Reihe CineGraph Buch

Wolfgang Jacobsen, Heike Klapdor: Merhameh. Karl Mays schöne Spionin. Ein Dialog über die Autorin Marie Luise Droop
In: Jörg Schöning (Hg.): Triviale Tropen. Exotische Reise- und Abenteuerfilme aus Deutschland 1919 - 1939

Recherche 6: Bewegte und bewegende Szenen

B: Am 30. März 1920 wird vor dem Notar und Justizrat Jacques Wilmersdorfer im Berliner Kammergericht eine neue Filmfirma eingetragen. Erschienen sind - im Namen von 15 Kommanditisten - Dr. Adolf Droop und seine Frau Marie Luise, der türkische Regisseur Ertugrul Mousshin-Bey, der Kaufmann Johann Friedrich Knevels und der Verlagsdirektor Dr. Euchar Schmid aus Radebeul, Leiter des Karl-May-Verlags. Der Name der Firma: Ustad-Film, Dr. Droop & Co.

A: Der Effendi Kara ben Nemsi und sein alter ego Halef reiten wieder einmal ins Exotische hinaus. Die abenteuerliche Exkursion ins "Reich des Silbernen Löwen" beginnt im persischen Hochland, und hinter einer Schlucht liegt, umrahmt von hohen Bergen, das geheimnisvolle Tal der Dschamikun. Hier herrscht der Ustad als Meister, der es liebt, "in Bildern zu sprechen. Wer ihn verstehen wollte, hatte nachzudenken". 66

B: Erdacht während der ersten realen Orientreise 1899-1900 des 60jährigen, geschrieben in Riva am Garda See und erschienen 1902-03, gelten die vier Bände des Romans "Im Reich des Silbernen Löwen" als erstes der symbolischen Alterswerke Karl Mays und als "größtes formales Kunst-Stück, das Hauptwerk schlechthin", als

A: "Schritt (...) aus dem erfolgreich visitierten Gelände der Parterre-Literatur (...) über die Grenze der großen Dichtung." 67

B: Ab da läßt ihn auch Arno Schmidt gelten; und nicht nur er und die Karl May-Forschung, sondern schon Droop liest 1909 den "Silbernen Löwen" als Reaktion auf die Anfeindungen und den Prozeß und - um im Bilde zu bleiben - als Abrechnung mit dem Erzfeind Hermann Cardauns, dem bourgeoisen Beckmesser der "Kölnischen Volkszeitung", der "die Produkte phantastischen Schaffens mit dem Reisepaß nachprüft(e)". 68

A: "May als Kara ben Nemsi besucht May, den Ustad," 69 das "Abbild Mays als des von der Weisheit und Ethik des Orients erfüllten Denker-Schriftstellers", die "Dschamikun endlich sind die von Ustad-May geistig beeinflußten Leser, die Maygemeinde." 70

B: "Du, o Ustad, Du Unbekannter, Du, der Du dem Auserwählten von Chaldäa gleichst ..." 71

A: ..., die Taki-Kurden und ihr Scheik sind die katholische Kirche, und schlußendlich stürzen am Ende mit der grandiosen Tempelruine nicht nur die Kirchen, sondern auch die Gefängnismauern der frühen Jahre ein.
Folgte uns Arno Schmidt von oben herab aus den ewigen Jagdgründen, sein Herz schlüge höher, denn: was hat es auf sich mit dem Phänomen, das Karl Mays "Orient (...) der Frau (gehört)"?
72 Und kann man die These aufrechterhalten, Karl Mays erste Frau Emma sei das Vorbild gewesen?

B: "Ich teilte mir die Erde für diese meine besonderen Zwecke in zwei Hälften, in eine amerikanische und eine asiatisch-afrikanische. (...) In Amerika sollte eine männliche und in Asien eine weibliche Gestalt das Ideal bilden, an denen meine Leser ihr ethisches Wollen emporzuranken hätten. Die eine ist mein Winnetou, die andere Marah Durimeh geworden." 73

A: Mara Durimeh. MD. Marie Luise Droop! Seine Merhameh, die ihm "im lieben Einverständnis zuzwinkert" 74

B: und ihn wiederum im "Maharadscha"-Roman zitieren wird: "Gul" heißt dort die Heldin Engelen als Frau des Maharadschas, wie "Gul-in-Schiras", eine der Frauenfiguren im "Silbernen Löwen".

A: Zurück zur Ustad-Filmfirma: "Die Ustad-Film beabsichtigt, in jedem Geschäftsjahr fünf Karl-May-Filme zu drehen und im ersten Jahr außerdem noch drei Stoffe nach Vorlagen von Frau Droop zu verfilmen." 75

B: Ein ehrgeiziges, zu ehrgeiziges Unterfangen. Die Geschäftsräume der neuen Gesellschaft befinden sich in der Friedrichstraße 233, nahe dem Belle-Alliance-Platz. Zu den weiteren Mitarbeitern gehören der Kaufmann Richard Draehmert und als sogenannte künstlerische Beiräte der Maler und Bildhauer Professor Sascha Schneider, der die Karl May-Bände mit jenen jugendstil-mystischen Titelbildern ausgestattet hatte. Er war vermutlich verantwortlich für den Entwurf des markigen Firmensignets, ein spitzer Keil in der Faust eines muskulösen und waagerecht ausgestreckten Arms. Hinzu kommen Geheimrat Lehrs, Direktor der Dresdner Gemäldegalerie, und Professor Wilhelm Kreis, Präsident der Kunstakademie in Düsseldorf. Wichtigstes Kapital, aus dem man Kapital schlagen will: das alleinige Verfilmungsrecht an den Werken Karl Mays.

A: Doch auch andere Firmen haben längst das Potential zur Verfilmung in Mays Romanen entdeckt. Die William Kahn Film-Gesellschaft hatte bereits vor Gründung der Ustad Filme nach Mays Vorlagen angekündigt und sieht sich nun in einen Prozeß mit der Ustad verwickelt, die das alleinige Verfilmungsrecht beansprucht und sich dabei auf einen Vertrag mit dem Karl-May-Verlag beruft. Durch das erste Halbjahr 1920 zieht sich der Streit, der in der Fachpresse in meist nur kurzen Notierungen dokumentiert ist. Am 10. März 1920 steht der erste Termin vor dem Berliner Landgericht an. Vorwurf an die Kahn GmbH:

B: Verletzung des Urheberrechts, Verletzung der Namens- und Firmenrechte des Karl-May-Verlags und Verstoß gegen das Gesetz über den unlauteren Wettbewerb.

A: Die gegnerische Partei reklamiert dagegen,

B: "daß sie niemals die Verfilmung der Romane Karl Mays angekündigt hat, (...), sondern nur eine freie Bearbeitung der Motive von Karl Mayschen Romanen", 76

A: eine Argumentation, der letztlich auch das Gericht folgen wird, obwohl sich auch der Verband deutscher Filmautoren, der Verband deutscher Bühnenautoren und Bühnenkomponisten und der Schutzverband deutscher Schriftsteller auf die Seite der Kläger gestellt hatten. Die William Kahn-Gesellschaft wehrt sich, erhebt

B: "den schärfsten Vorwurf gegen das so dokumentierte Vorgehen der drei genannten Verbände. Sogar bei einem Lynchgericht im wilden Westen ist es Brauch, daß der Angeklagte wenigstens sich verteidigen darf, ehe er in ein besseres Jenseits befördert wird. Die drei Verbände haben bei dem geistigen Lynchgericht, das sie vollzogen, noch nicht einmal diese Formalität für nötig befunden!" 77

A: Und als schließlich im Mai die Klage kostenpflichtig abgewiesen wird, kommentiert die Kahn GmbH, daß

B: "wir uns mit der einzigen Antwort begnügen (werden), die wir unserer für würdig erachten. Diese Antwort besteht in der Erklärung, daß wir ungeachtet der zu unseren Gunsten sprechenden Rechtslage nunmehr freiwillig darauf verzichten, irgend welche frei nach Karl May'schen Motiven bearbeitete Filmwerke herauszubringen." 78

A: Unterdessen haben die Monopolisten der Ustad das Terrain abgesteckt und ihr Programm angekündigt. Danach soll die erste Serie folgende Verfilmungen beinhalten:

B: "1. Vom Stamme der Verfluchten. 2. Auf den Trümmern des Paradieses. 3. Bei den Teufelsanbetern. 4. Die Todeskarawane. 5. Old Shatterhand. Ferner werden folgende Reiseromane für den Film vorbereitet: Durch die Wüste / In den Schluchten des Balkan / Winnetou / Old Surehand / Im Lande des Mahdi / Satan und Ischariot / Der Schatz im Silbersee / Das Vermächtnis des Inka." 79

A: "Demnächst soll eine Expedition unter der Leitung von Ertogrul Musshin-Bey (...) nach der Türkei gehen, um an Ort und Stelle Landschaftsaufnahmen größten Stiles zu machen. Die Aufnahmen in den Vereinigten Staaten werden in Zusammenarbeit mit einer der bedeutendsten amerikanischen Firmen vorbereitet. Für die Verkörperung der Idealfigur Winnetous (...) soll ein Vertreter der studierenden indianischen Jugend gewonnen werden, um einen der Lieblingsgedanken Mays, das zukunftfrohe Wiederaufblühen erloschen scheinender Völker anzudeuten." 80

B: Die Werbeabteilung der Ustad ist nicht untätig; Marie Luise Droop lanciert die Meldungen. Dreharbeiten beginnen. Ihre Bücher dienen als Vorlage. Nahezu zeitgleich beginnen die Dreharbeiten zu drei Filmen; davon zwei nach Vorlagen von Karl May, DIE TODESKARAWANE und AUF DEN TRÜMMERN DES PARADIESES. Doch der erste Film, der Premiere haben wird, basiert nicht auf Karl May, sondern ist ein historisches Sujet und spielt in den Niederlanden des Jahres 1672, zur Zeit der Religions- und Verfassungskämpfe: DAS FEST DER SCHWARZEN TULPE. Buch und Regie: Marie Luise Droop. Sie nennt ihren Film

A: "einen historischen Roman, der nicht historisch sein will", 81

B: und orientiert sich an literarischen Vorbildern. Goethes "Egmont" gibt die Folie für ihren Film, der das historische Drama um Glaubensfreiheit mit den Mitteln der Kolportage und wohl, wenn man den zeitgenössischen Rezensionen glaubt, einem gehörigen Hang zu nationalem Sentiment nacherzählt. Lothar Knud Fredrik schreibt am 16. September 1920, einen Tag nach der Pressevorführung in der berliner Schauburg, im "Film-Kurier", daß der Film zwar "kein historischer Roman" sein will, "bestimmt (aber) ein kulturpolitisches Dokument":

A: "Der Film als Ausdrucksmittel unserer Zeit, Frau Droop als die Prophetin. Der Vergleich hinkt, ich weiß. Es soll auch keiner sein. Das wäre Anmaßung: es wird wohl - trotz aller Vorzüge und auch trotz allen gedanklichen Reichtums! für die ,Schwarze Tulpe' kein Beethoven erstehen. Es soll lediglich eine Parallele sein. Erlaubt?" 82

B: Szenenanweisung, Fünfter Aufzug, "Egmont", ein Trauerspiel. Dem sterbenden Helden erscheint "die Freiheit in himmlischem Gewande". In Droops Film ist das - nach der Kritik in "Der Kinematograph" - so übersetzt. Der Held, Adrian, schmachtet im Kerker:

A: "In der Nacht vor der Hinrichtung läßt sich ihm seine Braut, Marion de Tilly, (...) antrauen. (...) Adrian, der ein fanatischer Tulpenzüchter ist (hier spielt geschickt der Tulpentaumel hinein, der um jene Zeit weite Kreise in Holland im Bann hielt), schmückt sein junges Weib mit einem Kranz von schwarzen Tulpen, deren Züchtung ihm allein geglückt ist und die im Kerker erblühten. Als Marion am nächsten Tage mit dem Kranz von schwarzen Tulpen im Haar Adrian zum Schafott geleiten will, glaubt das Volk, ein Wunder zu erblicken und Adrian wird begnadigt." 83

B: Goethes Egmont: "Schreitet durch! Braves Volk! Die Siegesgöttin führt dich an! Und wie das Meer durch eure Dämme bricht, so brecht, so reißt den Wall der Tyrannei zusammen, und schwemmt ersäufend sie von ihrem Grunde, den sie sich anmaßt, weg." 84

A: Bei Droop ist es eine Zeile von Horaz, die den politischen Leitfaden vorgibt: "Volk ist eine Gemeinschaft von Menschen, die sich achten, weil sie sich achten können. Alles übrige ist Pöbel!"

B: Tendenz: national. Deutschnational.

A: "Wie könnte es das sein, da es ja gar nicht in Deutschland spielt, sondern in Holland! ... Aber es ist national, national im edelsten Sinne. Nicht nationalistisch." 85

B: Erlebtes und Erträumtes in sechs Akten. AUF DEN TRÜMMERN DES PARADIESES nach der Reiseerzählung "Von Bagdad nach Stambul" ist der dritte Film der Ustad, der zweite Film der angekündigten Karl May-Serie, der aber vor dem ersten Projekt DIE TODESKARAWANE zur Uraufführung kommt.

A: "Kara ben Nemsi, der deutsche Weltfahrer, durchzieht mit seinem getreuen Diener Hadschi Halef Omar den Orient, diese Wunderwelt auch seelischer Phantastik. Ermüdet von langem Ritt, sucht er eine Höhle auf, um auszuruhen. Aber kein erquickender Schlaf ist es, der ihn übermannt, er sieht in einem langen schweren Traum Marah Durimeh, die Schutzfee der leidenden Menschheit, erscheinen." 86

B: Wieder ein Drehbuch von Marie Luise Droop, das

A: "einen Überblick über die Geschichte des Islam (gibt), mit dem Höhepunkt der Ermordung Husseins, des letzten Enkels Mohammeds. (...) Die Handlung führt auf die Trümmerstätte des Turms von Babel." 87

B: Es verweben sich im Film eine Abenteuerhandlung nach dem Kapitel "Der Überfall" aus Mays Roman "Von Bagdad nach Stambul" - Kara ben Nemsi eilt einer von Kurden überfallenen persischen Reisegesellschaft zu Hilfe -, die Erzählung eines der Geretteten und ein Traum, den Kara ben Nemsi hat und in dem

A: "Marah Durimeh (...) ihn, wie eine Ahnfrau des Menschengeschicks, durch einen mystischen Kristall in die Tiefen der morgenländischen Geschichte, in die Anfangszeiten der mohammedanischen Religion zurückblicken (läßt)." 88 Es geht um die Kämpfe zwischen den Fatimiden und Ommejaden, den rechtmäßigen und unrechtmäßigen Nachfolgern des Propheten Mohammed.

B: "Ich muß (...) hinzufügen, daß ich seit 1914 (...) mit meinem Mann am Orientalischen Seminar die türkische Sprache studierte und bei einem der bedeutendsten arabischen Gelehrten in den Islam und die arabische Sprache eingeführt wurde. Wir gehörten damals dem Vorstand der deutsch-türkischen Vereinigung an und waren ehrenamtliche Pfleger der in Deutschland sich aufhaltenden türkischen Schüler und Schülerinnen, sowie der Junghandwerker. Wir waren beide Mitarbeiter der ,Welt des Islam'." 89

A: Der Film wird am 8. Oktober 1920 in den dresdner Kammerspielen uraufgeführt und hat am 5. November seine berliner Premiere im Filmtheater im Motivhaus in der Hardenbergstraße. Der Kritiker des sozialdemokratischen "Vorwärts" schreibt, daß

B: "sogar die Verbildlichung eines hochgelegenen gedanklichen Elements, das an Menschheitsphilosophisches rührt, versucht wurde". 90

A: Der Rezensent der Besprechung zur dresdner Uraufführung konnte sich mit der dramaturgischen Verschachtelung der Filmhandlungen nicht anfreunden:

B: "Drei Handlungen laufen nebeneinander. 2 Akte Traum, 1 Akt Erzählung, 4 Akte Handlung. Um diesen Film richtig zu verstehen, muß man unbedingt die Beschreibung gelesen haben. (...) Das Ganze macht den Eindruck einer schönen Frau ohne Seele. (...) Besonderer Dank gebührt Direktor Pfotenhauer von den Kammerlichtspielen, der als bekannter Fachmann helfend eingriff, indem er die recht oft unverständliche Handlung durch Einschieben von Titeln dem großen Publikum wenigstens etwas näher brachte und den Schluß umstellte. Unmögliches war natürlich auch ihm nicht möglich, der Film hat keinen Schluß." 91

A: Was wiederum daran lag, daß der eigentlich als erster Film der Karl May-Serie geplante DIE TODESKARAWANE erst sehr viel später in Produktion ging - Drehbeginn war der 4. Oktober - und zudem mit einem von Erwin Baron veränderten Drehbuch, das wohl stark von Droops erstem Entwurf abwich, so daß DIE TODESKARAWANE nun als Fortsetzung von AUF DEN TRÜMMERN DES PARADIESES konzipiert war. Kara ben Nemsi erkennt am Ende des Films, daß die Gefahr für den geretteten Prinzen noch nicht vorüber, daß sein Leben von Verrätern bedroht ist, und

B: "rät daher zum raschesten Aufbruch und die Karawane des Prinzen eilt in die Wüste hinaus, um den Ereignissen der TODESKARAWANE (...) entgegenzureiten. Denn wie der Sensenreiter auf den Trümmern des Paradieses den ersten rechtmäßigen Kalifen dahingerafft hat, so hält er in der TODESKARAWANE seiner Anhängerschaft noch nach zwölf Jahrhunderten die unerbittliche Weiterernte; im Gegensatz zu der vom Lichte des Heiles umflossenen Mara Durimeh, die bei besonderen Schützlingen wie Kara ben Nemsi seine Macht brechen und an dem ihr aus Totengebeinen bereiteten Thron den Kristall der Läuterung aufleuchten lassen kann." 92

A: Droops Konzept einer adäquaten May-Adaption, die dessen exotisierte Bilderwelt als Folie wohl ernst nahm, aber darüber hinaus Mays mythisches, quasi-philosophisches Wunschdenken nach Harmonie, Menschlichkeit und einer lichten Welt dem großen Publikum auch nahebringen wollte, scheint gescheitert. Die komplizierte Erzählstruktur dreier Ebenen war filmisch nicht bewältigt.

B: "Das Manuskript scheint (...) aus dem Wust des Stoffes nicht gerade glücklich zusammengestellt zu sein." 93

A: Der Maysche Dualismus, die Welt als Kerker und die Sehnsucht nach Licht, die dialektischen Gegensätze des gelebten Ardistan und des geträumten Dschinnistan, eine Utopie, die auch Marie Luise Droop ein Leben lang so empfand, lebte und beschrieb, blieben dem Publikum fremd, waren als Film schlicht nicht verkäuflich. Was May literarisch gelang,

B: "das statische Bild der noch verborgenen Identität des Menscheninneren in die Geschichte seiner Geschichten (aufzulösen), die alle eines gemeinsam haben: sie repräsentieren und überholen die Zeit, in der sie entstanden, denn es sind Zeugnisse eines zielhaften, nicht ablenkbaren Fabulierens auf Freiheit hin", 94

A: blieb Marie Luise Droop mit ihren schriftstellerischen Versuchen und Drehbüchern versagt. Sie blieb im epigonenhaften Nacheifern stecken, verpflichtet einer moralischen, unterhaltenden, harmonischen und zunehmend nationaler, nationalistischer argumentierenden Literatur der "Gartenlaube", pädagogischer Impetus versus literarischer Qualität, reformerischer Eifer versus fantasievollem Fabulieren. Eine poetologische Programmatik, die nichts mit Mays antibürgerlichen Sehnsüchten gemein hatte, sondern immer verknüpft war mit einer gesellschaftspolitischen Realität und sich ihr anpaßte.

B: So ist DIE TODESKARAWANE zwar kein Film Marie Luise Droops, wenn wohl auch noch Grundelemente ihres Manuskripts im endgültigen Drehbuch erhalten geblieben sind. Ein Drehbericht im "Vorwärts" gibt einen Eindruck vom Film:

A: "Johannisthaler Flugplatz. Große Sachen sind dort im Werden: Filme, die vielleicht altem Volkserzieherstreit Anlaß geben, früher Verfochtenes nachzuprüfen und in so neuer Beleuchtung zu sehen, daß etliches von altem Haß begraben werden kann. (...) Ganz außerhalb des Exotischen gestellt, wird er als eine Probe auf die Psyche des Kinopublikums wirken. Seine bewegende Kraft ist der Glaubensfanatismus und kein Aufwand wird jetzt gescheut, sein orientalisches Milieu in Land und Volk echt zu geben. (...) Man sah dieser Tage dort eine tiefe, baulich erstaunlich gut gelungene Basarstraße, aus der Atelierhalle wundervoll ins Freilicht des Flugplatzes hinauswachsend, als Schauplatz buntesten Treibens, wimmelnd von Menschen und Tieren. (...) Szenen einer Wallfahrt nach Kerbela entwickeln sich aus dieser Straße, bewältigt von starken schauspielerischen Kräften." 95

B: Die Pressevorführung findet am 16. November in der hamburger Schauburg statt, getrübt durch das Ungeschick eines "technisch nicht vorgebildeten Vorführers", wie es in "Der Kinematograph" heißt. 96

A: Margot Meyer, hamburger Korrespondentin des "Film-Kurier", berichtet ausführlicher von der Vorführung:

B: "Ich habe weder den ersten Teil (...) gesehen noch das Buch Karl Mays (...) gelesen. Vielleicht erklärt sich daraus der Eindruck anstrengender Unverständlichkeit, den ich zunächst von dem Filmwerk hatte. (...) Der Film hat Stimmungen von zarter, ergreifender Schönheit und Augenblicke köstlicher, gedankengetragener Bildstärke, aber die Stimmungen verweben sich nicht zur einen, allumfassenden, und die Augenblicke bauen keine Zusammenhänge für ein großes, ganzes Erlebnis. (...) Die fremden Namen, die fremdgekleideten Gestalten, die fremden Gebräuche wirbeln durcheinander, und wundervoll bleibt stets nur das im Gedächtnis haftende Wort der ,Seele der Menschheit': ,Du wirst den Weg des Todes wandern und der Leiden, und Deinem Herzen wird der Menschheit Seele sich entkleiden.'" 97

A: Die Filme sind keine finanziellen Erfolge; auch der Zuspruch der Filmkritik hält sich in Grenzen. Die Ustad hat sich verspekuliert. Auch eine weitere May-Adaption, DIE TEUFELSANBETER, Regie: Ertugrul Musshin-Bey, Premiere angeblich am 21. Oktober 1920, ohne daß sich bislang ein Premierenbericht nachweisen ließe, ist kein Erfolg. Trotz großer Vorausreklame. Unter dem Titel "Die Teufelsanbeter in Berlin" erscheint ein Drehbericht, der Glosse sein will, auf der Titelseite des "Film-Kurier". Über den Regisseur heißt es:

B: "Allerdings muß zugegeben werden, daß die Beherrschung eines halbwilden, afrikanischen Nomadenstammes mancherlei ungewöhnliche Sorgen mit sich bringt. Die Dromedare sind ja in genügender Zahl da und auch die echten Araberhengste kann man aus dem Tattersall des Westens beschaffen. Aber mit den Jaguaren ist das so'ne Sache, die kleinen Löwen werden von den Damen, die sie ,einfach süß' finden, zu sehr verhätschelt (sie werden sich noch den Magen verderben an der vielen Schokolade), und von den Klapperschlangen wollen wir überhaupt schweigen ... Oben reitet eine türkische Kavallerieabteilung im vollen Trab in die kleine Wüstenoase ein. Das riesige blau goldene Portal der Moschee öffnet sich, eine knallbunte, disputierende, streitende, schreiende, verknäulte Masse von orientalischen Gestalten strömt heraus ... Die Betonwände des immensen Jofa-Glashauses lassen die Huftritte der Pferde widerhallen ..." 98

A: Ab Sommer 1921 existiert die Firma nur noch formell, sie geht in Liquidation. Für Marie Luise Droop, nun auch hoch verschuldet, beginnt ein neuer Lebensabschnitt.

[Zur Recherche 7]