FilmMaterialien 10 - Der komische Kintopp.

Schadenfreude

Deutsche Filmkomödien und Karl Valentin (Auszug)

Jan-Christopher Horak

In: Früher Film in Deutschland. KINtop. Jahrbuch zur Erforschung des frühen Films. 1. Hg. v. Frank Kessler, Sabine Lenk, Martin Loiperdinger. Basel - Frankfurt/Main: Stroemfeld / Roter Stern 1992, S. 65-66, 68-69.


Bereits Valentins erster Film, KARL VALENTINS HOCHZEIT (1912), läßt einen Hang zum Sadistischen erkennen. Der Film wurde von Martin Kopp unter der Regie von Ansfelder produziert. Die überlieferte Kopie hat eine Länge von 183 Metern, Anfangs- und Schlußtitel fehlen. Valentin spielt den Bräutigam und Georg Rückert, in Frauenkleidern, die Braut. Der Streifen ist typisch für viele Filme dieser frühen Zeit: Gedreht in einem Außenatelier und auf der Straße, besteht er fast ausschließlich aus langen Einstellungen, die in der Halbtotale aufgenommen sind.

Valentin liest Zeitung, was aber nicht reibungslos vor sich gehen kann, denn er schlägt sich ständig die Ellbogen am Tisch und wirft dabei einige Gegenstände zu Boden. Er reißt ein Inserat heraus und ist in der nächsten Szene zu sehen, wie er eine heiratswillige Frau aufsucht, die ihn an Körperumfang wenigstens ums Dreifache übertrifft. Im Wohnzimmer fällt sie regelrecht über ihn her, ihre Körperfülle zerdrückt ihn fast, dann hebt sie ihn mit einer Hand auf und wirft ihn auf das Sofa. Es bleibt ihm keine andere Wahl, als den Heiratsvertrag zu unterschreiben. Nach dem Hochzeitsakt im Standesamt fällt das jungvermählte Paar beim Tanz zu Boden: der gesamte Valentin verschwindet unter der Körpermasse seiner Braut. Als die Hochzeitsgäste einem entflogenen Vogel - ein Hochzeitsgeschenk - hinterherlaufen, stürzt Valentin, die hinter ihm laufende Braut fällt über ihn und begräbt ihn endgültig unter ihrer ungeheuren Körperfülle. Zwischentitel: "Jesus, jetzt hab i meinen Mann zerquetscht." Valentins lebloser Körper wird in eine Schubkarre gelegt.

Die Komik in diesem Film beruht auf zwei Elementen, die auf die Impotenz des Mannes hindeuten: Valentins körperliche Unbeholfenheit und der Gegensatz zwischen der extrem übergewichtigen Braut und dem ausgemergelten Bräutigam. Valentin stößt ständig gegen irgendwelche Gegenstände oder wirft etwas um. Die Braut ist groß genug, um sich ihren Freier auf den Schoß zu setzen, und stark genug, um ihn durch die Gegend zu werfen. Nachdem er sein Junggesellendasein aufgegeben hat, erscheint Valentin als Ehemann wie eine Marionettenpuppe, mit der die Ehefrau umspringen kann ganz wie sie will.

Sein physisches Hinscheiden am Ende des Films wird zum Symbol seiner geschlagenen Männlichkeit. Dieser Schluß kündigt auch eine Männerhysterie an, die für sein späteres Werk charakteristisch werden soll: Alle Ängste Valentins gegenüber dem weiblichen Geschlecht konzentrieren sich in der überwältigenden Körperfülle der Braut. Die Verehelichung wird als ein buchstäblich zerdrückendes Ereignis vorgeführt, das den Mann in ein Kind ohne eigenen Willen verwandelt. Als Slapstick verkleidet, präsentiert Valentin eine extrem düstere und misogyne Sicht der Ehe.

(...)
DER NEUE SCHREIBTISCH beginnt mit der Lieferung eines neuen Schreibpults samt Stuhl für den Büroschreiber Valentin. Ein Hüne von Tischler trägt den Schreibtisch zusammen mit einem zwergenhaften Gehilfen von der Straße ins Büro des Sekretärs. Wie Valentin gleich bemerkt, ist das Pult zu hoch geraten, aber der Tischler verlangt trotzdem sein Geld, und auch der Zwerg ist auf sein Trinkgeld aus. Alleingelassen mit seinem neuen Schreibtisch, versucht Valentin aus der Sache das Beste zu machen. Er entschließt sich, die Tischbeine mit einer Säge zu verkürzen, sägt aber zuviel ab, so daß er auch die Beine des gelieferten Stuhls verkürzen muß. Aufgrund einer Fehlmessung ist nun wieder der Schreibtisch zu hoch, so daß Valentin erneut zur Säge greift und sägt und sägt, bis er buchstäblich auf dem Boden sitzt. Um Platz für seine eigenen Beine zu schaffen, bohrt er Löcher in den Fußboden, immer wilder arbeitend, bis er samt Schreibtisch durch den Plafond des darunter gelegenen Friseurladens kracht. In hohem Bogen fliegt er von dort auf die Straße, wo zu Beginn der neue Schreibtisch angeliefert wurde.

Valentins Krieg gegen den eigenen Körper und die Tücke des Objekts nimmt hier extreme Formen an. Auf das Körperliche weist schon die zweite Einstellung des Films hin, wenn Valentins lange, ausgemergelte Gestalt den Riesen von Tischler mit seinem kleinwüchsigen Gehilfen konterkariert. An seinem neuen Schreibtisch sitzend, baumeln Valentins Beine überm Boden, mit den langen Armen kann er kaum das Tintenfaß erreichen, und mit dem Kopf sitzt er zu tief, als daß er sehen könnte, was er schreibt. Deshalb versucht er krampfhaft, seine Beine in kniender Stellung auf dem Stuhl unterzubringen. Wachsender Zorn bemächtigt sich seiner, bis er mit der Hand auf den Schreibtisch haut und sich dabei verletzt. Nachdem er Säge und Zollstock geholt hat, muß er sich in unmöglicher Weise verdrehen, weil er die Säge beim Ausmessen des Tisches nicht aus der Hand legen will. Fast schneidet er sich den Daumen ab, als er die gemessene Stelle mit der Säge zu erreichen sucht. Je mehr er sägt, umso wilder und verworrener agiert er, bis er schließlich einen Hammer nimmt und die Stuhlbeine einfach abschlägt.

Valentins Zorn richtet sich augenscheinlich gegen den Schreibtisch, der ihm nicht zu Willen ist, doch seine Aggressivität weist darauf hin, daß er sich selbst nicht leiden kann. Er ärgert sich darüber, daß ihn der Tischler übers Ohr gehauen hat; er kann sich selbst nicht ausstehen, weil er nicht in der Lage ist, einfache Handwerkerarbeiten zu verrichten; er leidet unter dem körperlichen Schmerz, den er sich selber zufügt. Je krampfhafter er mit dem Schreibtisch, quasi eine Verlängerung seines eigenen Körpers, fertig zu werden sucht, umso mehr zerstört er ihn. Schließlich stöhnt Valentin, auf dem abgesägten Stuhl am Boden sitzend, die Beine waagrecht unter den Schreibtisch gestreckt: "Ach Gott, wie tief bin ich gesunken!" Mit diesem Wortspiel ist weniger die physische Position gemeint, in die er sich gebracht hat, als der ganze masochistische Anfall, bei dem er sich gleichsam selbst kastriert hat. Für das Kinopublikum bietet dieses Schauspiel von Qual und Pein die Gelegenheit zu sadistischem Vergnügen.


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