FilmMaterialien 5 - Phil Jutzi

Hunger in Waldenburg

Von Willi Bredel

in: Hamburger Volkszeitung, Nr. 271, 4.12.1929


Am letzten Sonntag zeigte der Volksfilmverband in Hamburg und in Altona den Film HUNGER IN WALDENBURG in Uraufführung. Wir wissen, daß dieser Verband die einzige revolutionäre Kinobesucherorganisation ist und bereits einige in jeder Beziehung hervorragende Filmmatinees veranstaltet hat. Wir kennen auch die Schwierigkeiten: Filmbeschaffung, Kinobeschaffung, Steuer, Polizei und Staatsanwaltschaft, Boykott der bürgerlich-sozialdemokratischen Presse - mit denen dieser Verband zu kämpfen hat. Alles das kann uns aber nicht hindern, zu diesem in Uraufführung gezeigten Film kritisch Stellung zu nehmen, zumal es ein Film ist, den der Volksfilmverband in Berlin in eigener Regie herstellen ließ.

Daß der Volksfilmverband auf den Einfall kam, einen eigenen Film aus dem schlesischen Bergrevier herzustellen, ist nur zu begrüßen. In der praktischen Arbeit jedoch zeigte die Reichsleitung des Volksfilmverbandes eine erschreckende Unfähigkeit. Zum Regisseur eines solchen Films, der das Arbeiterdasein im Bergwerksgebiet, der die Familien der Kumpels in Not und Kampf zeigen soll, wurde ein Berliner Schriftsteller Leo Lania bestimmt. Leo Lania hat einige journalistische Arbeiten in der Linie »Erotik und Kurfürstendamm« geschrieben, vielleicht auch einige Reportagen aus proletarischem Milieu, ist aber einer, der nicht im proletarischen Alltagsleben steht, der nicht bei den Ausgebeuteten, bei den Enterbten, bei den Proletariern gegen das verruchte kapitalistische System kämpft, sondern ein Intellektueller, der sich radikal gebärdet und im übrigen in »Menschlichkeit« macht.

Es ist direkt unbegreiflich, wie die Reichsleitung des Volksfilmverbandes auf diesen Mann zur Bearbeitung derartigen Stoffes kommt. Und so hat auch dieser Film HUNGER IN WALDENBURG weder eine Linie, noch ein Gesicht, noch eine Gesinnung. Er hat keine Handlung, sondern eine jämmerliche, dazu absurde Darstellung einiger proletarischer Waschlappen. Es ist keine »objektive Reportage«; denn das echte Leben dieser Proleten, ja nicht einmal die ganze entsetzliche Not dieser Ärmsten der Armen, wird realistisch gezeigt. Zu Anfang des Films kommt Hindenburg und sagt: »Das ist ja furchtbar!« Und ebenso steht Leo Lania während des ganzen Films da und schlägt die Hände über dem Kopf zusammen und wimmert: O Gott, o Gott! -

Damit ist den Kumpels nicht geholfen!

Gibt es keinen Ausweg!? Leo Lania und der Volksfilmverband scheinen keinen zu kennen; denn der Film zeigt keinen, deutet nicht einmal einen an.

Aber Leo Lania findet schön klingende Worte wie »Die Armut hat nichts wie ihre reiche Sehnsucht.« Und wer nun noch annimmt, diese »reiche Sehnsucht« sei ihre und ihrer Kinder Befreiung, der irrt furchtbar, die »reiche Sehnsucht«, die Leo Lania in Rilkeschen Wortspielereien den Proleten andichtet, ist bei ihm eine Angelegenheit der Matratze.
Ist diese »reiche Sehnsucht« der Ausweg?

Der Film zeigt grauenhafte Bilder vom Elend der Arbeiter in dieser Republik, das jeder Bourgeois und jeder sozialdemokratische Bonze so gern leugnet und als eine überwundene Epoche bezeichnet. Der Film zeigt die Opfer dieser kapitalistischen Profitwirtschaft und deren verheerende Auswirkungen, ohne sie freilich als solche darzustellen. Der Film zeigt Elend, Elend, Elend - aber ohne Ausweg - vollkommen fatalistisch, vollkommen resigniert.

Leo Lania und die maßgebenden Leiter im Volksfilmverband haben nichts vom Russenfilm gelernt. Bei ihnen ist Jammer und Klagen und Wehgeheul - und kein Ausweg, so als gäbe es keinen.

Aber es gibt einen! Es gibt einen:

Die proletarische Revolution! Die Herrschaft der Arbeiterklasse! Der Aufbau einer sozialistischen Wirtschaft und die Zertrümmerung der kapitalistischen Herrschaft - das ist der Ausweg!

Wer nicht den Mut zu diesem Ausweg, d.h. zur Rettung der Arbeiterklasse und zu ihrer Befreiung hat, mag wie ein journalistischer Schmock sich an der »reichen Sehnsucht« der »Armen« ergötzen.

Den Volksfilmverband in Hamburg trifft gewiß keine Schuld, aber die Reichsleitung in Berlin muß sich vom »Hamburger Anzeiger« in einer Kritik über den Film folgendes sagen lassen:

»Es gibt in Waldenburg Hunderte von Kindern, die ohne Hemd, Strumpf und Schuh herumlaufen müssen. Aber davon erfuhr man nichts durch den Film (dort gehen manierlich gekleidete Gören zur Schule), sondern durch einen Redner, der bezeichnenderweise die soziale Bedeutung der wenig eindrucksvollen Bilder erläutern mußte - und das mit einigen Seitenhieben auf die Republik und ihren Reichspräsidenten tat. Man erinnert sich an den ersten Film des Volksfilmverbandes, den hundertprozentig gelungenen KAMPF UM SCHANGHAI und fragt: War ein solcher Rückschlag nötig?«


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