Tonfilmkrieg / Tonfilmfrieden. Materialien zum 15. Internationalen Filmhistorischen Kongreß, Hamburg, 20. - 24. November 2002.

Zum Tonfilmfrieden


Warner benutzt Tobis-Patente. 
Kein Aktienverkauf. 
Gemeinschaftliche Europa-Produktion.


Amsterdam, 28. April
Über das Abkommen Warner Brothers-Küchenmeister werden jetzt Einzelheiten bekannt. Hiernach weist der Vertrag folgende drei Hauptpunkte auf: 

1. Die sogenannte "Interchangeability". Da Warners ja keine Apparate fabrizieren, kann diese Interchangeability nur bedeuten, daß jeder Besitzer einer Tobis- und wohl auch einer Klangfilm-Apparatur Warnerfilme spielen darf. Dieser Punkt erscheint ziemlich unwichtig, denn er ändert ja an den bereits bestehenden Gepflogenheiten nichts. 
2. Warner Brothers haben von Tobis-Küchenmeister das Recht zur Benutzung ihrer Patente erworben. Die Zahlung dafür erfolgt in bar, verteilt auf mehrere Jahre. Diesem Abkommen ist die größte Bedeutung beizumessen, denn es zeigt Warners Bestreben, sich zunächst von Western Electric, mindestens während der Patentprozesse, völlig unabhängig zu machen und eine eigene Lichtton-Fabrikation aufzuziehen. 
3. Der dritte Punkt ist eine enge Zusammenarbeit der beiden Gruppen in Europa, hauptsächlich auf dem Gebiete einer gemeinschaftlichen Fabrikation. Greifbare Einzelheiten sind bisher noch nicht bekannt. Daß Warners in Europa und wohl auch in Berlin produzieren werden, erscheint ziemlich sicher. In welchem Ausmaße und unter welchen Bedingungen dies geschieht, bleibt abzuwarten. 
Es wird nach wie vor behauptet, daß eine Aktien-Übertragung an Warner Brothers nicht stattgefunden hat. Es handelt sich lediglich um eine sicher nicht billig bezahlte Erlaubnis zur Patentbenutzung. International gesehen ist dieses Abkommen mit einem der größten amerikanischen Filmkonzerne für Küchenmeister-Tobis nicht nur ein finanzieller, sondern auch ein Prestige-Erfolg. Es wird immer klarer, daß sich Western Electric, als sie vor zwei Jahren die Tobis-Gründung zu bagatellisieren versuchte, verrechnet hat.
Die Tobis hat allerdings das Glück gehabt, daß die sonst in Amerika vorhandene Einheitsfront bei Wirtschaftsmaßnahmen gegenüber dem Auslande diesmal nicht zustande kam.

Film-Kurier, Nr. 102, 29.4.1930


Die Debatte
Tobis - "Der Deutsche". 
Die Patent-Anerkennungsgebühren.


"Das unsittliche Tobis-Monopol" 
Unter dieser Überschrift hatte "Der Deutsche" eine auch von uns veröffentliche Feststellung über die Tonlizenzen gebracht. Das Berliner Blatt erhielt darauf hin von der Tobis folgende Zuschrift:
"Die Kinobesitzer haben in ihren Verbänden selbst die Lizenzforderungen der Tobis-Klangfilm-Gruppe zwar als hoch, aber noch nie als in sich ungerechtfertigt bezeichnet. 
Die Amortisation einer sehr hohen Zahl von Patenten und die heute noch sehr beschränkte und langsame Ausnutzungsfähigkeit des einzelnen Tonfilms verteuern diesen. 
Jeder ausländische Tonfilm kann gegen eine durchaus mäßige Patentanerkennungsgebühr in Deutschland laufen, Warner-Bros.-Filme, wie SINGING FOOL, laufen seit Juni 1929 in Deutschland ungehindert. Die anderen amerikanischen Produktionsfirmen halten ihre Filme vom deutschen Markt lediglich zurück, weil sie durch einen Boykott des deutschen Marktes diesen aushungern und die Patentanerkennungsgebühr hoffen umgehen zu können.
In der Auto- und chemischen Industrie hält es jedermann für selbstverständlich, daß Erzeugnisse, die deutsche Patente berühren, auf den Markt nur gegen Anerkennungsgebühr gelangen können. Weshalb soll gerade die amerikanische Filmindustrie, die selbst die europäischen Filme von ihrem Markt mit eisener Konsequenz fernhält, ein Ausnahmerecht genießen?"
"Der Deutsche" bemerkt hierzu:
Die Tobis sollte nicht vom Schutz deutscher Filminteressen reden. Mit dem Holländer Küchenmeister, holländischen Banken und der amerikanischen Firma Warner Bros. als Hauptpartnern!

Film-Kurier, Nr. 118, 19.5.1930

 

Ergebnis von Paris:
Einigung unterzeichnet.
Restlose Interchangeability - Aufteilung der Erde in drei Patentzonen - Patent-Austausch


P. M. Paris, den 22. Juli.
Nachdem gestern eine günstige Antwort aus New York eingetroffen ist, wurde vormittags das Memorandum der Pariser Patentkonferenz unterzeichnet.
Durch dieses Memorandum wird die Austauschbarkeit aller Tonfilme auf der ganzen Welt festgelegt. 
Das Memorandum wurde unterzeichnet von den Herren Otterson, Roß, Graham, Dr. Meyer, Dr. Lüschen und Diamond.
Über das Memorandum ist ein offizielles Communiqué ausgegeben worden, das wir morgen im Wortlaut veröffentlichen. Bei Redaktionsschluß gibt uns unser Korrespondent die wichtigsten Punkte telephonisch an:
1. Offener Markt für alle Filme auf der ganzen Welt.
2. Jeder Film darf grundsätzlich auf Apparaten jeden Systems laufen.
3. Im Interesse einer technisch möglichst hochstehenden Produktion werden die Tonfilmpatente von R.C.A., Western und Tobis-Klangfilm gegenseitig ausgetauscht. 
4. Die Welt wird wie folgt aufgeteilt: Tobis-Klangfilm besitzen das ausschließliche Recht der Apparatelieferung für: Deutschland, Danzig, Österreich, Ungarn, Schweiz, Tschechoslowakei, Holland, Holländisch-Indien, Dänemark, Schweden, Norwegen, Bulgarien, Rumänien, Jugoslawien und Finnland.
Die Amerikaner besitzen das ausschließliche Lieferungsrecht für die Vereinigten Staaten, Canada, Australien, Neuseeland, Indien und Rußland.
Alle übrigen Länder, unter ihnen also Italien, Frankreich und England, sind für beide Parteien frei.
Die Lizenzzahlung soll in der Weise geregelt werden, daß in den vorbehaltenen Gebieten an die jeweiligen Patentbesitzer Lizenzen zu zahlen sind. Für die freien Länder tritt eine Sonderregelung ein.

Film-Kurier, Nr. 171, 22.7.1930

 

Das offizielle Communiqué: 
Basis des Tonfilmfriedens. Absatz-Chancen für die Deutsche Elektoindustrie.


Berlin, den 23. Juli
Wir veröffentlichten gestern als einzige Berliner Zeitung die Grundlinien des über die Pariser Tonfilmeinigung ausgegebenen offiziellen Connuniqués. Der Wortlaut der offiziellen Erklärung ist folgender:
"Die Vertreter der deutschen und amerikanischen Elektro- und Filmindustrie haben als Abschluß ihrer Verhandlungen in Paris ein Abkommen über den Austausch der Patentrechte der ganzen Welt unterzeichnet, und zwar im Namen folgender Firmen: Electrical Research Products Inc., R.C.A. Photophone Inc., Columbia Picture Corporation, Educational Picture Inc., Fox Film Corporation, Paramount Publix Corporation, Radio Keith Orpheum Corporation, United Artists Corporation, A.E.G., Siemens & Halske, Universal Pictures Corporation, Tiffany Steel, Pathé Exchange Inc., Metro Goldwyn Picture Corporation, Küchenmeisters Internationale Maatschappij voor Sprekende Films, Amsterdam, Tonbild-Syndikat A.-G., Berlin.
Die Abmachungen ermöglichen es den Herstellern von Filmen aller Länder, Lizenzen für die Herstellung von Filmstreifen aus amerikanischen Patenten zu erhalten.
Die Filmstreifen sollen in allen Ländern austauschbar und auf allen Arten von in Deutschland und Amerika in Lizenz gebauten Apparaten verwendbar sein.
Als Ergebnis dieses Abkommens ist hervorzuheben, daß den amerikanischen Filmproduzenten nunmehr der deutsche Markt und den deutschen Filmproduzenten der amerikanische Markt für ihre Erzeugnisse erschlossen ist.
Im Hinblick auf die Herstellung und den Verkauf von Apparaten ist seitens der interessierten deutschen und amerikanischen Kreise ein Abkommen über eine völlige Auswechselbarkeit der Patentrechte und über einen Austausch der Herstellungs- und technischen Informationen getroffen worden, damit der Apparattypus der die besten deutschen und amerikanischen Ideen in sich verkörpert, in allen Ländern eingeführt werden kann. 
Auf Grund dieses Abkommens werden die Apparate, die in folgenden Ländern gebraucht werden, in deutschen Fabriken hergestellt: Deutschland einschließlich Freie Stadt Danzig, Saargebiet und Memelgebiet, Österreich, Ungarn, Schweiz, Tschechoslowakei, Holland, Holländisch-Indien, Dänemark, Schweden, Norwegen, Finnland, Südslawien, Rumänien und Bulgarien. Die Apparate, die in den nachfolgenden Ländern gebraucht werden, werden dagegen in amerikanischen Fabriken hergestellt: Vereinigte Staaten von Amerika einschließlich ihrer Besitzungen, Kanada, Neufundland, Australien, Neuseeland, Straits Settlements, Indien, Rußland. Die Apparate, die in allen übrigen Teilen der Welt gebraucht werden, werden sowohl in Amerika als auch in Deutschland hergestellt.
Der Zweck dieses Abkommens ist, für die volle Ausnutzung der Fabrikationsmöglichkeiten der deutschen und amerikanischen Industrien Sorge zu tragen und eine Gewißheit dafür zu erlangen, daß die Filmindustrie aufs beste ausgestattet, und daß für die Verteilungsmöglichkeiten der Filmstreifen in möglichst kurzer Zeit Sorge getragen wird. 
Das Abkommen soll nicht nur den deutschen und amerikanischen Interessen dienen, sondern auch in gleicher Weise den Interessen aller anderen Länder, da dadurch die möglichst große Verbreitung und Ausnutzung der Patentrechte und der technischen Informationen, wie sie durch die deutschen und amerikanischen Interessenten kontrolliert werden, sichergestellt werden sollen. 
Die deutschen und die amerikanischen Interessenten haben sich die Entwicklung der Tonfilmindustrie zur Aufgabe gestellt."
Mit der Unterzeichnung des Memorandums ist also der Tonfilmfrieden in der ganzen Welt endgültig hergestellt. Mit Recht wird in dem Communiqué hervorgehoben, daß den amerikanischen Produzenten nunmehr der deutsche Markt verschlossen ist.
Dieses Moment ist von primärer Bedeutung. 
Was die übrigen Punkte des Communiqués anbelangt, so leidet ihre Bedeutung darunter, daß die Tonfilmeinigung für die außerdeutschen Gebiete eigentlich zu spät kommt. Den deutschen Fabriken ist zwar ein bedeutender Teil Europas reserviert worden, aber die Amerikaner arbeiten in diesen Gebieten bereits seit nahezu Jahresfrist und haben, soweit nicht die Deutschen bereits Abschlüsse getätigt haben, einen Großteil der interessanten und potenten Kinos bereits beliefert.
Durch diese Feststellung soll gewiß nicht unterschätzt werden, was in den Deutschland reservierten Gebieten noch an Theater-Installierungen zu leisten ist. Es ist auch für die deutsche Wirtschaft erfreulich, daß den deutschen Fabriken eine große Belieferungschance gegeben ist. Aber die Zahl der zu liefernden Apparate wird stehen und fallen mit den Preisen, die für sie berechnet werden.
Mit Ausnahme der wirtschaftlich starken Länder wie Holland, Schweiz und Skandinavien sind ja den deutschen Fabriken in der Hauptsache Gebiete reserviert worden, die wirtschaftlich nicht günstiger gestellt sind als Deutschland. Ob man auf der Basis der bisherigen Preise und Lieferungsbedingungen da weit kommen wird, muß die Zukunft lehren. Hoffentlich bestätigen sich die erfreulichen Gerüchte von einer in vierzehn Tagen eintretenden generellen Preissenkung. 
Wie weit auf beiden Seiten beabsichtigt ist, von der ausdrücklich vorgesehenen Austauschbarkeit der Patente Gebrauch zu machen, ist im Moment nicht zu übersehen. Ob es zu der oft erwähnten Welteinheitsapparatur kommt oder ob in Amerika und Deutschland nur geringe Teile der bisherigen Apparatur gegen die besseren Patente des Vertragspartners ausgewechselt werden, ist bisher noch nicht bekannt.
Mit keinem Wort ist in dem Communiqué von dem interessantesten Punkt der Einigung, von der Lizenzzahlung, die Rede. Es ist weder die Höhe der Lizenzen bekannt noch der Modus, wer sie nun eigentlich zu zahlen hat.
Von außerordentlicher Bedeutung wird sein, wie sich nun der neue Welttonfilmtrust, der die größten Elektro- und Filmfirmen der Erde umfaßt, zu den in fast allen Ländern vorhandenen kleinen Apparaturfirmen stellt.
Diese Firmen sind sehr zahlreich und aktiv und haben in das feste Netz der Trust-Bedingungen und -Preise schon manches Loch gerissen.
Die Interessenten tun gut daran, sich in allen Ländern die jeweils geltenden Trustbestimmungen der Gesetzbücher rechtzeitig durchzulesen.

Film-Kurier, Nr. 172, 23.7.1930

 


England gegen den Tonfilm-Frieden.
Protest im Unterhaus.


London, 27. Juli. 
Im britischen Unterhause erwähnte gelegentlich der Aussprache über das Budget des Handelsamtes Sir A. S. Sandeman den deutsch-amerikanischen Tonfilm-Frieden. Die Deutschen und die Amerikaner, sagte er, hätten die Welt unter sich verteilt, und die Amerikaner würden ungefähr alle Tonfilm-Apparaturen fabrizieren, die nach England kämen. 
Solle England sich das gefallen lassen und Hunderttausende von Pfund dabei verlieren?
Sandeman verlangte, daß die Regierung die Amerikaner zwinge, nach England zu kommen und dort zu produzieren.

Film-Kurier, Nr. 176, 28.7.1930

 

Klangfilm-Tobis in Europa.

Soeben erscheint eine Broschüre über die Klangfilm-Tobis-Apparaturen, ihre Verbreitung in Europa, sei es in Theatern oder Ateliers, die Revisionsbezirke aufgezählt, die geschäftlichen Beziehungen kurz angedeutet: Tochter- und Schwesterfirmen aufgeführt.
Sehr interessant zu jedem namentlich genannten Theater die Angabe, welche Apparatur dort steht, ob Klangfilm, Gaumont, Tobis, ob Lichtton, Nadelton oder beides, ob einfach oder Doppelapparatur verwendet wird. 
Schließlich die fertigen lizenzierten und drehbereiten Filme des In- und Auslandes. Ein sehr praktisches Nachschlagebuch zur Auffrischung des Gedächtnisses. 
Die erste wirkliche Tonfilmsaison erscheint so in der Zusammenfassung doch genügend vorbereitet, um mit Erfolg weiterbauen zu können.
sti [= Georg Otto Stindt],

Film-Kurier, Nr. 191, 14.8.1930


Nächster Artikel - Zurück zur Übersicht