FilmMaterialien 10 - Der komische Kintopp.

Aus der Kinderstube des Films

Lotte H. Eisner
in: Film-Kurier, Nr. 55, 4.3.1929


Walter Jerven läßt uns mit seiner Wiederentdeckung von Filmen aus dem ersten Jahrzehnt unseres Kinosäculums in eine ungemein lustige und bunte Kinderstube hineinsehen.

Eine seltsam harmlosere Zeit mit ihren naiven Gefühlchen und kleinen ungefährlichen Verlogenheiten zieht da vorbei. Gehrocklebemänner mit dem Strohhütchen schief aufgesetzt, den Schnurrbart frauenbetörend gezwirbelt, kommen sich unerhört sieghaft vor, höhere Töchter mimen nach dem ersten Kuß Ohnmachtanfällchen und möchten doch, ach so gerne, noch mehr davon.

Man lacht, lacht und lacht - nur zwischendurch kommt uns das erschreckende Bewußtsein, was für ein Kulturdokument da serviert wird und wie stark die Kamera von damals schon enthüllen konnte. - -

Fast zu Unrecht mokiert man sich über eine Pathé-Wochenschau von 1906, die bei allen technischen Mängeln doch schon klare Bilder hat. Aus den braven Zehnkilometer-Geschwindigkeitsfahrten ist heute ein Raketenauto-Dahinsausen geworden. Aber haben sich die Einweihungsbilder geändert?

Zwei bunte Vorstadtbühnen sind dann zum Brüllen komisch in der Theatralik ihrer Gesten: König Lear mit vollschlanken Töchtern von Gardemaß - ganz alter Opernplüsch und ein Indianerfilm mit einem unwahrscheinlichen Niagarafällchen und einem ebenso unwahrscheinlichen Edelmut, der jeden Karl May Belesenen gewiß einmal zu Tränen gerührt hat.

Da kommen Titel vor voll einer herzerfrischenden Komik und Drastik, von Jerven, dem »Ansager« nach alter Fasson köstlich aufgegriffen, jongliert, daß es nur so eine Freude ist, und einem »verehrlichen p.p. Publikum« bis ins kleinste Detail verdeutlicht. Für das nötige Lokalkolorit sorgen Requisiten: die Leiter ins Parkett, ein an den geeigneten Stellen ersterbender Phonograph und das sinnige Klavier-Polkagehopse.

Neben so holden Kitsch ein paar Dinge, um die es jammerschade ist, daß sie vergessen wurden. Wege, die man weiter hätte gehen sollen: Ein Max-Linder-Film, in dem schon die amerikanische Groteske von heute vorweggenommen ist. Ein amerikanischer Film DER LACHBAZYLLUS nur auf das Komisch-Physiognomische gestellt - auch hier ließe es sich heute noch einsetzen.

Doch dann aber die deutsche Groteske: Karl Valentin- und Liesl Karlstadt-Filme. Was läßt sich da heute noch mit diesen zwei Typen anfangen! Valentin, diese abenteuerliche Clown-Form eines Münchner Buster Keaton, und die Liesl in ihrer erdrückenden Weiblichkeit.

Natürlich, die zwei Filme - VALENTINS HOCHZEIT und selbst die spätere OKTOBERWIESE - haben noch die Komik von gestern. Aber da sind Momente, vorgeahnte Chaplinaden im Lachkabinett, in den Jahrmarktbuden, Daumier-Karikaturen des trauten Bürgerheims vor einer Sternheim-"Hose". Wer hat den Mut, dort wieder zu beginnen?

Jervens Filme, die uns zwei Stunden herzlich lachen machen, bedeuten mehr: in dieser Kinderstube sind junge unverbrauchte Ideen zu finden.

Man muß sie nur suchen wollen.

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