... aus dem Geiste der Operette. Materialien zum 10. Internationalen Filmhistorischen Kongreß, Hamburg, 20. - 23. November 1997.
Zusammenfassungen der VorträgeSchizophrene Technik, sinnliches Glück - Synchronisationstechniken im Operettenkino der Stummfilmzeit
Michael Wedel (Berlin/Amsterdam)
Betrachtet man die Entwicklung des deutschen Kinos als einen wandelbaren Prozeß kultureller Aneignungen, so kommt der kontinuierlichen Anziehungskraft der Operette in der deutschen Filmgeschichte besondere Bedeutung zu. Seit den frühesten Tagen der Tonbild-Kinematographie wurden von deutschen Filmproduzenten, Technikern, Komponisten und Regisseuren vielfältige Versuche unternommen, in der Kombination von Bild und Musik, Tanz und Erzählkomik auch im Kino jenes »sinnliche Glück« zu reproduzieren, das laut Volker Klotz für die Erfahrungssphäre der Operette so charakteristisch ist.
Verschiedene technische Verfahren - von den frühen Tonbild-Systemen (ab 1903) und dem einmalig angewandten (und in seiner skurrilen Modernität einzigartigen) Lloyd-Lachmann-Verfahren (1919) zu den dauerhafteren Beck- (ab 1914) und Noto-Film-Systemen (ab 1919/20) - haben hierbei in Deutschland eine Reihe von unterschiedlichen Genres hervorgebracht, die unter Bezeichnungen wie Gesangsfilm und Filmsingspiel, Filmoperette und Operettenfilm die gesamte sogenannte »Stummfilmzeit« durchziehen.
Arthur Maria Rabenalt bezeichnete diese von der Forschung lange vernachlässigten audio-visuellen Erlebniswelten des deutschen Stummfilms zu Recht als einen »bemerkenswerten Markstein in der Geschichte der Unterhaltungsmedien«, bei dem »zum erstenmal ein szenisches Gesamtkunstwerk in seine verschiedenen Ausdrucksmittel - Bild und Ton - aufgespalten (wurde), ein Vorgang der Schizophrenie in der technologischen Entwicklung, der die Phänomenologie der Unterhaltungsmedien noch lange beschäftigen und viele Fragen stellen sollte.«
Einige dieser Fragen sollen in diesem ersten Überblick zur Entwicklung der unterschiedlichen Synchronisationstechniken des deutschen Operettenkinos der Stummfilmzeit im Mittelpunkt stehen: Welches Verständnis vom Kino als Unterhaltungsmedium kam in den angewandten Technologien zum Ausdruck? Welche Überlegungen standen zu verschiedenen Zeitpunkten ihrer Entwicklung im Vordergrund, und inwiefern läßt sich an den historischen Ausprägungen der einzelnen Genres auch der in Deutschland besonders komplizierte Prozeß der Narrativisierung des Kinos ablesen? Wie gestaltete sich das Verhältnis zwischen Filmproduktion (Aufnahmetechnik) und -vorführung (Abspieltechnik), und welche Rolle spielte der Aufführungskontext bei der Herstellung des Kinoerlebnisses? Schließlich: inwiefern läßt sich anhand der technischen und ästhetischen Eigenarten der Stummfilmoperette der 10er und 20er Jahre eine kontinuierliche Entwicklung von der frühen Tonbild-Epoche (1903-1913) zu den populären Tonfilm-Operetten der dreißiger Jahre nachzeichnen?
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