»… aus dem Geist des Boulevards«!

Zur Physiognomie urbaner Tanzmusik- und Unterhaltungskultur in der Tonfilmoperette

Marko Paysan
Reihe CineGraph Buch

Katja Uhlenbrok (Redaktion):
MusikSpektakelFilm. Musiktheater und Tanzkultur im deutschen Film 1922 - 1937

ANMERKUNGEN

1) Vgl. als eine der wahrscheinlich ersten Nachkriegsstimmen: Dr. Hans Koeltzsch: Wo sind neue Operetten? In: Melodie. Illustrierte Zeitschrift für Musikfreunde, Nr. 5, Mai 1947, S. 5.

2) Siegfried Kracauer: Von Caligari zu Hitler. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1984, S. 217.

3) Karl Kraus: Offenbach-Renaissance. In: Die Fackel, Nr. 757/758, 1927.

4) Otto Schneidereit: Das Operettenbuch. 10. Aufl. Berlin/DDR: Henschel 1964, S. 60.

5) Siegfried Kracauer: Jacques Offenbach und das Paris seiner Zeit. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1976, S. 261.

6) Ebd., S. 9.

7) Vgl. ebd., S. 365, sowie Ernst Krenek: Musikerbiographie ohne Musik. In: Wiener Zeitung, 18.5.1937.

8) Karsten Witte, Herausgeber und Übersetzer der Schriften Sieg-fried Kracauers bei Suhrkamp, fiel bei den meisten seiner Filmanalysen hinter die Methode dieses Kritikers zurück: So verlängerte Witte bevorzugt Denkfiguren aus »Von Caligari zu Hitler« weiter auf Filme aus der Zeit des Dritten Reiches; genau mit dessen Beginn jedoch endet - dem Titel gemäß - Kracauers Werk (ein Seitenblick auf Triumph des Willens ausgenommen). Allein ein Weitertransport, wie ihn Witte praktiziert, gelingt nur, wenn er von weiteren Ansätzen, z.B. einem intertextuellen - mit Blick auf andere Formen urbanen Entertainments - ständig absieht. Das hieße etwa: daß einem vor der Alltagswirklichkeit jener Jahre Hören und Sehen vergehen muß. Ein Beispiel für diesen hohen Preis lieferte denn bereits 1978 das Buch »Wir tanzen um die Welt«, das etliche seiner Deutungen auf mangelhafte Kenntnis der Alltagskultur der 20er bis 40er Jahre gründet.

9) Zu Theodor W. Adornos »Über Jazz« (1934) entstanden parodistische Fußnoten; siehe z.B. Volker Kriegel: Adorno und der Jazz. In: Wolfgang Sander (Hg.): Jazz in Frankfurt. Frankfurt/M.: Societäts-Verlag 1990, S. 20 f.

10) Vgl. Ingrid Belke, Irina Renz (Red.): Siegfried Kracauer 1889-1966, Marbach am Neckar: Deutsche Schillergesellschaft 1988, (Marbacher Magazin 47/1988), S. 69. Dort Kracauers anläßlich der Tagung des Reichsverbandes deutscher Lichtspiel-Theater (Mai 1932 in Frankfurt) verfaßter FZ-Artikel »Über die Aufgaben des Filmkritikers«.

11) Vgl. Kracauer: Jacques Offenbach, a.a.O., S. 83, über die Boulevardiers des Pariser »Café Anglais«: »Der Drang, den Boulevard aus allen übrigen gesellschaftlichen Zusammenhängen herauszuheben, vervollständigte erst das Bild des Boulevardiers.« -

12) Vgl. Wolfgang Jansen: Das Varieté. Berlin: Edition Hentrich 1990.

13) Horst Bergmeier, Rainer E. Lotz: Charlie and his Orchestra. Ein obskures Kapitel deutscher Jazzgeschichte. In: Wolfram Knauer (Hg.): Jazz in Deutschland. Hofheim: Wolke 1996 (Darmstädter Beiträge zur Jazzforschung, Bd. 4), S. 16 f. -

14) Ebd.

15) Vgl. Hans Knudsen: Methodik der Theaterwissenschaft. Stuttgart: Kohlhammer 1971, S. 9-15.

16) Ein Paradebeispiel bietet die legendäre Fernsehdokumentation Eberhard Fechners über die Comedian Harmonists. Sie leitete schon in den 70er Jahren ein kleines Revival des Vokal-Ensembles ein: Der Interviewfilm setzte nicht nur von den ehemaligen Ensemble-Mitgliedern die individuelle, sondern - ausgelöst mit dem öffentlichen Interesse - eine kollektive Erinnerung in Szene. Es folgten Wiederveröffentlichungen der Gesangsgruppe, d.h. historische Original-Aufnahmen auf Langspielplatten. Dieser Markt hatte noch vorher - und vor Beginn der »Nostalgie-Welle« in den frühen 70er Jahren - recht genau mit den tatsächlichen Erinnerungsrückständen der Vorkriegsgeneration zu rechnen, um kommerziell auf seine Kosten zu kommen: Wenn auch in schmaler Auswahl, so spiegelte er die in Deutschland vor 1945 wirklich prominenten Konzert- und Tanzorchester (wie z.B. Barnabas von Gézy, Bernard Etté) oder jazzorientierte Formationen (wie Die Goldene Sieben oder Teddy Stauffer) - womit zumal Angehörige der sogenannten »Swing-Generation« angesprochen wurden (stellvertretend sei genannt: die LP-Serie »Lieblinge einer Generation«, Nr. 1 bis 30 des Labels Top Classic). Auf Fechners Film und Buch folgte als Verstärker 1997 der Spielfilm Comedian Harmonists von Joseph Vilsmaier. Er projizierte (für das derzeitige öffentliche Gedächtnis) vollends diese zwar erfolgreichen, aber seinerzeit durchaus nicht dominierenden Kleinkunst-Vokalisten - unvermittelt und jenseits historischer Wirklichkeit - an eine zentrale Stelle in der berliner Unterhaltungsbranche um 1930.

17) Vgl. z.B. Horst H. Lange (Cover-Notes): Swingtanzen gestattet (1948-56). 2-LP-Album. Hamburg: Teldec 1977: »Als Swingtanzen wieder gestattet war, als der unselige Krieg und die NS-Zeit vorbei war, sah alles anders aus, als man es sich als junger Mensch in all den vorangegangenen Jahren erträumt hatte. Es gab keinen direkten Anschluß an die Eleganz und das Flair der Vorkriegszeit, als unzählige Tanz-Orchester in den großen Städten in allen besseren Cafés, in Bars und in den Hotels zu spielen pflegten; als zum ›Five O'Clock Tea‹ (oder ›Kaffee‹, je nach Geschmack) ›Sweet‹ oder ›Hot‹ erklang und Swing getanzt wurde, obwohl es die NS-Puristen als ›undeutsch‹ ablehnten.«

18) Vgl. Kracauer: Jacques Offenbach, a.a.O., S. 187: »Das Modell sämtlicher Operettenhöfe Offenbachs war der in den Tuilerien.«

19) Egon Friedell: Kulturgeschichte der Neuzeit. Viertes und Fünftes Buch. München: Beck 1931, S. 1319.

20) Schneidereit, a.a.O., S. 308.

21) Friedell, a.a.O., S. 1146.

22) Schneide-reit, a.a.O., S. 308.

23) Vgl. Günter Große: Von der Edisonwalze zur Stereoplatte. Berlin/DDR: Lied der Zeit 1981, S. 72 ff.

24) So bemerkt Rolf Nürnberg (um 1930 Journalist bei Mosses und Scherls »12-Uhr-Blatt«): »Binnen Jahresfrist war sie durchgesetzt. Ein Star und überprominent: man konnte ihr tausend Mark für einen Abend zahlen, sie brachte ihrer Direktion das Vielfache ein. Ihre Dubarry war ein Ereignis, für viele ein Erlebnis. Sie wurde in den Salons herumgereicht. Von ihren Liebesabenteuern sprach die Stadt, ebenso von ihren neuen Rollen. Sie machte durch viele Privataffären, durch übergroße, oft geschmacklose Geschwätzigkeit Interviewern gegenüber von sich reden. Aber immer wieder setzte sich gegen den Alpar-Rummel die Alpar-Leistung durch. (…) Eine Erscheinung, wie man sie seit Jahren nicht auf der Operettenbühne gesehen hatte.« In: Rolf Nürnberg: Max Schmeling. Die Geschichte einer Karriere. Berlin: Großberliner Druckerei 1932, S. 166. -

25) Seine Bearbeitung präsentierte der Admiralspalast auch weiterhin: »Die Dubarry« wurde noch Jahre später wieder inszeniert (gemeinsam von Walter Felsenstein und Theo Mackeben). Vgl. Walter Hochtritt (Hg.): Die Dubarry. Programmheft des Admiralspalastes. Berlin 1939.

26) Vgl. Unsere Künstler. XI. Edith Lorand. In: Der Ton, Heft 10, 1931, S. 5. Oder: Edith Lorands neuer großer Erfolg. In: Der Ton, Heft 6, 1931, S. 19 (über ihre Gastspiele im pariser Empire und im londoner Varieté Alhambra).

27) Vgl. Edwin Frank (Hg.): Im weissen Rössl. Magazin und Programm des Großen Schauspielhauses. Berlin 1930.

28) Ebd.

29) Klaus Schulz: Wiener Toot - Die Friedel-»Fred«-Clement-Story. In: Klaus Krüger (Hg.): FOX auf 78, München, Heft 7, 1989, S. 15.

30) Horst H. Lange: Jazz in Deutschland. Berlin: Colloquium 1966, S. 30 f.

31) Über Herbert Ihering (1888-1977) in: Gottfried Korff, Reinhard Rürup (Hg.): Berlin, Berlin. Die Ausstellung zur Geschichte der Stadt. Katalog. Berlin 1987, S. 448.

32) Siehe: Der sensationelle Erfolg Bernard Ettés im Spiegel der Presse. In: VOX-Nachrichten, Nr. 10, 1926, S. 80 f.

33) Vgl. als typisches Zeugnis: »Etté besitzt eine immense Gestaltungsgabe, die ihm erlaubt, eine musikalische Zusammenstellung zu einem anschaulich-plastischen Bild zu gestalten. (…) Das Auge hat fast ebenso viel zu bestaunen, wie das Ohr zu hören bekommt (…).« Aus: Bernhard (sic) Etté und seine Solisten feuern die Faschingsfreude in den ›Femina‹ an. In: Femina - Programm, Heft 2, Februar 1937, S. 8-11.

34) Siehe auch: Le spectacle de Bernard Etté. In: La Revue de Jazz, Paris, Nr. 5, November 1929, S. 11.

35) Vgl. Walter Kross: Nacht und Bühnenfotos. Halle: Knapp 1936, S. 40-43.

36) Horst H. Lange, a.a.O., S. 23 ff.

37) Michael Danzi: American Musician in Germany 1924-39. Schmitten: Rücker 1986, S. 24 ff.; H. J. P. Bergmeier, Rainer E. Lotz: Alex Hyde Bio-Discography. Menden: Conrad 1985, S. 74.

38) Auskunft: Alfred »Fred« Hoffbauer, Halle, 12.10.1992. (Fred Hoffbauer gehörte von Juli 1936 bis März 1938 dem Orchester Etté als ständiges Mitglied an.) Er nahm teil an den Aufnahmen für den Ufa-Kurzfilm Wie ein Wunder kam die Liebe (1936, Hans Fritz Köllner), einer Spielhandlung um das Tanzorchester Etté, nach einem Buch von Phil Jutzi. Vgl. auch: Günter Knorr: Deutscher Kurzspielfilm 1929-40. Wien: Action/Ulm: Knorr 1977.

39) Erst ab 1934 wurde der Posaunist und Arrangeur Wilhelm »William« Greihs von der Ufa berufen, den bisherigen Klangkörper mit fortschrittlich-tanzmusikalischer Orientierung zu organisieren. Greihs war aus dem Orchester George Nettelmann hervor gegangen, wo er um 1930 u.a. mit jazzversierten englischen und amerikanischen Solisten in Berührung gekommen war. Nach dem Zweiten Weltkrieg betreute er den Aufbau des FFB- und späteren SFB-Tanzorchesters, dessen Leiter er in den 50er Jahren wurde.

40) Vgl. Friedrich Herzfelde: Otto Dobrindt. In: Deutsche Radio-Illustrierte, Nr. 49, 1936: »Rund 15 Jahre war Dobrindt also bei Lindström tätig. (…) Bei diesen Aufnahmen hat Dobrindt gründlich Bekanntschaft und schließlich Freundschaft geschlossen (…): mit dem Mikrophon. Dieses unscheinbare Käpselchen schluckt die Töne nicht einfach so runter, um sie auf der Platte oder im Lautsprecher haargenau wieder auszuspucken. Nein, dieses Ding hat seine schlimmen Mucken. Das Mikrophon übertreibt gern. Wird ihm ein etwas zu lauter Ton angeboten, so vermehrt es dieses Zuviel. Ebenso ist es mit den zu leisen Tönen.«

41) Auskunft: Franz Thon, Hamburg im Juli 1994.

42) Als Gründer und nomineller Leiter der Radio- und daraufhin Electrola-Schallplattenband »Die Goldene Sieben«, führte er ab 1934 diese Studioformation - gemessen an der stilistischen Vorbildfunktion und dem geschäftlichen Erfolg - in der modernen swingorientierten Filmmusik in Deutschland an die Spitze. Als erfolgreicher Tanzmusikkomponist (»S.O.S«, »Türkischer Honig«, »Du brauchst bei mir nur anzurufen« - alle 1934) hinterließ er bis zu seiner Emigration 1937 in die USA die Musik zu Tonfilmen (z.B. Gefährliches Spiel, 1937, Erich Engel). In Hollywood setzte er unter dem Namen Henri René seine Arbeit mit Filmmusiken und als Produzent (u.a. für Eartha Kitt in den 50er Jahren) erfolgreich fort.

43) Eugen Szatmari: Was nicht im Baedeker steht (Bd. 1): Berlin. 2. Aufl. München: Piper 1928, S. 81.

44) Vgl. Knut Wolffram: Tanzdielen und Vergnügungspaläste. Berlin: Edition Hentrich 1992, S. 73 ff.

45) Eintrag »Gerhard Hoffmann«. In: Das Bühnenlexikon. Berlin: Deutscher Bilderdienst 1932, S. 297.

46) Faltblatt der Ufa zu Ronny. Berlin 1932.

47) Korff, Rürup (Hg.): Berlin, Berlin, a.a.O., S. 490 f.

48) Vgl. Schlagzeile in 8-Uhr-Abendblatt, Berlin, 27.4.1932: »Dajos Béla - Gewinner des ›Goldenen Saxophons‹! Zweiter im Wettbewerb: Barnabas von Gézy; Dritter: Billy Bartholomew«.

49) Heut kommt's drauf an. Illustrierter Film-Kurier, Nr. 1946, 1933.

50) Ebd. und: Mario Guido und seine 20 Wienerinnen. In: Wintergarten, Januar-Magazin 1933.

51) Curt Moreck: Der Führer durch das lasterhafte Berlin. Leipzig: Verlag moderner Stadtführer 1931, (Reprint: Berlin: Nicolai 1996), S. 60.

52) Ebd., S. 50.

53) Elemente, die noch Ende der 80er Jahre im pompösen VEB Grand Hotel in Ostberlin aufgegriffen wurden.

54) R. Klooss, Th. Reuter: Körperbilder. Menschenornamente in Revuetheater und Revuefilm. Frankfurt/M.: Syndikat 1980, S. 33

55) Ebd., S. 33.

56) Szatmari, a.a.O., S. 27.

57) Robert Goffin: Aux frontières du Jazz. Paris: Edition du Sagittaire 1932, S. 247.

58) Vgl.: Das Interview des Monats - Oskar Joost. In: Die Stimme seines Herrn. Illustrierte Monatsschrift für Musikfreunde, September 1935.

59) Siehe Martin Maske: Berliner Cocktail. In: Das Magazin, Nr. 100, 1932, S. 12.

60) Vgl. Habakuk Traber, Elmar Weingarten (Hg.): Verdrängte Musik. Berliner Komponisten im Exil. Berlin: Argon 1987, S. 322.


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MusikSpektakelFilm (CineGraph Buch)
Materialien
zum gleichnamigen filmhistorischen Kongreß (1997)
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