... aus dem Geiste der Operette. Materialien zum 10. Internationalen Filmhistorischen Kongreß, Hamburg, 20. - 23. November 1997.
Zeitgenössische Pressestimmen

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Theorie und Praxis


Ernst Jäger über

ZWEI HERZEN IM 3/4 TAKT

Film-Kurier, 14.3.1930

Endlich auch musikalisch formal eine populäre und dabei stilistisch wertvolle Tonfilmgestaltung von der Musik her. Viele internationale Tonfilme haben kurioserweise gerade mit der Musik nichts anzufangen gewußt. Die Musiker wurden als Fremdkörper empfunden - diesmal sind alle Autoren »musikalisch« und der Ton-Produzent Dr. Guido Bagier erweist hier ein geniales und ideelles Verständnis für das Zusammenfinden von Bild und Ton.

Die Musik »handelt«, die Partitur spielt filmisch - - zweimal ist der entzückende Einfall - es steht »umgekehrt« bei Papa Haydn - verwandt, wenn die Instrumente langsam in eine Melodie einfallen, um schließlich den vollen Orchestersatz aufzuspielen. Da ist jede Instrumenteinmischung eine Nuance.

Man hat auch Courage, die Schauspieler, wenn sie singen, in ihrer direkten Wirkung nicht dadurch zu beeinträchtigen, daß man zuviel hineinschneidet, wie es unsere Snobs verlangen. Man traut eben der Macht des Liedes, der Macht der Musik. Gut so.

Einmal spielen zwei Klaviere mit, aber wie ist das angelegt! Nicht irgendwelches Virtuosengebrudel, sondern zwei gute Schauspieler »spielen« mit ihnen, werfen sich, sprechsingend, musikalische Scherze zu. Urkomisch. (Aber bitte, nichts nachmachen, nichts von diesem originellen Film kopieren.)

Die Schubert-Einführung wirkt im Anfang recht süßlich. Und der Hauptwalzer walzerträumt stark. Sonst hat Robert Stolz sehr gute Einfälle. Vor allem den Slow-Fox: »Auch du wirst mich einmal betrügen«. Er entspricht dem sentimentalen Zeitgeschmack.

Die Art, wie die Schlager verwandt werden, ist vorbildlich, auch wie sie vorgetragen werden und wie die Darsteller auf diese musikalischen Eindrücke reagieren. Etwa der Theaterdirektor, wenn oben auf seiner Bühne der Radetzki-Marsch gespielt wird.

Auch in der Aufnahme ist die Musik sehr gut geglückt. Tonphotographie: Fritz Seeger. - Musik als Handlungsantreiber, als Wirkungsteil im Film - - das hat man hier ganz bewußt gestaltet, und so entstand die bisher einheitlichste Leistung im musikalischen Tonfilm.

 

Ernst Jäger über

DIE DREI VON DER TANKSTELLE

Film-Kurier, 16.9.1930

Oberstes Schaffensprinzip für diesen Film: Die harte, schwere Technik des Tonfilms mit Laune zum luftigsten Unwirklichkeitsgebilde zu formen. Die Pommer-Produktion besiegte diesmal die Technik völlig. Keine wunde Stelle, kein Tonfilmkratzer, kein Sprüngchen. Ein Conzertino von eineinhalb Stunden, eine Darstellungssuite von frischer Durchdrungenheit ist geschaffen. (...) Da trifft Witz und Können aller überwältigend zusammen. Jeder Takt sprühend, treibend. Der Illustrator Werner R. Heymann, der dann am schöpferischsten wirkt, wenn er seine eigenen Einfälle auswerten und steigern kann und die Linie seiner Schlager parodistisch umbiegt - ein expressives Lied und der flotte Freundschaftsmarsch sind darunter, die bestimmt populär werden, oder vielleicht werden sogar alle vier Stücke die große Runde machen, herzlichen Glückwunsch dafür.

 

Dr. Fritz Hock:

Die musikalische Aufgabe des Films

Film-Kurier, 29.10.1930

In musikalischer Hinsicht hat der Tonfilm vier unverkennbare Etappen der Entwicklung durchgemacht. Um so mehr ist es nun mehr billig, eine endgültige Entscheidung über die Verwendung seiner Mittel von ihm zu fordern, damit sein künstlerisches Gepräge in Zukunft eindeutig erkennbar sei.

Der erste Schritt, war die Synchronisation mit Begleitmusik, der zweite brachte die Einbeziehung von Geräuscheffekten in den musikalischen Part, der dritte die besondere Bevorzugung von Gesang und Schlager und deren handlungsmäßige Verknüpfung durch dialogisierten Text, der letzte Schritt schließlich führte zur Verfilmung reinen Dialogs, die sich bewußt völlig frei machte von der Zurhilfenahme irgendwelcher Begleit- oder Untermalungsmusik.

Schon hinreichend oft ist dem Tonfilm die Vorherrschaft des Musikalischen zum künstlerischen Verhängnis geworden. Denn im selben Moment, da an das Ohr zu differenzierte Aufgaben gestellt werden, geraten die optische Gestaltung und die Aufnahmefähigkeit des Auges ins Hintertreffen, und werden die Kompetenzen der künstlerischen Bestandteile des Films unheilvoll verschoben. Auch beim Tonfilm muß der Schwerpunkt der Gestaltung unbedingt im Bildhaften verbleiben, soll nicht aus einer ausschließlichen Augenkunst eine zwitterhafte Künstelei werden!

 

Ernst Jäger über

EINBRECHER

Film-Kurier, 17.12.1930

Dieses Gemisch von sachlicher Romantik und parodistischer Phantasie - Friedrich Hollaender bringt’s zuwege. Mit ansprechender Gebrauchsmusik zur Stelle: wie er aus dem Lautsprecher die Tenniskampfansage im Rezitativ glossiert, wenn er über den Pariser Straßenlärm ein Scherzo schreibt. Keine moderne Geräuschmusik, nein, man bleibt in jedem Musiktakt ehrlich an die Marschroute, an die Tangolinie gebunden. Wieviel Klein-Musikmalerei dabei! Von der Polizeipfeife bis zum Vierröhrenton der Türglocken.

Und natürlich Hollaender-Schlager: »Kind, Dein Mund ist Musik«, »Laß’ mich Deine Carmen sein« - und sogar der alte Preußenschlager wird neu gewendet: »Ich bin ein Fidsche, will ein Fidsche sein«, den bringt Fritsche-Fidsche besonders animiert. In einer der vielen Szenen, in denen das weltentrückte Heitersein des Films vollkommen ist; keine technische Härte erinnert da an »Tonfilm«, »Filmindustrie«. Vor dem Kinoparkett blüht schönes Schein-Leben. So will’s der Film.

Apropos: Tonfilm. Tonmeister Thiery und dem Schnitt des Willy Zeyn jun. sind alle Komplimente zu machen. An allem, was technische Bewältigung in diesem Film heißt, haben sie ihren verdienten Anteil.

 

Los vom Naturalismus.

Probleme der Tonfilmgestaltung VII (über Kurt Weill)

Film-Kurier, 14.1.1931

Musik kann nicht schildern, sondern nur ausdrücken. Daraus folgt, daß im Tonfilm nur da Musik einsetzen sollte, wo die Bewegung aufhört, mithin der Zustand der Ruhe erreicht ist. (...) Weill gliedert die Art der Musikverwendung im Tonfilm zweifach: einmal wie oben angedeutet, eingebettet in die Handlung, als ihre Unterbrechung; eine Form, wie sie in einigen Tonfilmen schon anzutreffen war, etwa in der Liebesparade [The Love Parade, Ernst Lubitsch, 1929] der Morgen einer Frau: sie ist aufgestanden, sitzt, und in diesem bildmäßig eingetretenen Zustand der Ruhe setzt die Musik, nämlich ihr Liedvortrag ein. Natürlich kann die Art der Musik weit über den bloßen Schlager hinausgehen, wesentlich bleibt hier aber, daß diese Musik immer aus den Tatsachen des Bildes selbst erwächst.

Als andere Möglichkeit schwebt ihm die große Musikform vor, eine Vokalmusik, die bildhaft gestaltet wäre, und deren Ablauf ganz von musikalischen Gesetzen beherrscht würde.

 

Im Jahre 1930.

Hochflut der leichten Musik

Film-Kurier, 14.1.1931

1930 hat sich als Jahr der leichten Film-Musik erwiesen. Froh über die Errungenschaft des Tons, hat man zunächst einmal auf die sichere Auswertung der Möglichkeiten durch den Schlager Wert gelegt. Wo es irgend anging, wurde so ein Lied eingeschoben. Gute Zeit für die bewährten Komponisten vom Fach, die nunmehr den bisher herrschenden Illustratoren den Rang streitig machten. Zum ersten Male wird der Weg frei für Michael Krausz, Rudolf Nelson, Willy Rosen, Willi Kollo, Ralph Benatzky. Tauber wird in die Lage versetzt, einen Operettenerfolg, Lehárs »Land des Lächelns« zu verfilmen. Daneben stellten sich die Dirigenten der Uraufführungskinos, die bisher ihre Film-Illustration besorgten, auch auf die neue Gattung ein:

Dr. Becce übernahm die Gesamtleitung für einen Trenker-Film, Paul Dessau arbeitete für die Tauber-Produktion. Auch Schmidt-Gentner stellte sich schnell um. Er lieferte für eine ganze Reihe von Filmen musikalische Beiträge. Ihn übertraf an Filmzahl Artur Guttmann, während Schmidt-Boelcke nur für drei Filme zeichnet. Aber die Quantität muß nicht immer ein Zeichen für Qualität sein. Unter den Komponisten der Schlagermusik steht zahlenmäßig an erster Stelle Robert Stolz mit neun Filmen, darunter ein großer Wurf, wie Zwei Herzen im ¾ Takt. Besonders erfolgreich waren Werner Richard Heymann und Friedrich Hollaender. Hollaender glückte das »Von Kopf bis Fuß«. Heymann hatte gleich zwei Riesenerfolge: Liebeswalzer und, als Steigerung, Drei von der Tankstelle. Außer dem rein Schlagermäßigen hat er mit dem letzten Film den ganzen Genre dieses Operettenfilms durch die Stilisierung des Musikalischen bereichert. Ansätze, die auch in Einbrecher und Ihre Majestät die Liebe angenommen wurde. Ein Musiker, von dem für den tönenden Film noch manches zu erwarten ist, wenn er auch im vergangenen Jahr nicht viel Gelegenheit hatte, sich zu erweisen, ist Mischa Spoliansky. Als Kuriosität seien ein paar Darsteller erwähnt, die als Komponisten zeichneten: Die Ehre der schaffenden Frau verteidigte Betty Amann mit einem Schlager »O alte Burschenherrlichkeit«. Max Hansen steuerte für das Kabinett des Dr. Larifari eine Nummer bei und sein Tenor-Kollege Richard Tauber bestätigte nach Noten »Ich glaub nie mehr an eine Frau«.

Den Versuch, zu einer opernhaften Wirkung zu kommen, macht Phil Braham in dem Kiepura-Film Die singende Stadt. Den gleichen Weg ging mit einer für den Film komponierten Arie Ralph Benatzky im Unsterblichen Lump und Dessau mit dem für Tauber geschriebenen »Dirnenlied«.

 

Georg Herzberg über Heymanns Musik zu

IHRE HOHEIT BEFIEHLT

Film-Kurier, 5.3.1931

Werner R. Heymann hat den Stil seiner Operetten-Musik aufs glücklichste weiterentwickelt. Gut ins Ohr gehende Rhythmen, geschickte Instrumentation, allerliebste Belanglosigkeiten, die zu nichts verpflichten und durch Liebenswürdigkeit bestechen. »Ein bißchen dies, ein bißchen das«. Als Couplet und Step gleich geeignet. Im Mittelpunkt steht der große Walzer »Komm und tanz mit mir«, in der Stimmführung geradezu (Richard) Straußisch.

 

Walter Jerven über

DIE ODER KEINE

Film-Kurier, 27.9.1932

Den Film beherrscht Gitta Alpar. Durch ihre Persönlichkeit verwandelt sich diese Tonfilmoperette in ein Exemplar einer besonderen Gattung.

Man strebt heute nach klarem, neuem, filmischem Stil innerhalb des Gesanglichen und seiner Eroberung fürs optische Reich der Leinwand.

Zur Gattung der Film-Oper und Film-Operette gesellt sich hier eine dritte Art: der Gesangsfilm.

Nicht im banalen Sinne, versteht sich! Nicht weil gesungen (und schön gesungen) wird, ist’s ein Gesangsfilm. (Dann wären es viele andere auch.) Er ist’s deshalb, weil hier die Stimmführung den Grund-Akkord für die Menschen- und Bildführung abgibt. Der Ton ist sozusagen Grundlage des Rhythmischen, des Filmischen.

Wenn die Alpar im Auftakt des Films die große Traviata-Arie singt (und wie singt sie sie; mit welcher noblen Achtung noch der Sechzehntel, die Verdi so wichtig waren!), so gibt’s gar keine photographische Abbildung der Gesangsleistung.

Nichts wird verbildlicht: die Alpar singt! Vielmehr: der Film beginnt!

 

- r. über

DER VETTER AUS DINGSDA

Film-Kurier, 15.9.1934

Ein Lied wandert über die Heide, - da pilgert querfeldein noch ein zweiter Wanderbursch, die beiden Stimmen begegnen sich, - zwei junge Männer tippeln nun gemeinsam durch ein blühendes Land und in den Singfilm von Georg Zoch (Autor und Regisseur).

Ein launiger Auftakt! Gute, weltbekannte Melodien - Meister Künneke schrieb sie. Sentimentalität, die aus Herzensfülle quillt, ohne zu triefen. Behaglich nimmt das Publikum die einfache Lustspielhandlung hin, zwei, drei der Eduard Künnekeschen Weisen tragen die Kinostunden, es kann nicht schief gehen.

»Ich bin nur ein armer Wandergesell ...«, das volkstümliche Lied steht in der Mitte der vielen besungenen Standphotos, die in dem Film wie spanische Wände eingeschoben sind.

 

r.- über

MACH MICH GLÜCKLICH

Film-Kurier, 6.7.1935

Da gegen leere Revuefilme viel gewettert worden ist, sollte »Handlung« zwischen die Girltruppen, mußten »Komiker« zwischen die Revuebilder (auch schon zum 200. Male) gespritzt werden - man nennt das »Auflockern«. (...) Es fällt alles auseinander - - nicht einmal Mackeben hat Musikschwung genug, um originell zu wirken. Er denkt an den »Galapagos«-Schlager und ist damit glücklich, er färbt ein paar ganz nette Situations-Illustrationen (am besten die Römer-Musik in der Atelierszene) - - aber was holt er schon aus dem großen Flügel-Ensemble heraus? Wie dünn ist das Elsterliedchen. Wie rutschen die Paulsen-Parodien ab, die dieser doch stets so bezwingend spielt, hier wird der Regie mehr schuld zu geben sein.


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