHTER mit Franz Xaver Kroetz in der Titelrolle des Undercover-Agenten Bruno Lasky, der einen gefährlichen Geheimauftrag im Kampf gegen den internationalen Drogenhandel annimmt, erhält Winkelmann den Adolf-Grimme-Preis in Silber. Viel Lob erntet auch sein Fußballfilm DIE NORDKURVE: "Er skizziert knapp 24 Stunden Fußballalltag, an irgendeinem Samstag, bei irgendeinem Heimspiel. (...) Was auf dem Rasen geschieht, erzählt die Inszenierung fast ausschließlich über die Reaktionen der Zuschauer und der am Rande Beteiligten. Winkelmann ist überall und nirgends dabei: In einer fortwährenden Parallelmontage springt er von der Vereinskneipe in die Vorstands-etage, von der Spielersitzung in den Fanbus, vom Bahnhof ins Stadion. (...) Man säuft, schlägt sich oder debattiert, und immer geht es um Liebe, Sport und Geschäft und darum, wie das alles zu einem einzigartigen Ruhrpott-Gebräu zusammenfließt." (F. Schnelle, epd Film Nr. 4, April 1993). 
Den Action-Thriller GEFÄHRLICHE SPIELE dreht Winkelmann mit internationalen Darstellern in Dortmund, London, Paris, Biarritz, Zürich, Barcelona erstmals in englischer Sprache. Der Film erzählt mit vielen Rückblenden von dem Berufskiller und Ex-Agenten Tom Cranmer (Nathaniel Parker), der einen Flugzeugabsturz überlebt, von der Kunsterzieherin Inga (Gudrun Landgrebe) gerettet und aufgenommen wird und dann ohne Namen und Identität auf eigene Rechnung arbeit. Die TV-Rechte der 6 Millionen teuren Produktion werden in über 18 Länder verkauft. 
1995/96 entsteht an Originalschauplätzen in Moskau der Russen-Mafia-TV-Triller DER LETZTE KURIER. Sissi Perlinger spielt die biedere Ehefrau eines Antiquitätenhändlers, der bei einem Unfall in Moskau ums Leben gekommen sein soll, aber in Wirklichkeit lebt und in Maifia-Geschäfte verwickelt ist. Der Film erhält den Grimme-Preis in Gold mit der Begründung: "Der Regisseur verwandelt in dem großangelegten Zweiteiler die gängigen Klischees in gleichzeitig vertraute als auch fremde Szenen, er läßt die allüberall präsenten Stereotypen in Bilder voll geheimnisvoller Qualität übergehen. Er öffnet sogartige Räume und schafft intensive Stimmungen, er malt Bilder und erfindet Figuren, die eine Aura entfalten". 
Die Komödie WASCHEN, SCHNEIDEN, LEGEN (1999) mit dem Schlagersänger Guildo Horn als Frisör Hans Anton (Toni) Schatz mißlingt. "Der Film ist spießig in seinem Pseudo-Professionalismus, und gerade die Guildo-Fans, die basisdemokratisch organisiert sind und dem Kommerz misstrauen, werden es bemerken". (D. Kothenschulte, Frankfurter Rundschau, 13.12.1999). Der Film floppt auch an der Kinokasse und wird nur von 18.000 Zuschauern gesehen bei einer Fördersumme von 2,3 Millionen DM.
Sein virtuelles Film-Panorama DEUTSCHLAND.PICT für den medialen Garten des deutschen Pavillions der EXPO 2000 läuft insgesamt 12.000 Mal in Hannover und wird als eines ihrer Highlights angesehen. "Auf 32 Großleinwänden und Bildschirmen tanzen beispielsweise angelehnte Fischkutter im Zeitraffer auf den Gezeiten der Nordsee auf und ab, eine Straßenkapelle spielt dazu La Paloma". (Der Spiegel, 29.5.2000). In der 4 Millionen Mark teuren Installation zeigt Winkelmann auf 400 qm Bildfläche ein ganz persönliches Deutschland-Porträt. Ein stillgelegtes Hüttenwerk in Duisburg, das Jüdische Museum in Berlin, die Bibliothek der Herzogin Anna Amalia in Weimar, Marlene Dietrich als "Blauer Engel" und der Containerhafen in Hamburg läßt Winkelmann virtuos zu den Klängen einer eigenen, klassisch dominierten Musikcollage über die 35 kreisförmig angeordneten Großleinwände und Bildschirme laufen. 
Das Folgeprojekt DEUTSCHLANDFILM, ein "nichtnarrativer Bilderfilm" entsteht im Internet und soll als Kinofilm 2002 starten. Auf seiner Homepage "www.winkelmann-film.de" sucht Winkelmann Vorschläge und Anregungen für Bilder, Situationen und Ereignisse.
Erste Teile des Films sind ab Oktober 2000 im Netz. Ein "Newsletter" hält Interessierte auf dem Laufenden.
Winkelmann, der auch ein Studio für digitale Postproduction (Ruhr Sound Studios) betreibt und Videoclips produziert, (u.a. für Udo Lindenberg), Werbefilme (Frankfurter Messe, Bund für Umwelt) dreht, ist seit 1979 Professor für Film an der Fachhochschule für Kunst und Design in Dortmund.
Adolf Winkelmann lebt zusammen mit seiner zweiten Frau Christiane Schaefer-Winkelmann, die als Geschäftsführerin in seiner Firma tätig ist, und mit der gemeinsamen Tochter Jenny (geb. 18.9.1983) in Dortmund.

Peer Moritz

Auszeichnungen

  • 1968 IFF Mannheim: Josef-von-Sternberg-Preis (Bereich: "eigenwilliger Film") für ADOLF WINKELMANN, KASSEL 9.12.1967, 11.54 UHR und 31 SPRÜNGE sowie ES SPRICHT: RUTH SCHMIDT. 
  • 1969 IFF Oberhausen: Großer Preis für HEINRICH VIEL. 
  • 1979 Deutscher Filmpreis: Filmband in Silber (Produktion) für DIE ABFAHRER. 
  • 1981 Deutscher Filmpreis: Filmband in Silber (Regie) für JEDE MENGE KOHLE.
  • 1988 Deutscher Filmpreis: Nominierung (Regie) für PENG! DU BIST TOT!
  • 1993 Deutscher Filmpreis: Filmband in Gold (Regie & Montage) für NORDKURVE
  • 1994 Festival de Télévision de Monte Carlo: Preis der Kritik (Nominierung) (Produktion) für GEFÄHRLICHE SPIELE.
  • 1996 Landesverdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen.
  • 1997 Adolf Grimme Preis in Gold (Regie) für DER LETZTE KURIER.
  • 1997 Festival de Télévision de Monte Carlo: Preis der Kritik (Regie) für DER LETZTE KURIER.
    1997 Baden-Badener Fernsehspiel-Preis: (Regie) für DER LETZTE KURIER.

Literatur

  • Adolf Winkelmann: Filmer über Film. Adolf Winkelmann, Kassel. In: Filmkritik, Nr. 7, Juli 1968, S. 461 (Über "Winkelmann, Kassel 9.12.1967, 11.54 Uhr).
  • Adolf Winkelmann, Jost Krüger: Vielleicht ist es Notwehr. In: Tip, Berlin, Nr. 21, 9.10. - 22.10.1981, S. 32-34 (Über "Les Aventuriers" von Robert Enrico). 
  • Enno Patalas: Jüngster deutscher Film. In: Filmkritik, Nr. 5/1968, S. 324. (Über "Winkelmann, Kassel 9.12.1967, 11.54 Uhr).
  • Günther Herburger: Imitation und Original. In: Film (Velber) Nr. 10, Oktober 1968, S. 10. 
  • Ernst Schmidt: Das andere Kino. In: Film 1968, Velber, (Jahrbuch) 1968, S. ??-??.
  • Christian Rittelmeyer: Adolf Winkelmann. In: Film (Velber) Nr. 7, 1969, S. 24-27.
  • Adolf Winkelmann. In: Hans Scheugl, Ernst Schmidt jr.: Eine Subgeschichte des Films.
    2. Band. Frankfurt: Suhrkamp 1974, (edition suhrkamp 471), S. 1111-1115.
  • Frank Arnold: Freude am Experimentieren. In: Der Tagesspiegel, 7.6.1981.
  • Christoph Terhechte: Dieses furchtbare, reaktionäre Zeug. In: Die Tageszeitung, Hamburg, 11.4.1987. (Interview).
  • Helmut Böttiger: Realität, kurz vor dem Kabarett. In: Frankfurter Rundschau, 10.8.1993.
  • Arnold Hohmann: Der Thrill in seinem Leben. In: Süddeutsche Zeitung, 13./14.11.1993.
  • Arnold Hohmann: Eiskalter Killer mit liebenswertem Gesicht. In: Süddeutsche Zeitung, 25.11.1994. 
  • Arnold Hohmann: Deutschland.pict. In: Annette Vogler (Red.): Deutscher Pavillion. Expo 2000 Hannover. Hannover: Trägergesellschaft Deutscher Pavillion 2000, S. 272-275. (Katalog).
  • Birgit Eckes: Man sieht nur, was man hört. In: Kölnische Rundschau, 4.6.2000.