CinErotikon. Materialien zum 12. Internationalen Filmhistorischen Kongreß, Hamburg, 4. - 7. November 1999.

Nieder mit der Zensur!

Arzen von Cserepy

in: Film-Kurier, 23.7.1919


Das neue, freie, revolutionäre Deutschland stöhnt nach Zensur!

Die »Herren«, die wieder in ihre alte Rolle verfallen sind, das Volk »führen« zu müssen, wollen es.

Wirklich?

Nein.

Nur die Mucker, die Pharisäer, die Jägerunterhosler, diese scheußlichen Figuren, die ich mir nur so lebhaft in der Nacht vorstellen kann, im geheimen nach dem Weib herumschleichend. Ekelhaft feig, klein, den Laternenschein vermeidend, dann, doch brutal und restlos kichernd. Die Falschspieler der Moral.

Sie sagen: das Volk bracht die Zensur.

Sie lügen. Haben sie die Masse gefragt?

Wollen sie wieder befehlen?

Das Volk befiehlt ihnen, das Volk bezahlt sie, sie haben dem Volk zu dienen. Das Volk wünscht keine Bevormundung - nur Ordnung. Die Ordnung wird durch Weiberbeine und Kniespitze nicht gefördert. Die Ordnung wird gefördert, wenn sie wieder die Besserwisser, die Amtsdünkler, die Wichtigkeitsfanatiker werden.

Nur Etappenritter und Reklamiertenschnobbs können behaupten, daß das Ausland den erotischen Film ablehnt. Ein halbes Jahrzehnt lang war das geregelte Geschlechtsleben der Menschen durch ein drakonisches, bestialisches »los vom Weibe« gestört. Die Ehelust zu einer Urlaubsgelegenheit erniedrigt. Und diese ausgehungerte Menschheit soll sich entrüsten, wenn sie Sachen sieht.... Unsinn: er sieht gar nichts. Er sieht nur bis zu einem Hundertstel gezeigt das, was Wirklichkeit ist. Eine leise Andeutung dessen, was die Phantasie hundertfach die Wirklichkeit überflügelt. In diesen »Freiheiten kann nur der Heuchler oder geistig Minderwertige einen Moralstank sehen oder der neidische Krämer«.

In Nantes saß ich vor Jahren in einem Tingel-Tangel. Ein Maskenkünstler stand auf der Bühne und in der versoffenen, rauchgeschwängerten Atmosphäre tat er etwas sehr Amüsantes - er charakterisierte in blitzschnellen Umwandlungen die Nationen. [...]

Michel? Der Mann hätte sich nur als deutscher Filmindustrieller präsentieren müssen. Ein Dutzend Vereine, Verband, Dezernat, Hauptstelle, Delegierte, Kartell, Ob-, Zu- und Untermann. Eine Industrie geknebelt mit amtlichem - und Vereinswahnsinn. Jetzt nochmal die höchste Potenz der Bevormundung und feigen Machtbrutalität - und sie ist reif zu der unerhörtesten Pleite, den je eine Industrie in dem sogenannten freiesten Staat der Welt erlebt hat. Man sollte mal den Versuch machen, den wieviel tausendsten Teil der Gesamtheit sich anmaßt - ohne die Gesamtheit zu fragen - die Gesamtheit zu tyrannisieren!

Die Obrigkeit schaltete und verbot. Das Ausland sättigte unterdessen seine Bilder mit starken, ergreifenden, freien Bildern der Realität. Die Obrigkeit kannte die dramatischen Erschütterungen des Alltagslebens nicht, sie verabscheute sie, sie brüllte nach Limonade und Dünkel.

Das Facit? Nicht der deutsche vorrevolutionäre Kunst-Zwang-Film wird im Auslande verkauft, höchstens als Mittel gegen Schlaflosigkeit. Wer hat den Mut zu behaupten, daß unsere freie Kunst im Auslande abgelehnt wird? Wer hat die Dreistigkeit in Abrede zu stellen, daß wir nur ohne Zensur in der Lage sind, die Konkurrenz mit Ländern aufzunehmen, in welchen der Name »Zensur« den freien Bürger zum Lachen reizt. Limonade ist kein Gegengift für pulsierendes Blut.

In Deutschland liegt alles Heil in dem Prinzip der »Führung«. Eine Industrie, wo Kapital, Arbeitnehmer und Arbeitgeber in Zahlen ausgedrückt: Millionen und Abertausende sich auf dem Krachschaffot »führen« läßt. Nein? Ja - sie läßt sie wie einen Schafherde auf die Schlachtbank treiben, weil sie nur Führer hat. Wo bleibt der Wille, die Kraft, der Geist?! Wo ist die große Auflehnung geblieben? Wo ist der Mann, der die Frage gewagt hätte? Wer für ja? Wer für nein? Wo blieb der Ruf nach den Kammerspielen um zu protestieren, die Masse aufzurufen, sie zu fragen: Wollt ihr Zensur?! Die Masse hat allein das Recht darüber zu entscheiden, ob sie sich bevormunden läßt oder nicht, ob ihr die vorgestellte Kost schmeckt oder nicht? Wohin haben sich die Vorsitzenden und Kartelldirektoren verkrochen, samt ihren Geschäftsträgern und Sekretären? Wo ist diese ganze unfähige Führung geblieben. Ah, ja - das Kartell hat zwei Herren nach Weimar entsandt. Als aber ein neuer Verband gegründet werden sollte, da war der Aufruf an die Masse da, da waren Kammerspiel da - da war gleich ein Ausschuß da.

Zum Teufel! Weg mit diesen Neugründern.

Wir brauchen keine parlamentarischen Debattenleiter, keine Abgeordneten, die nicht in unserem Interesse brüllen können. Wir brauchen den Mann, der den tausendsten Ausschuß zusammenruft und die Millionen in weißen Zetteln für ja, die roten für nein in den Theatern von dem Publikum sammelt. Das brauchen wir.


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