CinErotikon. Materialien zum 12. Internationalen Filmhistorischen Kongreß, Hamburg, 4. - 7. November 1999.

Die Filmindustrie gegen den Schundfilm

Direktor Hermann Rosenfeld

in: Film-Kurier, Nr. 11, 13.1.1921

Herr Direktor Rosenfeld von der Decla-Bioscop übersendet uns beifolgenden Aufsatz, dem wir auf Grund seines außerordentlich beachtenswerten Inhalts gern Raum in unserem Blatt gewähren.

In Ihrer Nummer von 10. d. M. veröffentlichen Sie einen Beschluß der Lichtspiel-Theaterbesitzer, den weder die deutschen Fabrikanten noch die Filmverleiher im Interesse des Ansehens der gesamten Industrie unwidersprochen lassen dürfen. Wenn uns die Herren Lichtspiel-Theaterbesitzer auffordern, keine Filme mit Titeln und Inhalt in den Handel zu bringen, die geeignet sind, den Gegnern des Gewerbes erneut Material gegen das Lichtspiel-Gewerbe zu liefern, so bleibt es mir unverständlich, um ein paar prägnante Beispiele aus meiner eigenen Praxis anzuführen, daß ein Theaterbesitzer in der Provinz den Film »Genuine«, den wir, einer neuen Kunst dienend, in dieser Saison hergestellt und vertrieben haben, mit einem Titel »Die Mann-essende Tigerin«, »In verruchten Blutgelüsten hochgezogen« annoncieren darf. Ein zweites ebenso eklatantes Beispiel ist unser Film »Die Tophar-Mumie«, den wieder ein anderer Theaterbesitzer mit dem Untertitel: »Das rätselhafte Verschwinden einer Pariser Kokotte« anpries. Einem ernsthaften Fabrikanten oder Verleiher würde es bei dem heutigen Stande der Kinematographie niemals beifallen, derartige Filmtitel einem Theaterbesitzer anzubieten, Titel, die an die geschmacklosesten Auswüchse einer Schund- und Hintertreppenliteratur-Periode gemahnen. Die beiden Konzerne Ufa sowohl wie Decla-Bioscop sind in der diesjährigen Saison bestrebt gewesen, das Niveau des Filmes künstlerisch zu heben, und die Presse wie auch das Publikum in den größeren Provinzstädten noch haben dieses Bestreben restlos anerkannt. Selbstverständlich ist es, daß bei einer derartigen Neuorientierung im Filmstil nicht jedes Bild bei der großen Menge gleich einen so durchschlagenden Erfolg haben kann wie der gewohnte Detektiv- oder Abenteurerschlager. Wenn aber die Großfabrikation versucht, veredelnd auf die Instinkte der großen Menge einzuwirken, so darf selbstverständlich der Lichtspiel-Theaterbesitzer diesen Bestrebungen nicht so in den Rücken fallen, wie es die beiden oben angeführten Beispiele beweisen. Eine Rundfrage bei anderen Fabrikanten und Verleihern würde ohne Zweifel mit Sicherheit ergeben, daß diese Fälle nicht vereinzelt dastehen, sondern eher die Regel bilden. Der Vorwurf, den die Theaterbesitzer somit gegen uns zu erheben versuchen, fällt ohne weiteres auf viele ihrer Kollegen zurück.

Wenn wir in Zukunft nun unsere künstlerischen Bestrebungen im Film wieder etwas mehr eindämmen werden, so müssen wir dies einem Zwange folgend tun. Wir haben aus der diesjährigen Saison gelernt, daß wir mit unseren Bestrebungen nicht so schnell voraneilen dürfen, wie wir dies gerne tun würden, um den immer schärfer auftretenden Forderungen des heutigen Lichtspiel-Gesetzes völlig gerecht zu werden. Sind wir nun gezwungen, wieder mehr volkstümliche Kunst zu pflegen, so werden wir jedoch nichts unversucht lassen, um auch diese volkstümlichen Sujets in künstlerischer Hinsicht zu heben. Wir werden nie wieder zu dem sogenannten Schundfilm zurückkehren und eine Verfeinerung des Geschmackes des Publikums wird uns bei dem allenthalben verbreiteten jetzigen Drang zum Luxus ohne weiteres gelingen. Wir werden demnach den Sieg nicht so sehr über den szenischen Kunststil wie über den dramatischen Stil erreichen. Um mich durch ein Beispiel verständlich zu machen: Der Detektivfilm der Zukunft wird im Verhältnis zu dem der Vergangenheit sich verhalten wie ein Detektivroman von Conan Doyle zu einem Nick Carter-Heft. Abenteurerfilme im Jules Verneschen Stil werden vermöge ihrer Phantastik und der technischen Möglichkeiten der heutigen Inszenierung fraglos den Beifall der ganz großen Menge finden. Dasselbe wäre vom rein dramatischen Spielfilm zu sagen, der die Spannung des Zuschauers vom ersten bis zum letzten Akt ununterbrochen wachhält. Die Decla-Bioscop zum mindesten hat sich die Erfahrungen der zu Ende gehenden Saison dienen lassen und für die kommende Saison bereits ein Programm aufgestellt, das in erster Linie das Unterhaltungsbedürfnis des Publikums im Rahmen einer vorbildlichen Ausstattung befriedigen wird.
Wenn die Industrie, um solchen von allen Seiten gesteigerten Ansprüchen zu genügen, in ihrem Ausgabeetat durch die Verhältnisse zu immer größeren Aufwendungen gezwungen wird, wenn Löhne, Gehälter und Gagen für alle beim Film Tätigen, vom Hausdiener angefangen, Lageristen und Buchhalter, Stenotypistinnen und Disponent, vom Theaterarbeiter bis Tischler und Schlosser, vom gewöhnlichen Komparsen bis zum Star, auf Grund der allgemeinen Verhältnisse in ihrer Gesamtheit schwindelhafte Summen erreichen, so ist es unverständlich, wie der Verband der Lichtspiel-Theaterbesitzer als eine Körperschaft durch ihre Delegierten an uns mit der Aufforderung herantreten konnte, die Leihpreise, gar noch rückwirkend, zu ermäßigen. Selbstverständlich sind wir zu einem einsichtsvollen Entgegenkommen bereit. Für meinen Konzern kann ich ohne weiteres die Erklärung abgeben, daß wir von Fall zu Fall in eine Prüfung etwaiger besonders ungünstiger Verhältnisse eintreten wollen und dort helfend einzugreifen gewillt sind, wo eine wirkliche Überlastung des Theaterbesitzers Platz gegriffen hat. Es ist aber unmöglich, solche einzelne Fälle zu verallgemeinern und der nicht auf Rosen gebetteten Industrie zuzumuten, zu ihren eigenen Sorgen sich auch die des gesamten Lichtspielgewerbes aufzuladen.

Wir haben das elementare Interesse daran, unserem Kunden den Rücken zu stärken und ihm das Geschäft zu ermöglichen, denn wir leben von ihm. Schon dieser Umstand sollte jedem Einsichtigen deutlich zeigen, daß eine Verständigung überall da erzielt werden muß, wo die Not es gebietet. Es ist aber, wie erwähnt, ein Ding der Unmöglichkeit, alle Lasten auf die Industrie abzuwälzen. Die Industrie muß lebensfähig erhalten bleiben, denn sie gibt heute in Deutschland Hunderttausenden Arbeit und Brot, und mag auch durch das Bekanntwerden einzelner Riesengagen ein gewisser Neid berechtigt sein, so ändert dieses das Gesamtbild in keiner Weise. An diesen Einzelfällen sind ebensosehr einige Lichtspiel-Theaterbesitzer schuld wie an der Titelmisere, denn diese sind es, die sich auf die Starnamen kaprizieren und auf diese Weise wiederum einen Zwang auf Verleiher und Fabrikanten ausüben. Wir würden selbst die Preise - wenn es uns möglich wäre - gern herabsetzen; solange aber die Teuerung eine derart exorbitante ist, ist an ein Abbauen der Unkosten, und damit auch an ein Abflauen der Einzelpreise leider nicht zu denken.


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