Reihe CineGraph Buch
Katja Uhlenbrok (Redaktion):
MusikSpektakelFilm. Musiktheater und Tanzkultur im deutschen Film 1922 - 1937
... aus dem Geist der Operette
Katja Uhlenbrok
WENN MÄNNER STREIKEN (R: Edmund Edel, 1919) Der deutschsprachige Musikfilm hat vielfältige Beziehungen zur darstellenden Kunst, zum Amüsierbetrieb und zur großstädtischen Kultur - die Beziehung zur Operette sticht jedoch hervor. Bereits in der Frühzeit des Kinos bahnte sie sich an und gestaltete sich in den 20er und 30er Jahren dieses Jahrhunderts besonders intensiv und anregend, um dann in den 50er Jahren eher ruhmlos abzuklingen, als Operetten und Operetten-Verfilmungen zum Inbegriff dümmlicher Spießigkeit wurden. Etwa 100 Jahre nach dem Aufkommen der Operette markieren die 50er Jahre den Niedergang dieses außergewöhnlich populären Musiktheater-Genres, das sich bis in die 30er Jahre den verschiedenen soziokulturellen Umständen beständig anpassen und damit erneuern konnte. Denn der Geist der Operette erschöpft sich nicht darin, durch das Zusammenspiel von beschwingtem Wohlklang und glänzender Ausstattung - oft widrigen Umständen zum Trotz - Lebensfreude zu vermitteln, sondern wirkt gerade auch durch seine satirischen und selbstreflexiven Komponenten. Der Operette der Nachkriegszeit fehlte jedoch eben dieser freie Geist, der nötig gewesen wäre, sie zu wandeln. Dennoch bestimmt die stereotype und biedere Nachkriegsoperette immer noch das Bild dieses Musiktheater-Genres.
Dies gilt leider auch für den deutschen Musikfilm, der wegen der begrifflichen Nähe zum ungeliebten Bühnen-Genre unter Vorbehalten zu leiden hat, ganz abgesehen davon, daß in der deutschen Filmwissenschaft große Berührungsangst dem Populären gegenüber besteht. Deutschsprachige Musikfilme tragen oft das Etikett »Operettenfilm« oder »Filmoperette«, zumal wenn es sich um Adaptionen von Bühnen-Operetten handelt; doch vielfach bezeichnen diese Begriffe nichts anderes als einen Film, in dem Bild und (Unterhaltungs-)Musik zusammenwirken. Damit hat der Musikfilm beim Publikum sowie in der Unterhaltungskultur und -industrie in mancherlei Beziehung den Platz, die Qualitäten und den ursprünglichen Geist der Operette übernommen.
OPERETTEN-FILM: Der Einfluß der Operette auf den Film läßt verschiedene Betrachtungsweisen zu. Richard Traubners historischer Abriß widmet sich dem Ausmaß und der Art, in der klassische Bühnenoperetten für den Film adaptiert wurden. Francesco Bono betrachtet die Bedeutung der Operette speziell für den österreichischen Film; er erweitert den Begriff »Operettenfilm« und findet Operettenhaftes auch in anderen Filmgattungen. Marko Paysan geht einen Schritt weiter: Er vergleicht die Widerspiegelung des urbanen Lebens Berlins in den deutschen Musikfilmen der 30er Jahre mit dem Bild von Paris in Offenbach-Operetten und lenkt den Blick auf die vielfältige zeitgenössische Musikkultur, die für die deutschsprachige Ausprägung des Musikfilms so entscheidend war.
FILM-THEATER: Mit der Präsentation stummer Filme im Rahmen der Programme von Varietés und Operettentheatern - wobei der Musik eine integrierende und verbindende Rolle zufiel - befaßt sich Horst Claus. Michael Wedel beschreibt verschiedene Verfahren, die dazu dienten, die Synchronisierung sicherzustellen, wenn stumme Musikfilme im Kino live von Sängern und Instrumentalisten begleitet wurden.
FILM-MUSIKER: Der Rolle der Sängerin und des Sängers im Tonfilm geht Ursula Vossen nach. Bereits der Stummfilm setzte auf den Schauwert hochkarätiger Sänger, deren Gesang von weniger namhaften Solisten live synchronisiert wurde. Der Nummerncharakter der Gesangseinlagen im »Sängerfilm« der frühen 30er Jahre entspricht eher der Filmoperette der Stummfilmzeit als der Tonfilmoperette, für die eine durchgängige Integration von Musik charakteristisch ist. Viktor Rotthaler untersucht eben diese integrative Funktion der Musik in den Tonfilmoperetten und die enge Kooperation zwischen Regisseuren und Komponisten in diesem Sub-Genre.
TANZ-SPEKTAKEL: Tanzmoden und deren Beziehung zum Tonfilm -
besonders auf das akustische Spektakel der Tonfilmoperette bezogen - analysiert Marie-Luise Bolte. Ursula Strate beschreibt die Veränderungen des optischen Spektakels von Operettenfilmen und Filmoperetten durch die sich wandelnden Kleider- und Tanzmoden.
Bereits hier klingt an, wie verschieden sich die Begriffe »Operettenfilm« und »Filmoperette« füllen lassen - charakteristisch für die schwierige Definition eines Filmgenres, das dieses Buch mit vielfältigen Ansätzen zu umreißen versucht. Der Einfluß der Operette spielt zwar eine wichtige Rolle, ist jedoch bei weitem nicht der einzige wichtige Impuls. Varieté, Oper, Tanz- und Jazzorchester, Ballhäuser, Modemagazine, Kabaretts, Bars, Revue und vieles mehr wirken hinein. Deshalb »MusikSpektakelFilm« - das hier skizzierte Genre: Es präsentiert Musikkultur in verschiedenen Formen als Hör- und Sehspektakel.
Materialien zum gleichnamigen filmhistorischen Kongreß (1997)
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