Artikel aus CINEPUR Nr. 96 (November/Dezember 2014)
zum Schwerpunkt »Aktueller Deutscher Film«
Josef Grübl
Heimatfilm
Hausham ist eine Gemeinde im bayerischen Voralpenland, fünfzig Kilometer südlich von München. Bis vor wenigen Jahren kannte kaum jemand diesen kleinen Ort, heute verbindet man damit das Gesicht des jungen bayerischen Kinos. Schließlich packte der erfolgreichste Regisseur dieser Bewegung seinen Heimatort in seinen Namen: Marcus H. Rosenmüller eroberte mit lebensbejahenden Dialektkomödien das Herz der Zuschauer, das »H.« steht für Hausham und soll seine Heimatverbundenheit unterstreichen. Er beweist mit seiner Arbeit, dass man auch im 21. Jahrhundert mit regional gefärbten Filmen Erfolg haben kann. Während die Hollywoodstudios mit ihren Big-Budget-Produktionen auf ein immer größeres, globaleres Publikum schielen, entdecken deutsche Filmemacher lokale Themen für sich. Es gibt Großstadtfilme aus Berlin, München und Hamburg, Gaunerkomödien aus dem Ruhrgebiet oder ostdeutsche Kinderfilme. Am bemerkenswertesten aber ist der Siegeszug der Filme aus dem Bundesland Bayern, Rosenmüller leistete dazu einen großen Beitrag: Er drehte in den vergangenen acht Jahren zehn Filme und ist damit einer der fleißigsten Regisseure Deutschlands. Sein Debütfilm WER FRÜHER STIRBT, IST LÄNGER TOT spielt in einem kleinen bayerischen Dorf und erzählt auf erfrischende und sehr skurrile Art von einem elfjährigen Jungen, der davon träumt, unsterblich zu werden. Dafür müssen sich aber erst einmal diverse Haustiere und die Oma aus der Nachbarschaft von ihrem Leben verabschieden – der Junge nimmt eben manche Aussagen der Erwachsenen allzu wörtlich. Der Regisseur vermischt in diesem Film Elemente des Volkstheaters mit surrealen Traumszenen, er setzt auf Slapstick-Nummern und Genre-Zitate. Ein bisschen wirkt es so, als ob Laurel und Hardy gemeinsame Sache mit Regisseuren wie François Truffaut oder Emir Kusturica gemacht hätten – nur, dass der Film räumlich und sprachlich fest mit seiner Heimat verbunden ist. »In meinem Film wird Dialekt gesprochen und er spielt in meiner Heimat. Deshalb ist er auch ein Heimatfilm«, sagte Rosenmüller bei der Premiere im Sommer 2006. Eine mutige Aussage, verbanden doch zu diesem Zeitpunkt die meisten Zuschauer das Genre Heimatfilm mit den kitschigen Heile-Welt-Märchen der fünfziger Jahre. In der Nachkriegszeit waren deutsche Filme wie SCHWARZWALDMÄDEL oder GRÜN IST DIE HEIDE unfassbar erfolgreich, sie propagierten den puren Eskapismus. Erst in den siebziger und achtziger Jahren gab es erste Versuche, den Heimatfilm zu modernisieren. Es sollte aber noch einmal viele Jahre dauern, bis auch das Publikum erkannte, dass die »neuen« Heimatfilme nicht mehr viel mit den alten zu tun hatten. Heute ist Rosenmüller nicht der einzige junge Filmemacher, der das Genre wieder für sich entdeckt hat. WER FRÜHER STIRBT IST LÄNGER TOT begeisterte knapp zwei Millionen Kinozuschauer und war damit einer der erfolgreichsten deutschen Filme des Jahres 2006. Das ist umso beachtlicher, da er aufgrund des Dialekts und des für Nicht-Bayern exotisch anmutenden Humors fast nur in bayerischen Kinos zu sehen war. Seitdem werden in Bayern (dem zweitgrößten deutschen Bundesland mit zwölf Millionen Einwohnern) immer mehr Dialektfilme gedreht, viele von ihnen setzen auf liebenswerte Charaktere, Humor und viel Lokalkolorit. Der Münchner Regisseur Joseph Vilsmaier verfilmte 2008 das seit Generationen beliebte Theaterstück »Die Geschichte vom Brandner Kaspar« und konnte damit einen der größten Publikumserfolge seiner langen Laufbahn feiern. Drei Jahre später begeisterten drei Damen aus Ostbayern ein Millionenpublikum: »Eine ganz heiße Nummer« spielt im Bayerischen Wald, nahe der tschechischen Grenze, und erzählt von den Verkäuferinnen Waltraud, Lena und Maria, die mit einer Sex-Hotline die drohende Pleite ihres Lebensmittelladens aufhalten wollen. Vor allem in ländlichen Regionen sind diese Filme beliebt, ihren Erfolg verdanken sie den Empfehlungen von Freunden und Bekannten. Mundpropaganda nennt man das, eine bessere Form der Vermarktung gibt es nicht. Nur so können diese Filme auch wirtschaftlich zum Erfolg werden – schließlich laufen sie zum größten Teil nur in Bayern, die meisten Deutschen bekommen sie also gar nicht zu sehen. Aktuell sind es die Abenteuer eines bayerischen Dorfpolizisten, die das Publikum in die Kinos locken: Die Krimikomödie DAMPFNUDELBLUES beruht auf einer vor allem in Bayern beliebten Buchreihe und war 2013 die größte Überraschung des Kinosommers. Keiner hatte mit einem solchen Erfolg gerechnet, am Ende stand der Film aber monatelang auf den Spielplänen der Kinos. Daher entschied man sich schnell für eine Fortsetzung: WINTERKARTOFFELKNÖDEL ist im Oktober 2014 angelaufen und hat nach nur wenigen Wochen das Gesamtergebnis des Vorgängerfilms überrundet. All diese Filme setzen auf Heimatgefühle, auf Tradition und Familie. Solche Werte sind wieder gefragt, die Gesellschaft ist konservativer geworden. Das zieht sich durch alle Schichten, die Bayern sind damit längst nicht alleine. In den letzten Jahren entstanden Filme über bayerische Volkslegenden (RÄUBER KNEISSL von Marcus H. Rosenmüller) oder bayerische Traditionen (KASIMIR UND KAROLINE, eine Liebesgeschichte vom Münchner Oktoberfest). Die Filmemacher setzen vor allem auf Humor, dramatische Stoffe haben es beim Publikum schwerer: Das prominent besetzte und hoch budgetierte Biopic LUDWIG II., über den bayerischen Märchenkönig, floppte im Jahr 2012 an den Kinokassen. Auch Joseph Vilsmaiers aufwändig produzierter Dokumentarfilm BAVARIA – TRAUMREISE DURCH BAYERN oder das hochgelobte Familiendrama WINTERREISE konnten beim Publikum nicht punkten. Dessen Regisseur Hans Steinbichler lotste mit diesem Film die Grenzen des Heimatfilms neu aus. »Heimat ist da, wo es wehtut«, sagte er einmal im Interview, mit seinen Filmen unterstreicht er das eindrucksvoll. Filmemacher wie Rosenmüller, Vilsmaier oder Steinbichler haben außer ihrer Vorliebe für den bayerischen Dialekt noch eine Sache gemeinsam: Ihre Filme entstehen mit Unterstützung der bayerischen Filmförderung. Dem in München ansässigen FilmFernsehFonds Bayern (FFF Bayern) stehen rund 28 Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung, damit zählt er zu den größten Fördereinrichtungen Deutschlands. Unterstützt werden unter anderem Kino-, Fernseh- und Nachwuchsfilme, Drehbücher und der Filmverleih. Ohne dieses Geld wären Hits wie WER FRÜHER STIRBT, IST LÄNGER TOT oder EINE GANZ HEISSE NUMMER nie entstanden. »Diese Filme liegen einem als bayerische Filmförderung natürlich besonders am Herzen«, sagte der zuständige Förderreferent Nikolaus Prediger schon vor Jahren im Interview; bei den Filmpräsentationen, die der FFF Bayern regelmäßig im Ausland veranstaltet, seien sie sehr gefragt. Auch beim jährlich im Oktober stattfindenden deutschsprachigen Festival Das Filmfest in Prag und Brno stehen bayerische Filme auf dem Programm. Trotzdem müssen die Regisseure aufpassen: Auch wenn der komödiantisch-lebensbejahende Ton in Marcus H. Rosenmüllers Filmen stets ähnlich ist, achtet er genau darauf, sich nicht zu wiederholen. So drehte er in den letzten Jahren auch Kinderfilme, Sportkomödien oder Historienfilme. Einer seiner engsten Mitarbeiter ist der Drehbuchautor und Schauspieler Christian Lerch. Dieser sagte erst kürzlich im Interview: »Das bayerische Kino darf nicht stehenbleiben, es muss sich weiterentwickeln. Sonst wird es langweilig.«
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