FilmMaterialien 6 - Paul Dessau.

Moderne Beiprogramm-Musik

Von Paul Dessau

in: Reichsfilmblatt, Nr. 43, 27.10.1928


»Beiprogramm«, da glaubt so mancher, es handelt sich um etwas Nebensächliches, man kann auch etwas später kommen, denn der Hauptfilm beginnt ja erst um die und die Zeit. Es hat vielleicht eine Zeit gegeben, in der solche Gedanken nicht einmal so falsch waren. Wer aber heute so denkt, der handelt wie Menschen, die sich musikalisch nennen und zu einer Oper erst nach der Ouvertüre kommen.

Wie die tüchtige Hausfrau, der gute Koch, bei der Zusammenstellung eines Menüs großen Wert auf die Vorspeisen, die Hors d'Oeuvres, legen, so muß der Leiter eines Lichtspieltheaters sein Vorprogramm geschmackvoll zusammenstellen, das er als »Vorgericht« für seinen Hauptfilm seinen Besuchern servieren will.

Aber nicht das Vorgericht allein ist ausschlaggebend, sondern auch die Sauce oder pikante Beigabe zu diesem Vorgericht im Lichtspieltheater – die Musik. Da ist zuerst die Wochenschau. Wie mannigfaltig ist dieser lebende Bildbericht, aufschlußreich, interessant und oft witzig. Die Buntheit der Geschehnisse läuft da in kurzen, prägnanten Bildern vor dem Beschauer ab und ist oft vielsagender als ein spaltenlanger Artikel. Für den modernen Musiker ist die Untermalung einer solchen Wochenschau durch eine fesselnde, konzise Originalmusik ungeheuer reizvoll.

In Baden-Baden, anläßlich des diesjährigen Kammermusikfestes, hat kein Geringerer als Darius Milhaud ein Beispiel dafür geliefert, dem wir in der »Alhambra« hoffen, baldigst folgen zu können. Die Vorarbeiten dafür sind bereits in Angriff genommen.

Und nun der »Kleine Film«! Die Groteske, der Kultur- oder Lehrfilm, der lustige Zeichentrickfilm oder ein bezauberndes Märchenpuppenspiel, wie jüngst der Starewitch-Film DER VERZAUBERTE WALD, bieten unendlich viel Möglichkeiten. An dieser Fülle von Ideen und Köstlichkeiten kann und darf der schaffende Musiker nicht vorübergehen. Hier ist die Quelle der zukünftigen musikalischen Weiterentwicklung im Lichtspieltheater. Und diese musikalische Weiterentwicklung zu fördern ist die reizvolle Aufgabe, die ich mir mit der Direktion der »Alhambra« zusammen gestellt habe. Das Lichtspieltheater, die Unterhaltungsstätte der breiten Masse, ist in viel höherem Maße verpflichtet, an der Weiterentwicklung der musikalischen Bildung des Volkes zu arbeiten als beispielsweise die Oper, die doch immer nur einer verhältnismäßig geringen Anzahl von Menschen und nur in wenigen großen Städten zugänglich ist. Und die modernste, aktuellste und lebendigste Kunstgattung, »Das lebende Bild«, sollte auch durch die modernste, lebendigste Musiksprache begleitet werden.


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