Artikel aus CINEPUR Nr. 96 (November/Dezember 2014)
zum Schwerpunkt »Aktueller Deutscher Film«


Markéta Giblová



Auf das Publikum Rücksicht zu nehmen ist sinnlos?
Ein Gespräch mit Angela Schanelec


Die deutsche Regisseurin Angela Schanelec wird von dem Image begleitet eine radikale Autorin zu sein, die bei ihrer Meinung keine Kompromisse eingeht und dabei ist keineswegs nur von ihrer Ästhetik im Film die Rede. In einem Interview für Cinepur, das aus Anlass ihres Besuches am Filmfestival Fresh Film Fest 2013 durchgeführt wurde, wurde dieses Image zweifellos bestätigt. Schanelec scheut nicht davor ihre Zweifel zu äußern, wenn es um die Existenz der Berliner Schule geht, die Notwendigkeit, das Publikum bei der Umsetzung eines Films einzusetzen oder Gelder für alternative Filme in der heutigen Bundesrepublik einzutreiben. Vielleicht liegt es auch daran, dass seit ihrem letzten Spielfilm ORLY bereits mehr als vier Jahre vergangen sind.

[MG] Sie werden als eine der wichtigsten Vertreterinnen der Berliner Schule bezeichnet. Stimmen Sie dem zu? Oder wurden Sie da einfach von Filmkritikern so abgestempelt?

[AS] Ich würde sagen, dass ich hier einfach abgestempelt wurde. Ich selbst sehe mich nicht so, dass ich zu überhaupt irgendeiner Gruppe angehören würde. Andererseits – wäre es für uns viel einfacher, wenn es so etwas wie eine Berliner Schule wirklich gäbe. Ich kann es gut nachvollziehen, dass die Kritiker einer bestimmten Bewegung einen Namen geben wollen, damit sie ihre Entwicklung beobachten und auf ihr Ende warten können. Ich denke jedoch, dass weder Thomas (Arslan – Anm. der Redaktion), Christian (Petzold Anm. der Redaktion) und ich so viel gemeinsam hätten, wie einige meinen. Auf jeden Fall sind wir nicht annähernd so untereinander vernetzt, dass wir über etwas diskutieren oder uns gar beeinflussen würden.

[MG] Das heißt also, dass sich auch die anderen nicht zur Berliner Schule bekennen oder auf ihren Filmstil aufbauen?

[AS] Das kann man nicht so einfach sagen. Außerdem sollte man das auch nicht verallgemeinern. Klar, in Deutschland gibt es eine Gruppe die sich für die Arbeit anderer interessiert. Ich würde sagen, dass hier so eine Art »zweite Generation« entstanden ist.  Benjamin Heisenberg und Christoph Hochläuser stehen sich näher, als wir, Christoph, Thomas und ich, es je waren. Ich habe den Eindruck, dass sich die nachfolgende Generation viel näher steht. Sie arbeitet viel häufiger zusammen, diskutiert über ihre Arbeit. Wie gesagt, das haben Christian, Thomas und ich nie gemacht.

[MG] Bei dem Begriff »Bewegung« denken Sie also eher an eine gemeinsame Diskussion, als eine gewisse Verbindung, z.B. basierend auf einem gemeinsamen Filmstil?

[AS] Wenn Sie eine Verbindung bezüglich des Filmstils suchen, dann ist eine Vereinfachung und  Verallgemeinerung dringend notwendig. Schon allein beim Vergleich unserer letzten Filme (von Thomas, Christian und mir) stellen Sie fest, dass diese gänzlich unterschiedlich sind. Mir ist kein allgemeiner Stil bekannt.

[MG] Seit den siebziger Jahren tauchten in der Filmbranche, vor und hinter der Kamera, besondere Frauen auf. Hat Sie die Arbeit von Regisseurinnen wie Margarethe von Trotta, Helma Sanders-Brahms oder Ulrike Ottinger auf irgendeine Weise beeinflusst?

[AS] Nein, keineswegs.

[MG] Glauben Sie denn, dass eine Art »feminine Kinematographie« überhaupt existiert?

[AS] Auf jeden Fall. Trotzdem bleibt die Frage im Raum, was man sich darunter vorstellen sollte. Ich bin eine Frau, aber das heißt noch lange nicht, dass es wichtig ist über die eigene feminine Seite nachzudenken. Ich gehe einfach an einen Film heran, ohne darüber nachzudenken. Es ist schwer zu sagen, ob meine Herangehensweise als Mann anders wäre.
Bezüglich der »femininen Kinematographie« kann eher ein Diskurs darüber geführt werden, mit welchen Themen sich Frauen beschäftigen und welche Stellung sie dazu einnehmen. Wenn ich für Frauenrechte kämpfen wollte, dann würde ich dafür nicht das Medium Film nutzen. Ich kämpfe ja nicht für etwas. Ich mache Filme, um sich selbst auszudrücken. Es gibt keine andere Form der Mitteilung. Würde ich Worte wählen, dann stünden Sie auf einem Stück Papier. Aber mit dem Film ist es etwas anderes, mit diesem Medium bin ich vollkommen zufrieden.

[MG] Ich würde gerne noch zurück zu ihrem Filmstil kommen, denn ich als sehr unkonventionell bezeichnen würde. Das bezieht sich vor allem auf ihre Arbeit mit dem Umfeld oder auch mit der Kamera. Denken Sie beim Drehbuch schreiben oder beim Dreh darüber nach, wie ihre Filme auf das Publikum wirken?

[AS] Ich bin das Publikum. Ich bin davon überzeugt, dass ich ziemlich normal und einfach bin. Wenn ich einen Film drehe, dann kann ich mir lediglich die Frage stellen, ob ich diesen Film sehen möchte. Wer ist eigentlich das Publikum? Sobald Sie anfangen einige Leute zu fragen, was ihnen gefällt, dann sind die Antworten so vielseitig! Ans Publikum zu denken halte ich für sinnlos. Ich nehme mich selbst als ziemlich normal wahr. Ich bin normal und unterscheide mich nicht von den anderen. Außerdem bin ich für den Film verantwortlich und mir muss der Film gefallen. Ich muss mir sagen: Gut, das möchte ich machen.

[MG] Wiederholt waren Sie in ihren Filmen Regisseurin und Schauspielerin zugleich. Ist es für Sie dann einfach oder eher schwieriger zwischen den zwei Rollen – Regisseurin und Schauspielerin – zu wechseln?

[AS] Ich spiele gar nicht so oft. Ich habe es zweimal so gemacht. (NACHMITTAG, 2007 und DAS GLÜCK MEINER SCHWESTER, 1995. Anm. d. R.). Beim ersten Mal war es auch gar keine Absicht. Mir ist es einfach nicht gelungen, jemanden zu finden, der meine Vorstellungen von der Figur erfüllt. Es war einfach die beste Lösung, auch was die Zusammenarbeit mit den anderen Schauspielern angeht.

[MG] Könnten Sie vielleicht noch kurz darüber berichten, wie schwierig es derzeit ist, finanzielle Unterstützung für ihre Art von Film zu bekommen?

[AS] Es ist überhaupt nicht einfach. Um ehrlich zu sein, wird es sogar immer schwieriger und deshalb steht die Arbeit mit dem Fernsehen im Mittelpunkt.


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