Transatlantische Verleih- und Produktionsstrategien eines Hollywood-Studios in den 20er und 30er Jahren.
Materialien zum 13. Internationalen Filmhistorischen Kongreß, Hamburg,
16. - 18. November 2000.
Im Westen nichts Neues
Sinclair Lewis zum Remarquefilm:
Reichstagsdebatte um Remarque.
S.P.D.-Antrag auf Aufhebung des Verbotes.
Der starke Protest, auch in den eigenen Reihen, wegen der Ablehnung des kommunistischen Remarque-Antrags im Haushaltsausschuß hat die S.P.D. veranlaßt, einen offensichtlichen Fehler, der schwere psychologische Folgen haben würde, zu korrigieren. Die sozialdemokratische Fraktion hat im Reichstag nunmehr folgenden Antrag eingebracht, der die Aufhebung des Remarque-Verbotes zum Ziele hat.
"Der Reichstag hält das Verbot des Films IM WESTEN NICHTS NEUES sachlich für nicht begründet. Er erwartet von der Reichsregierung, daß diese alle Vorbereitungen trifft, um die Prüfung des Bildstreifens zu beschleunigen, wenn dieser durch den Hersteller erneut vorgelegt wird.
Ferner: der § 2 des Lichtspielgesetzes erhält folgende Fassung: Bildstreifen gegen deren unbeschränkte Vorführung Versagungsgründe aus § 1 vorliegen, sind zur Vorführung vor bestimmten Personenekreisen oder unter beschränkenden Vorführungsbedingungen zuzulassen."
Im Reichstagsplenum gab es gestern bei der Kulturdebatte auch einen heftigen Kampf um das Für und Wider des Remarque-Verbotes.
Der sozialdemokratische Abgeordnete Schreck-Bielefeld führte folgendes aus:
"Auf das schärfste verurteilen wir auch das Verbot des Films IM WESTEN NICHTS NEUES. Wir können uns des Verdachtes nicht erwehren, daß diese Kammer der Oberprüfstelle nicht ordnungsgemäß zusammengesetzt war. Die Presse hat man nicht zugelassen, weil sie angeblich über die Verhandlung vor der ersten Kammer nicht objektiv berichtet habe! In Wahrheit ist das Verbot eine Verbeugung vor dem Gassenterror, gegen den die Staatsgewalt sich nicht durchgesetzt hat. Man behauptet, daß der Film das deutsche Ansehen schädige, aber wohl niemals ist durch einen Film das deutsche Ansehen so geschädigt worden, wie durch dieses Verbot. (Sehr wahr!) Himmelsstöße hat es in allen Armeen gegeben, nicht nur in der deutschen.
In seiner großzügigen Anlage und seiner nackten Wahrhaftigkeit kann aber dieser Film nur Sympathien für die deutschen Weltkriegssoldaten im Auslande werben. Man hat daran Anstoß genommen, daß junge Soldaten die Nerven verlieren, zu weinen anfangen und nach der Mutter rufen. Wer sich darüber entrüstet, der weiß entweder nicht, daß solche Äußerungen der Angst und des Schreckens auch im bürgerlichen Leben vorkommen, oder er ist ein Heuchler. (Sehr gut! links.) Der Reichsinnenminister sollte dahin wirken, daß wahrheitsgemäße Gutachten vorgelegt werden, die zu einer Aufhebung des Verbotes führen: er kann das um so mehr tun, als die Zentrums-presse von dem Verbot stark abgerückt ist. Zehntausende Deutsche, die an den Grenzen wohnen, fahren ins Ausland, um diesen Film zu sehen und lassen deutsches Geld dort. Gerade dieser Film und ähnliche, die ihm vielleicht folgen, müßten der deutschen Jugend vorgeführt werden, damit sie das fürchterliche Elend des Krieges auf diese unblutige Weise kennenlernt."
Abg. Petzold (Wirtschaftspartei) betonte, daß er am Remarque-Film nichts gefunden habe, was das Verbot verlangt. Aber die Staatsautorität fordere, ein einmal ausgesprochenes Verbot auch anzuerkennen.
Abg. von Kardorff (Volkspartei) weist zum Verbot des Films IM WESTEN NICHTS NEUES darauf hin, daß wir ein seelisch wundgeriebenes Volk seien und daß wir dieser Tatsache Rechnung tragen müssen. Der Film habe unzweifelhaft eine pazifistische Tendenz. Ein zu weitgehender Pazifismus sei aber geeignet, auch die letzten Reste unseres Wehrwillens zu ertöten. Deshalb werde man die Entscheidung des Ministers in der Verbotsfrage begrüßen können. Ruhe und Ordnung sei mehr wert, als daß dieser oder jener Film laufe. (Zuruf links: Also doch Verbeugung vor der Straße!)
Abg. Mumm (Chr. Soz.) verlangt, daß ausländische Filme, die das deutsche Ansehen schädigen, auch nach Ausmerzung dieser Stellen nicht in Deutschland zugelassen werden.
Abg. Külz (Staatspartei) erklärt, ihm scheine das Verbot nicht berechtigt, da der Film nicht als eine Verunglimpfung der deutschen Armee aufgefaßt werden könne. Es befremde aber, daß der Dichter die ihn so beherrschenden Erlebnisse der Verfilmung preisgegeben (?) habe. Wenn aber die Gasse Zensur ausüben könne, dann sei es aus mit Deutschland als Kulturstaat.
Bemerkenswert ist, daß der Zentrums-Redner Dr. Schreiber mit keinem Wort auf die Remarque-Angelegenheit, die von sämtlichen anderen Rednern behandelt wurde, eingegangen ist.Film-Kurier, Nr. 52, 3.3.1931
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