3 x Nebenzahl. Materialien zum 14. Internationalen Filmhistorischen Kongreß, Hamburg, 15. - 18. November 2001.

Biografisches


Nebenzahl-Biographie

Seymour Nebenzahl, geboren am 22. Juli 1897 in New York, Sohn des aus Krakau stammenden Kaufmanns Heinrich (Jesekiel/ Chaskel) Nebenzahl und der aus Ungarn eingewanderten Gussie Lustig. Er besucht die Public School in New York und, nachdem er mit den Eltern zu einem Bruder des Vaters nach Berlin gezogen ist, das Gymnasium.

Heinrich Nebenzahl (18?? - 1938) betreibt erfolgreich mit seinem Bruder die Firma Gebrüder Nebenzahl, die vor allem mit Eiern handelt; zu den Lieferanten gehört ihr Bruder Ferdinand im polnischen Woronesch. Mitte der 10er Jahre wendet sich Heinrich Nebenzahl dem Filmgeschäft zu: 1917 wird er Geschäftsführer der Natur-Film Friedrich Müller, 1919 übernimmt er von Alfred Leopold die Metro-Film GmbH, die sich ausschließlich den Filmen des Mitinhabers Harry Piel widmet. 1921 ist Nebenzahl mit Karl Wiesel Geschäftsführer der nur ein Jahr existierenden Harry Piel Film Compagnie GmbH; 1922/23 produziert er als Geschäftsführer der berliner Niederlassung der Apex Film Company Ltd., London, die beiden Piel-Filme RIVALEN und DER LETZTE KAMPF. 1923 stellt er als freie Produktion gemeinsam mit Piel dessen ABENTEUER EINER NACHT her; anschließend gründen beide gemeinsam die Hape-Film Company GmbH, die bis 1925 sechs Filme herstellt, drei davon in Co-Produktion mit der französischen Gaumont. Die Hape-Film wird 1925 liquidiert.
Seymour Nebenzahl wird von seinem Vater zu einem Onkel nach Hull (England) geschickt, wo er als "egg-candler" im Eierhandel arbeitet. Er erlernt das Bankfach, arbeitet Anfang der 20er Jahre als Makler, kann durch geschickte Spekulationen ein kleines Vermögen machen und eine Bank gründen. 1921 heiratet er Else Jacoby (deren 2. Ehe), deren Vater die Norddeutsche Wolldampfwäscherei besitzt.

Am 31.3.1922 wird ihr Sohn Harold Nebenzahl in Berlin geboren. Harold besucht Schulen in Berlin, Zug, Orgeval, St. Cloud, New York City. Im Zweiten Weltkrieg dient er als Captain des US Marine Corps. Ab Beginn der 50er Jahre arbeitet er als Produzent und Drehbuchautor, u.a. in den Firmen seines Vaters, so als President der West Coast Productions, Los Angeles. Als Associate Producer oder Production Supervisor ist er z.B. beteiligt an CABARET (Bob Fosse, 1971), DAS SCHLANGENEI (Ingmar Bergman, 1976) und FEDORA (Billy Wilder, 1977). 1992 veröffentlicht er den Spionage-Roman "Café Berlin", der 1994 in deutscher Übersetzung erscheint. Harold Nebenzal lebt in Beverly Hills.

1923 Neugründung der Metro-Film-AG für Filmfabrikation, mit einem Stammkapital von (inflationsbedingt) 20 Millionen Mark. Zu den ersten Projekten zählen Fritz Kaufmanns DER GROSSINDUSTRIELLE, der Asta Nielsen-Film DAS HAUS AM MEER und die (später von E. A. Dupont für eine andere Firma realisierte) Verfilmung von Werner Scheffs "Der Läufer von Marathon". Im Februar 1924 wird die Firma - um Verwechslungen mit der amerikanischen Metro Pictures Corp. zu vermeiden - in Mercedes-Film AG umbenannt.

1925 gründen Heinrich und Seymour Nebenzahl die Heinrich Nebenzahl & Co GmbH, Unter den Linden 21. Als gemeinsame Tochterfirma mit der Richard Oswald Produktion GmbH wird 1925 die Nero-Film GmbH etabliert. Als Geschäftsführer fungieren Heinrich Nebenzahl und Richard Oswald, dessen Film DÜRFEN WIR SCHWEIGEN? die erste Produktion der Firma wird. Außerdem dreht Harry Piel die Filme WAS IST LOS IM ZIRKUS BEELY? und SEIN GRÖSSTER BLUFF.

Die GmbH wird laut Gesellschaftsvertrag vom 17.6.1927 in die Nero-Film AG mit einem Grundkapital von 100.000 RM umgewandelt. Den Aufsichtsrat bilden 1926: Bankier Seymour Nebenzahl, Kaufmann Gustav Schwab, Else Nebenzahl, geb. Jacoby; Vorstand ist neben Marcel Hellman (der 1929 ausscheidet) der Kaufmann Ernst Wolf. Wiederum gehört ein Piel-Film (RÄTSEL EINER NACHT, 1927) zu den ersten Produktionen. In den nächsten Jahren zählt die Nero-Film mit jährlich 4 bis 6 abendfüllenden Filmen zu den renommiertesten deutschen Produzenten. Daneben existieren verschiedene Firmen, so der Verleih Star-Film, 1928/29 die Ideal-Film GmbH, die 1928 eng mit der Merkur-Film GmbH cooperiert; deren Chef Gustav Schwab und Heinrich Nebenzahl beteiligen sich an der jeweils anderen Geschäftsführung.

1928 arbeitet Seymour Nebenzahl erstmals mit dem Regisseur G. W. Pabst zusammen. In den nächsten fünf Jahren ergeben sich aus dieser Partnerschaft einige der bedeutendsten Filme des Weimarer Kinos. Für die Wedekind-Verfilmung DIE BÜCHSE DER PANDORA engagieren sie - nach einer langwierigen, pressewirksamen Suche - die Amerikanerin Louise Brooks als Lulu. 
Heinrich Nebenzahl unterstützt den jungen Theatermann Moriz Seeler bei der Gründung der Filmproduktion Studio 1929. Im Rahmen dieser sich als progressive Alternative zur etablierten Filmindustrie verstehenden Firma entsteht der dokumentarische Spielfilm MENSCHEN AM SONNTAG. Regisseur ist Robert Siodmak, ein Neffe Heinrich Nebenzahls, der erste Film-Erfahrungen in den Firmen seines Onkels gesammelt hat, wo er 1927 aus den Harry Piel-Filmen DER FÜRST DER BERGE und UNUS - DER WEG IN DIE WELT (1921) den Zusammenschnitt HARRY PIEL - DER BEZWINGER DER 1000 GEFAHREN hergestellt hat.

1930 gründet Seymour Nebenzahl (nach dem Vorbild der United Artists) u.a. mit Henny Porten die Verleihfirma Vereinigte Star Film. Im Mai 1930 übernimmt Pabst im Atelier Neubabelsberg mit der Schul-Komödie SKANDAL UM EVA das Tonfilm-Debüt der Hauptdarstellerin und Co-Produzentin Henny Porten. Mit seinen Tonfilmen für Nebenzahl greift Pabst wiederholt pazifistische Themen auf und setzt sich für die deutsch-französische Freundschaft ein. WESTFRONT 1918 - DIE VIER VON DER INFANTERIE wird als eines der bedeutendsten Beispiele für die kreative Verwendung der neuen Tonfilm-Technik gefeiert. Noch während der Dreharbeiten kündigt die Nero-Film für September 1930 "Das Mirakel von Lourdes. Ein modernes Mysterium", nach einem Manuskript von Walter Hasenclever und Rudolf Leonhardt, als Ton- und Sprech-Großfilm an, der jedoch ebenso wenig realisiert wird wie das Projekt "Europa 1914".

Die Nero-Film AG erwirbt 1930 die Verfilmungsrechte an Brecht/Weills Erfolgsstück "Die Dreigroschenoper", finanziert wird die Produktion durch Warner Bros. und die Tobis-Film. Nach monatelangen Querelen zwischen den Produzenten und Brecht um das Drehbuch, an dem Leo Lania, Ladislaus Vajda und Béla Balázs arbeiten, beginnen am 19.9.1930 die Aufnahmen. Obwohl eine Reihe inhaltlicher Änderungswünsche Brechts berücksichtigt worden sind, klagt dieser mit Weill gegen Nebenzahl. Während die Dreharbeiten weiterlaufen, kommt es zum Prozeß, den Brecht verliert, Weill gewinnt. Brecht und Nero schließen einen Vergleich, so daß der Film, dessen Dreharbeiten am 15.11.1930 im großen Atelier der Filmwerke Staaken beendet worden sind, fertiggestellt werden kann. Nach einem weiteren juristischen Geplänkel wird DIE 3-GROSCHEN-OPER am 19.2.1931 im Atrium festlich aufgeführt. Während der Film in Deutschland und England ungekürzt läuft, wird die parallel gedrehte französische Version in Frankreich zunächst verboten und kann erst im November (nach Schnitten in beiden Versionen) aufgeführt werden. Nach mehreren vergeblichen Verbotsanträgen wird der Film am 10.8.1933, nach Hitlers Machtergreifung, verboten.

KAMERADSCHAFT beruht auf einem Zwischenfall in Courrière im Jahre 1906 und wird vom deutschen Ausschuß des "Völkerbund-Komitees für die Annäherung der Völker durch den Film" ausgezeichnet, zugleich von der deutschen Rechtspresse angefeindet. Ebenfalls für Nebenzahl realisiert Pabst nach Benoits Roman "Atlantide" Anfang 1932 in Nordafrika in drei Versionen DIE HERRIN VON ATLANTIS mit Brigitte Helm als geheimnisvoll-schöner Wüstenkönigin.


Nach dem Bruch der Ufa mit Fritz Lang, u.a. weil er sich geweigert hat, Tonfilme zu drehen, wechselt der Regisseur zur Nero und erweist sich als innovativer Beherrscher der neuen Tonfilmtechnik. Mit M entsteht eines der bedeutendsten Werke des frühen Tonfilms. Während Nebenzahl Lang alle künstlerischen Freiheiten läßt, gelingt es ihm zugleich, diesem eine striktere Produktionsdisziplin aufzuzwingen, so daß der Film in nur 42 Drehtagen fertiggestellt wird.

Ab August 1932 dreht Lang DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE. Der Film ist am 20.3.1933 vorführbereit. Obwohl der Film von der Filmprüfstelle noch nicht freigegeben ist, werden der Nero-Film am 26. und 27.3.1933 zehn Kopien vom Kopierwerk Rensch aushändigt, die Heinrich Nebenzahl und seine Söhne Seymour und Leon per Bahn an Verleiher u.a. in Amsterdam und Kopenhagen, vermutlich auch in Wien schicken; das Negativ und eine Kopie der französischen Fassung wird René Sty als Vertreter der Firma Osso-Film, Paris, ausgehändigt. (Bericht des Polizeipräsidenten zu Berlin vom 20.5.1933; zitiert bei Kühn, 1990). Am Abend des Verbots durch die Filmprüfstelle, dem 29.3.1933, transportiert Seymour Nebenzahl, der zeitlebens seine amerikanische Staatsbürgerschaft beibehalten hat, das Negativ des Films in seinem Mercedes SS (mit holländischem Kennzeichen) über die Niederlande nach Paris.

Am 31.3.1933 beschlagnahmen die Nazis die Büros der Nero-Film AG und stellen Antrag auf Eröffnung des Konkurses. Wegen der illegalen Verbringung der Kopien wird im April 1933 ein Strafverfahren nach §18 des Reichslichtspielgesetzes von 1920 eingeleitet. Der Verleih Deutsche Universal, der z.Z. des Verbots bereits über zwei Drittel der Verkaufssumme von 300.000 RM an Nero gezahlt hat, versucht noch Ende 1933 durch eine Rahmenhandlung die Freigabe des Films für Deutschland zu erreichen. Dazu stellt das Reichsinnenministerium fest: "Es berührt merkwürdig, daß jetzt für diesen Schandfilm ein Mäntelchen gesucht wird, mit dem den Anschauungen des nationalsozialistischen Staates über die Strafrechtspolitik entgegengekommen werden soll, doch offensichtlich nur zu dem Zweck, die Zulassung des Bildstreifens zu erreichen." (bei Kühn, 1990). Am Morgen des 17.1.1934, dem Tag der Neuprüfung, zieht die Universal ihren Antrag auf Zulassung zurück.

Unter dem eingeführten Markennamen Nero-Film setzt Nebenzahl seine Arbeit in Paris fort, arbeitet dabei immer wieder mit Emigranten aus der deutschen Filmindustrie zusammen, vor allem mit Robert Siodmak als Regisseur, sorgt zugleich durch internationale Stars für die Attraktivität der Filme. Albert Préjean und Danielle Darrieux spielen die Hauptrollen in Robert Siodmaks LA CRISE EST FINIE!, Max Nosseck inszeniert unter der Künstlerischen Oberleitung von Siodmak LE ROI DES CHAMPS-ELYSEES mit Buster Keaton.
Der berühmte österreichische Hof-Skandal von 1889 ist Vorlage für Anatole Litvaks MAYERLING mit Danielle Darrieux als Maria Vetsera und Charles Boyer als Rudolf von Habsburg. Auf Verbot des Films klagt - vergeblich - die Prinzessin von Longay, geb. Prinzessin von Sachsen-Coburg-Gotha und erste Gemahlin des Erzherzogs, sie "sieht in der Schilderung in dem Film eine Verzerrung und Herabsetzung und steht auf dem Standpunkt, daß sie, noch am Leben weilend, nicht ohne weiteres und ohne ihre Zustimmung hätte verfilmt werden dürfen" (Lichtbild-Bühne, 23.3. 1936).


Gleichzeitig in französischer und italienischer Version und mit einem europäischen Team (Kamera: Curt Courant und Massimo Terzano, Bauten: Andrej Andrejew und Guido Fiorini) entsteht 1938 in Italien LA PRINCIPESSA TARKANOWA, Regie führen der Russe Fedor Ozep und der Italiener Mario Soldati; Produzent in Italien ist Film Internazionali, für die französische zeichnet neben Nero auch die Firma Les Films Chronos, an der Nebenzahl gleichfalls beteiligt ist. Hauptdarstel1er sind die 15jährige Entdeckung Annie Vernay und Pierre Richard-Willm, wie auch in WERTHER, den Max Ophüls im selben Jahr in Frankreich inszeniert (an der Kamera u.a. Eugen Schüfftan). LES ÔTAGES, Regie: Raymond Bernard, schildert das Schicksal der Notabeln eines französischen Dorfes, die im Ersten Welt-krieg als Geiseln genommen werden, nachdem ein deutscher Ulanen-Offizier getötet worden ist. 

Noch 1938 geht Nebenzahl nach New York, er schreibt sich in Zukunft vorwiegend Nebenzal. 1940 arbeitet er als Producer bei M-G-M; Ergebnis ist - nach einem Drehbuch von Dalton Trumbo - das Sozialdrama WE WHO ARE YOUNG, Regie: Harold S. Bucquet, Kamera: Karl Freund, mit der bisher glamourösen Lana Turner als dunkelhaarige Arbeitslose. Die Empörung über den japanischen Überfall auf Pearl Harbour nimmt Nebenzahl sofort auf und produziert bei PRC (Producers Releasing Company) THE PRISONER OF JAPAN (Release: 22.7.1942), Ernest Dorian (= Ernst Deutsch) spielt einen japanischen Spion. Der umtriebige Migrant Edgar G. Ulmer inszeniert 1942 den billigen Krimi TOMORROW WE LIVE mit dem Wiener Ricardo Cortez (Jacob Krantz) in der Hauptrolle.

Im Rahmen seiner Firma Angelus Pictures, gegründet von Nebenzal, Rudolph Joseph und Erwin O. Brettauer, der (laut Horak, 1984) bereits an der Nero Film (Berlin und Paris) beteiligt gewesen ist, übernimmt Nebenzal im Juni 1942, einen Monat nach der Zerstörung Lidices, die Produktion der Heydrich-Biografie "The Hangman", die die emigrierten Autoren Emil Ludwig und Albrecht Joseph verfaßt haben. Unter Beteiligung weiterer Emigranten - Regisseur Douglas Sirk, Produktions-Assistent Rudolf Joseph, Kameramann Eugen Schüfftan (ungenannt) sowie zahlreiche Schauspieler - wird im Herbst 1942 gedreht und geschnitten. Louis B. Mayer kauft den Film für M-G-M und engagiert Nebenzal als "Executive producer"; er läßt einige Szenen nachdrehen. Im Juni 1943 beendet, kommt der Film im August unter dem Titel HITLER'S MADMAN in den Verleih.

Nach Cechovs Roman "Drama na ochote" dreht Douglas Sirk im Winter 1943/44 die Angelus-Produktion SUMMER STORM (für United Artists) mit George Sanders, Linda Darnell und Edward Everett Horton. 1944 bereitet Nebenzal als Co-Produktion mit Mary Pickford ein Farb-Remake von MAYERLING - wieder mit Boyer als Erzherzog Rudolph - vor, das jedoch nicht zustande kommt. 

Im Juli 1944 trennt sich Nebenzal von Brettauer und gründet in Hollywood die Nero Films, Inc.; das Board of Directors besteht aus Seymour Nebenzal, seinem Sohn Harold und Eugene Frenke; 1945 zeichnet Seymour Nebenzal als President und Executive Producer. Die Firma produziert im Auftrag von United Artists eine Reihe von Genre- und Unterhaltungs-Filmen: 1945 WHISTLE STOP mit Ava Gardner, George Raft und Victor McLaglen; 1946 THE CHASE mit Robert Cummings, Michele Morgan und Peter Lorre, nach der Story "The Black Path of Fear" von Cornell Woolrich; 1947 den Western HEAVEN ONLY KNOWS unter der Regie von Albert S. Rogell.

1948 heißt die Firma Nero Pictures, Inc., Hollywood. Herbert T. Silverberg ist an die Stelle von Eugene Frenke getreten; Contract Players sind Jean Pierre Aumont und Maria Montez. Beide sind 1949 die Stars von SIREN OF ATLANTIS, einem Remake von Pabsts DIE HERRIN VON ATLANTIS: "The theory that Atlantis was submerged under an ocean seems more acceptable now that SIREN OF ATLANTIS is on view." (A. W., The New York Times, 22.8.1949). Ebenfalls an einen alten Nero-Erfolg knüpft 1951 das Hollywood-Remake von M unter der Regie von Joseph Losey an, für das auch Harold Nebenzal als Associate Producer zeichnet.

1949 kehrt Seymour Nebenzahl nach Deutschland zurück und gründet in Berlin die Nero-Film GmbH. Einziger neuer Film der Firma ist BIS ANS ENDE ALLER TAGE, der unter der Regie von Franz Peter Wirth in Co-Produktion mit der NDF Neue Deutsche Filmgesellschaft, München, entsteht. Sonst beschränkt sich die Tätigkeit auf die Verwaltung der berühmten Filmklassiker der Vorkriegszeit.

Seymour Nebenzahl stirbt am 23. September 1961 in München an Herzversagen.

HMB [= Hans-Michael Bock],
CineGraph, Lg. 24, 1994

 

 

Aus den Erinnerungen von Leon Nebenzahl

Ein wenig Familiengeschichte

(...) Mein Vater Ferdinand entstammte einer jüdischen Familie, die ebenso kinderreich und arm war wie die meiner Mutter und in der Gegend von Krakau (damals Österreich-Ungarn) lebte. Mein Großvater glaubte, seinen Söhnen einen Weg aus den ärmlichen Verhältnissen zu bahnen, wenn er sie in die "kaufmännische Lehre" nach Deutschland schickte. So kam mein Vater als Vierzehnjähriger nach Hamburg und zog nach Abschluß der Lehre weiter nordwärts, nach Dänemark, wo er sieben Jahre blieb.

Dänemark war zu jener Zeit ein wichtiger Nahrungsmittellieferant Westeuropas. Dänische Butter und dänische Eier hatten einen guten Ruf, dänischer Bacon (magerer Speck) durfte beim traditionellen englischen Frühstück nicht fehlen. Kein Wunder also, daß mein Vater im Lebensmittelhandel landete, und zwar beim Eierexport. Doch waren die Chancen, sich selbständig zu machen und gegen die altrenommierten einheimischen Firmen durchzusetzen, für ihn, einen jungen Ausländer mit wenig Kapital, in Dänemark gleich Null. So entschloß sich mein Vater Mitte der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts zu dem Wagnis, nach Rußland zu gehen und von dort aus den Eierexport zu organisieren.

Als Wohnsitz wählte er die Stadt Woronesh, Zentrum eines an die Ukraine grenzenden Gouvernements mit einer relativ entwickelten agrarischen Produktion. Da er als Kind Polnisch gelernt hatte, konnte er sich einigermaßen verständigen. Das erforderliche Anfangskapital war nicht allzu hoch: Benötigt wurden ein Lagerschuppen, zwei Dutzend Arbeiter und je hundert Rubel Vorschuß für die einheimischen Aufkäufer, die von Dorf zu Dorf fuhren und bei den Bauern Eier aufkauften. Die Eier wurden durchleuchtet, sortiert, in Kisten gepackt und so schnell wie möglich auf den Weg nach Deutschland gebracht, wo zwei Brüder meines Vaters sie abzusetzen suchten; daher hieß die Firma Gebrüder Nebenzahl. 
(...)

Vom Eierimport zur Filmproduktion

Mitinhaber der Firma Gebrüder Nebenzahl war mein Onkel Heinrich in Berlin. Auch er wurde vom Ausbruch des ersten Weltkrieges in Mitleidenschaft gezogen: Die Eierlieferungen aus Rußland blieben aus. Er stellte sich aber sehr rasch und risikofreudig auf die Filmproduktion um und hatte insofern Glück, als er für seine Filme Harry Piel gewinnen konnte, einen Sensationsdarsteller, der sich in den zwanziger Jahren einer ständig wachsenden Beliebtheit erfreute. Insgesamt produzierte mein Onkel über siebzig Harry-Piel-Filme, ehe diese Partnerschaft gelöst wurde.

Ende der zwanziger Jahre befaßte sich die Firma meines Onkels vor allem mit einer Art "Sekundärverwertung" der alten Erfolgsstreifen: Zwei bis drei davon wurden zu einem "neuen" Film montiert, der unter einem neuen Titel, ohne eine Premiere, zu günstigen Bedingungen an kleine Kinos verliehen wurde und immer noch Zuschauer anlockte. Spezialist für derartige "Ausaltmachneu"-Operationen war in Berlin zu jener Zeit ein gewisser Dr. Nossek, im Hauptberuf Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten. Doch eines Tages sprach bei Onkel Heinrich ein Verwandter, Robert Siodmak aus Dresden, vor und bat ihn inständig um Arbeit.

Dazu eine Erläuterung: Die Mutter meines Vaters, Lea, war eine geborene Siodmak. Ihr Verwandtschaftsverhältnis zu den Siodmaks aus Dresden ist mir nicht bekannt, doch redeten diese meinen Vater und dessen Brüder mit Onkel an. Frühe künstlerische Ambitionen hatten Kurt und Robert Siodmak aus dem Hause und an Provinzbühnen getrieben, wo sie aber keine Lorbeeren ernteten. So kam Robert eines Tages mittellos nach Berlin und erhoffte hier von seinem Onkel, dem Filmproduzenten, Hilfe. Dieser konnte ihm aber nichts anderes anbieten als drei alte Harry-Piel-Filme zur "Neuaufbereitung". Robert zog sich in den Schnittraum zurück, kam am übernächsten Tag wieder heraus und sagte: "Ich bin fertig!" - "Das kann doch nicht sein!" meinte mein Onkel. "Dr. Nossek braucht dazu mindestens drei Wochen!" Doch war dem Anfänger die "Erneuerung" glänzend gelungen.
Daraufhin erhielt Robert die Chance, bei der nächsten Neuproduktion meines Onkels (DAS LETZTE FORT) dem später sehr bekannt gewordenen Schweizer Filmregisseur Lindtberg [Regie führte Kurt Bernhardt; CG] zu assistieren. Ich selbst - damals noch Student - durfte bei diesem Film drei Tage als Komparse mitwirken und lernte bei dieser Gelegenheit meinen Vetter Robert überhaupt erst kennen. (...)

Onkel Heinrich war mit einer Amerikanerin verheiratet und hatte zwei Söhne: Leon (wie ich nach dem Großvater benannt) und Seymour. Dieser trat in die Fußstapfen des Vaters und machte innerhalb weniger Jahre eine erstaunliche Karriere. Mit der Gründung der Produktionsgesellschaft Nero-Film und der Verleihfirma Star-Film (später Vereinigte Star-Film) wurde er einer der größten selbständigen Filmproduzenten Deutschlands.
Ich hatte mit seiner Produktion insofern etwas zu tun, als die Werbeabteilung der Star-Film-Gesellschaft mir Anfang der dreißiger Jahre, da ich bereits als Grafiker tätig war, gelegentlich Aufträge erteilte. (...)


Aus: Leon Nebenzahl: Mein Leben 
begann von neuem. Erinnerungen an eine 
ungewöhnliche Zeit. Berlin/DDR: Dietz 1985


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