CinErotikon
Sexualität zwischen Aufklärung und Ausbeutung im Weimarer Kino
12. Internationaler Filmhistorischer Kongreß, Hamburg, 4. - 7. November 1999
»Sex & Crime«, das wissen wir aus der Bibel, bewegt als Thema schon immer die Gemüter. Daß allerdings Filme nicht erst seit der vermeintlich liberalen Welle der 60er Jahre freizügiger im Umgang mit Sexualität und Gewalt sind, ist vielen nicht bekannt. Denn möglich war im Kino schon immer, was wirtschaftlichen Erfolg hatte und sich an den Zensoren vorbeischmuggeln ließ, die keineswegs immer so einschneidend und überwachend tätig waren, wie man glauben möchte.
Seit seiner Entstehung haftete dem Kino der Ruch des Jahrmarkt und Rummels an, wurde es der Verderbtheit und sittlichen Gefährdung beschuldigt, brachten konservative Kreise es mit der schrankenlosen Großstadt und zügellosen Ausschweifung in Verbindung. Mit der gesellschaftlichen Zähmung und zunehmenden Akzeptanz in weiten, bürgerlichen Kreisen mußte das Kino neue Wege finden, sich zwischen Sensation und Sittenhaftigkeit, zwischen Kolportage und Kunst zu verorten. Zugleich eröffnete die neuerworbene Freiheit der Weimarer Republik neue Möglichkeiten, reißerische Themen zu vermarkten. Die Verbreitung der Syphilis - vor allem durch heimkehrende Soldaten - und die damit einhergehende Verbindung von Sexualität und lebensbedrohlicher Ansteckung spielte dabei ebenso eine Rolle wie die Faszination für die großstädtische Unterhaltungskultur oder das rein kommerzielle Spekulieren mit scheinbar verruchte Themen.
Asta Nielsen in DIRNENTRAGÖDIE (Bruno Rahn, 1927)
Gleich nach der Revolution schaffte die erste deutsche Republik die staatliche Pflichtzensur ab und Produzenten und Regisseure wie Richard Oswald gingen daran, die Gefahren der Geschlechtskrankheiten und die Zwischenstufen der sexuellen Orientierungen auszuloten, bevor - nicht zuletzt ausgelöst durch diese Welle der Sittenfilme - im Frühjahr 1920 in Berlin die Zensur wieder eingeführt wurde. In diesen 18 Monaten waren die Zuschauer jedoch auf den Geschmack von Filmen gekommen, die mit so suggestiven Titeln wie Am Weibe zerschellt, Das Mädchen aus der Opiumhöhle, Aus eines Mannes Mädchenjahren oder Das Gift im Weibe warben. Dahinter verbargen sich rein spekulative Sensationsgeschichten, die mit der Erwartungshaltung des Publikums spielten, oder aufklärerisch gemeinte Werke, die sich teils um seriöse Information bemühten oder aber in plakative Schaueffekte abglitten und oft beides vereinten. In keinem anderen Genre ist der Grat so schmal, der zwischen Aufklärung und Ausbeutung verläuft, zwischen Kunst auf der einen und Schmutz und Schund auf der anderen Seite.
Nachdem die Zensur die gröbsten Auswüchse dieses wildwuchernden Genres beschnitten hatte, fristeten die Themen ihr Dasein quasi unterirdisch im anderem Gewand: Es gab Melodramen über gefallene Frauen, in Mädchenhändler-Kreisen angesiedelte Kriminalreißer, Dokumentarfilme über Hygiene und Geschlechtskrankheiten und Sozialdramen im Hintertreppen-Milieu. Gerade diese Berliner Hinterhofromantik war es dann auch, die am ehesten den Adelsschlag der Filmkunst erhielt: ob nun in Carl Mayers Trilogie Scherben, Hintertreppe und Sylvester (1921-23), die jedoch besorgt ist, den Kolportage-Ruch hinter sich zu lassen und ihre Entstehungszeit zu transzendieren, oder in Murnaus Abstiegsmythos vom Portier zum Toilettenwärter in Der letzte Mann. Am deutlichsten kommt dieses Bemühen, den »Straßenschmutz« der Sensationspresse als Ausgangsmaterial zu nutzen, dann aber doch entschieden hinter sich zu lassen in Pabsts gefeierten Milieuschilderungen Die freudlose Gasse, Die Büchse der Pandora oder Tagebuch einer Verlorenen zum Ausdruck. Weniger soll es um diese gefeierten Werke der Weimarer Filmkunst gehen, sondern vielmehr um die Schultern, auf denen sie ruhen, die sie jedoch häufig genug verleugnen. Der rauschende Sog des Großstadtlebens zwischen Aufstiegsfantasien und Gossenalpträumen spiegelt sich in einem Genre, das zu den beliebtesten und unterschätzten seiner Zeit gehört.
Kino war von jeher ein exhibitionistiches Medium des Vorzeigens - ein erotisches Medium - und für die Weimarer Republik gilt dies ganz besonders: Plakative Titel wie Das Spiel mit dem Weibe, Frauen, die man oft nicht grüßt oder Tagebuch einer Kokotte wollten zum Kinobesuch verführen, reißerische Poster lockten mit gewagten Szenen, die oft in den Filmen so nicht zu sehen waren, und der Besuch im dunklen Saal selber bot die Möglichkeit zur Kontaktaufnahme. Doch gab es auch die Kehrseite, die Aufklärung in kinematographischer Form: Hygiene der Ehe und Feind im Blut über Gefahren der Geschlechtskrankheiten, Anders als die Andern als Plädoyer für die Gleichberechtigung der Homosexuellen, Cyankali, der zur Reform des Abtreibungsparagraphen 218 aufrief.
Der 12. Internationale Filmhistorische Kongreß läßt die Trennung zwischen Kunst und Kolportage nicht gelten und untersucht Kitsch und Können, Hygiene und Hysterie in den Jahren 1918 bis 1933. Somit wendet sich CineGraph wiederum einem lange vernachlässigten Gebiet zu, das weite kulturelle Kreise in der Weimarer Republik einbezog.
Nähere Informationen bei CineGraph, Gänsemarkt 43, 20354 Hamburg,
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Ansprechpartner: Malte Hagener.
05-Nov-1999